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LATEINAMERIKA/082: Möglichst 'mega' - Experten warnen vor den Folgekosten großer Projekte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. November 2013

Südamerika: Möglichst 'mega' - Experten warnen vor den Folgekosten großer Projekte

Von Fabiana Frayssinet


Foto: © Diana Cariboni/IPS

Belém do Pará, vom Fluss Guamá aus gesehen
Foto: © Diana Cariboni/IPS

Belém, Brasilien, 6. November (IPS) - Südamerika hat sich von der Kornkammer der Welt im letzten Jahrhundert zu einem Standort internationaler Infrastruktur-, Energie- und Bergbauprojekte entwickelt. Doch die Entwicklung bringt die Region in ein Dilemma: Das Wirtschaftswachstum hat einen hohen sozialen und ökologischen Preis.

Mit dem Wirtschaftsaufschwung wächst die Nachfrage nach Energie, Brücken, Straßen und Rohstoffen, wie dies auch in anderen Schwellenregionen der Fall ist. "Lateinamerika hat Probleme, die eigene Entwicklung zu verdauen", meinte dazu Maria Amélia Enriquez, Vizeministerin für Industrie, Handel und Bergbau von Pará.

Der nordbrasilianische Bundesstaat Pará ist Teil der Amazonasregion, die sich Brasilien, Kolumbien, Bolivien, Ecuador, Peru, Guyana, Venezuela und Suriname teilen. Hier sollen in den nächsten 20 Jahren 320 größere Infrastrukturprojekte realisiert werden, wie João Meirelles, Leiter des 'Peabiru-Instituts', berichtete. Die Non-Profit-Organisation versucht ein Bewusstsein für den Wert der ökologischen und kulturellen Vielfalt des Amazonasregenwaldes zu schaffen.


Gebändigte Flüsse

Ein Drittel aller brasilianischen Megaprojekte sind Wasserkraftwerke. In dem Becken des Flusses Tapajós, einem der größeren Zuflüsse des Amazonasstroms, der durch die Bundesstaaten Pará, Amazonas and Mato Grosso fließt, sind 42 Staudämme einschließlich fünf Großprojekte geplant.

"Wir sprechen von jährlichen Investitionen in Höhe von umgerechnet 23 Milliarden US-Dollar, die von mindestens zehn Unternehmen einschließlich der brasilianischen Firmen 'Camargo Corrêa' und 'Odebrecht' gestemmt werden sollen", erläuterte Meirelles.

Die rasante Zunahme von Megaprojekten lässt sich in ganz Südamerika beobachten. Überall in der Region werden Häfen, Straßen, Wasserwege und Bergbauprojekte vorangebracht. Das alte, in den 1930er Jahren entstandene und auf die internationalen Rohstoffmärkte ausgerichtete Wirtschaftsmodell sei noch nicht gestorben, das neue noch nicht geboren, meinte dazu Alfredo Wagner, Koordinator des Sozialatlas für Amazonasprojekte.

Mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Subkontinents und den damit verbundenen Herausforderungen hatte sich Ende Oktober ein dreitägiger Workshop befasst, den die Nachrichtenagentur IPS Inter Press Service (IPS) und die in den USA ansässige 'Mott Foundation' in der Pará-Hauptstadt Belem organisiert hatten.

Die neuen transnationalen Unternehmen wie der brasilianische Infrastrukturgigant Odebrecht sind treibende Kräfte hinter den Megaprojekten der Region, die mit privaten und staatlichen Geldern finanziert werden. Vor allem Brasiliens Nationaler Bank für Wirtschaft und Entwicklung (BNDES) kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu.


Megabrücken

In Venezuela ist Odebrecht an drei größeren Infrastrukturprojekten beteiligt. Der Tocoma-Damm ist das letzte von vier Wasserkraftwerken, die den Caroní, den zweitgrößten Fluss des Landes im Süden, in den Dienst der Stromproduktion einspannen sollen.

Die Hängebrücke Nigale über den Maracaíbo-See im Nordwesten Venezuelas soll 2018 fertig gestellt sein. Sie wäre die drittlängste Lateinamerikas. In dem Vorhaben inbegriffen sind Straßen und Schienen über eine Länge von elf Kilometern sowie drei künstliche Inseln.

Der Bau der Mercosur-Brücke, der dritten über den Orinoco, ist für 2015 vorgesehen und soll den Süden mit der Mitte Venezuelas verbinden. Nach der Fertigstellung wäre die Brücke die zweitlängste Lateinamerikas.

Nach Angaben der venezolanischen Regierung kommen derzeit 30 größere Infrastrukturprojekte als Teil des 'Vaterlandplans 2013-2019' voran. Die Gesamtinvestitionen belaufen sich auf 80 Milliarden Dollar. "Treten wir in die Fußstapfen des Spätkapitalismus?", fragte Wagner auf dem Workshop.


Wälder werden geflutet, Menschen müssen weichen

Pará ist zudem Standort des wohl umstrittensten Großprojekts Brasiliens: dem Wasserkraftwerk 'Belo Horizonte'. Damit es in Betrieb genommen werden kann, müssen mehr als 500 Quadratkilometer Dschungel geflutet und rund 16.000 Menschen umgesiedelt werden.

Der Damm am Xingú-Fluss mit einer geschätzten installierten Stromleistung von 11.233 Megawatt wird von der brasilianischen Regierung als Imperativ beworben, um den Strombedarf des Landes decken zu können.

Ein Großteil der Energie, die durch die Staudämme im Amazonas-Gebiet generiert wird, ist für die Industrie bestimmt. Etliche Konzerne sind an Investitionen in weitere Dämme interessiert, wie Meirelles erläutert. Dazu gehört der Aluminiumriese Alcoa mit Sitz in den USA ebenso wie die brasilianische Gruppe 'Votorantim', die Zement, Rohstoffe und Zellulose für die Papierproduktion herstellt.

"Letztendlich geht es um die Frage, wer von dem natürlichen Reichtum der Amazonas-Region und den Projekten profitiert", meinte dazu Gilberto Souza, Wirtschaftsprofessor an der Föderalen Universität von Pará (UFPA).

Der Ausbau des Vila-do-Conde-Hafens in der Pará-Stadt Barcarena wird den Transport von Aluminium und anderen Rohstoffen und die Getreideexporte aus Zentralbrasilien erleichtern. Zugleich geht auch er mit der Umsiedlung ganzer Gemeinden einher.

Mit den neuen Wasserkraftwerken wird Pará die Hälfte des Strombedarfs der rund 200 Millionen Brasilianer decken. Ein großer Teil der Rohstoffe, die in dem mineralienreichen aber sozial unterentwickelten Bundesstaat produziert werden, ist Souza zufolge für China bestimmt, dem weltgrößten Verbraucher von Eisenerz.


Planlose Urbanisierung

Die Bevölkerung von Altamira, der Stadt, die dem Belo-Monte-Damm am nächsten liegt, ist innerhalb von zwei Jahren um 50 Prozent gewachsen. Die Gesundheitsversorgung, Bildungs- und Wohnraumsituation konnte mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten. Neben erheblichen Defiziten in diesen Bereichen sind auch Gewaltkriminalität und Prostitution gestiegen. Auch haben sich Probleme wie Entwaldung, Verschlechterung der Wasserqualität und Rückgang der Fischbestände eingestellt. Fisch ist für die lokale Bevölkerung ein wichtiger Eiweißlieferant.

"Hinzu kommt, dass ausgerechnet die Region, die halb Brasilien mit Strom versorgen wird, unter häufigen Stromausfällen leidet", berichtet Fabiano de Oliveira, ein Aktivist der Bewegung der Menschen, die durch die Altamira-Dämme beeinträchtigt werden. Wie er gegenüber IPS erklärte, wurden die betroffenen Dörfer vor vollendete Tatsachen gesetzt.

In Chile stößt vor allem der Bau der zwei größten Wasserkraftwerke auf Proteste. Im Rahmen von 'HidroAysén' in den artenreichen Wäldern Patagoniens sind fünf große Dämme geplant. Eine 2.000 Kilometer lange Stromleitung durch acht der insgesamt 15 chilenischen Regionen soll die Bergbauindustrie im Norden mit Energie versorgen. Paradoxerweise wird keine der betroffenen Regionen in den Genuss von Energie kommen. Das Projekt liegt aufgrund mehrerer richterlicher Verfügungen derzeit auf Eis.

Weiter nördlich befindet sich die Gold- und Silbermine 'Pascua Lama' des kanadischen Konzerns 'Barrick Gold'. Die Mine befindet sich auf chilenischer und argentinischer Seite der Anden. Zahlreiche Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit Protesten gegen die Verschmutzung der Gewässer und die Schädigung zweier Gletscher haben das Projekt im April zum Erliegen gebracht. Am 31. Oktober kündigte das Unternehmen an, die Entwicklung der Pascua-Lama-Mine aufgrund der hohen Kostenentwicklung und der rückläufigen Goldpreise bis auf Weiteres einzustellen.


Bolivianischer Strom für Brasilien

In der bolivianischen Amazonasregion Beni wiederum warten indigene Gemeinschaften derzeit auf einen Bericht über die möglichen Auswirkungen, die mit dem Bau des Wasserkraftwerks 'Cachuela Esperanza' einhergehen könnten. Die Anlage soll eine installierte Stromleistung von 990 Megawatt haben und zwei Milliarden Dollar kosten. Der dort generierte Strom ist für Brasilien bestimmt. Umweltschützern zufolge sollen im Zuge des Vorhabens 1.000 Quadratkilometer Regenwald geflutet und die dort lebenden Menschen umgesiedelt werden.

Nach Ansicht von José Etrusco, dem Umwelt-, Sicherheits- und Gesundheitsbeauftragten des Aluminiumkonzerns 'Albras' haben große Wasserkraftwerke wie Belo Monte den besten Kosten-Nutzen-Effekt zu bieten. "Wir haben keine andere Wahl, wenn wir nicht im Dunkeln sitzen bleiben wollen", meinte er.

Doch Paulo Barreto vom Imazon-Institut zufolge wäre es wichtig, die Frage nach den wahren Kosten zu stellen, die durch die Folgen der Megaprojekte wie einer Verschärfung des Klimawandels, der zunehmenden Landkonzentration und der sozialen Problemen in den neu urbanisierten Regionen entstünden. "Wer wird am Ende die Zeche zahlen?" (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.novacartografiasocial.com/
http://www.ips.org/institucional/wp-content/uploads/Belem-programa-ESP.pdf
http://www.ipsnews.net/2013/08/qa-everyone-loses-in-war-over-amazon-dams-part-1/
http://www.ipsnews.net/2013/11/south-america-from-granary-to-megaprojects-for-the-world/
http://www.ipsnoticias.net/2013/11/de-granero-a-gran-cantero-de-obras-para-el-mundo/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. November 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2013