Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

LATEINAMERIKA/083: Wenn Arten verschwinden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. November 2013

Lateinamerika: Wenn Arten verschwinden

von Yvet González, Fabíola Ortiz und Milagros Salazar


Bild: © Carlos Gussoni

Alagoas-Blattspäher im Frei-Caneca-Privatreservat in Pernambuco
Bild: © Carlos Gussoni

Cajío, Kuba/Rio de Janeiro/Lima, 13. November (IPS) - Wenn eine Art ausstirbt - eine Fischspezies vor der Küste Kubas oder eine Vogelart im brasilianischen Urwald - entsteht eine Lücke, die weitreichende Konsequenzen hat. Der Verlust kann ein ganzes Ökosystem verändern oder Hunger auslösen.

"Von allem gibt es dann weniger", sagt der Fischer Lázaro Andrés Gorrín, der seine Netze im Golf von Batabanó vor der südwestlichen Küste Kubas auswirft. Die Einwohner von mehr als 570 Küstenstädten und -dörfern in dem Karibikstaat leben vom Fischfang. Ihre Existenz ist akut bedroht, da die Fischbestände stark abgenommen haben.

Auch Gorrín fängt inzwischen so wenig, dass seine Familie kaum noch davon leben kann. Überfischung gilt als Hauptursache für den Rückgang der Bestände von Schnappern (Lutjanus synagris) im Golf von Batabanó. Der Nassau-Zackenbarsch (Epinephelus striatus) ist in seinem gesamten bisherigen Habitat sogar nahezu ausgerottet worden.

Der Fischschwund ist seit etwa 1990 deutlich spürbar, auch aufgrund der Verschmutzung des Ozeans vor Kuba und steigender Wassertemperaturen. Der Bau von Dämmen an Flüssen hat zudem dazu geführt, dass immer weniger Süßwasser die Küsten erreicht.


Fische werden weniger und kleiner

Wie der Meereswissenschaftler Rodolfo Claro berichtet, erreichen die Fische längst nicht mehr ihre ursprüngliche Größe. Die Arten, die bei den Fischern weniger begehrt sind, dominieren inzwischen die anderen Spezies. Gorrín und andere Fischer überlegen inzwischen, ob sie nicht in Flüssen, Seen und Stauseen fischen oder sich nach alternativen Einkommensmöglichkeiten umschauen sollen.

Der 53-jährige Roberto Díaz fühlt sich zu alt, um umzusatteln. Gemeinsam mit dem zwölf Jahre jüngeren Gorrín fährt er jeden Tag im Motorboot bis zu 40 Meilen aufs Meer hinaus, um seine Netze auszuwerfen. Díaz stößt sich an den zahlreichen Vorschriften, die den Fischern das Leben erschweren. "Es ist verboten, verschiedene Arten zu fangen. Auch manche Ausrüstungen und Fangmethoden sind nicht erlaubt", kritisiert er.

Noch vor 15 Jahren kamen die beiden Männer, Mitglieder einer Fischereikooperative, täglich mit vollen Booten an Land zurück, obwohl die Überfischung in den kubanischen Gewässern zwischen 1960 und 1980 bedrohliche Ausmaße angenommen hatte.

Allein 1985 wurden 78.000 Tonnen Fische aus dem Meer um Kuba gezogen. Seitdem ist der Fischereisektor immer weiter in die Krise gerutscht. Die Behörden erließen strengere Vorschriften, die den Fang bestimmter Arten in gewissen Gebieten reglementieren.

2012 beschränkte sich die Menge Fisch sowohl aus dem Meer als auch aus den Aquakulturen im Lande nur noch auf etwa 48.500 Tonnen. Schnapper machten 1.694 Tonnen und Nassau-Zackenbarsche lediglich 26 Tonnen aus.

Der Einsatz von Schleppnetzen ist seit 2007 verboten. "Trawler und Schleppnetze haben den Schnappern den Garaus gemacht", meint Díaz. Die meisten Fischer haben keine reguläre Beschäftigung, sind im informellen Sektor tätig oder betreiben Subsistenzfischfang. Manchmal laufen diese Aktivitäten im Verborgenen ab oder werden als Sportfischerei deklariert.

Ein Elektriker aus der Ortschaft Quivicán fischt an den Wochenenden, um seine Familie mit Fisch zu versorgen. Er hat aus Traktorreifen ein Floß gebaut, mit dem er höchstens 400 Meter aufs Meer hinaus kann. "Selbst wenn wir wollten, könnten wir davon nicht leben", meint er.

Weltweit gibt es rund 8,7 Millionen Spezies, die für das Überleben unseres Planeten unverzichtbar sind. Über die meisten von ihnen ist erst wenig bekannt. Einige werden ausgerottet, noch bevor die Menschheit von ihrer Existenz erfährt.


Alagoas-Blattspäher verschwunden

Tausende Kilometer südlich von Kuba ist im so genannten Atlantischen Wald im Nordosten Brasiliens kaum noch ein Exemplar des Alagoas-Blattspähers (Philydor novaesi) zu entdecken. Der etwa 18 Zentimeter lange und rotbraun gefiederte Vogel wurde 1979 im Bundesstaat Alagoas entdeckt.

Damals seien Exemplare der Spezies relativ einfach an den Rändern von Waldlichtungen zu finden gewesen, berichtet die Biologin Tatiana Pongiluppi, Projektkoordinatorin der Umweltgruppe 'SAVE Brasil'. Die Organisation ist Teil der globalen Partnerschaft 'BirdLife International'.

Zwischen 1992 und 1998 durchgeführte Untersuchungen ergaben, dass die vor allem von Insekten lebende Vogelart bereits in dem Zeitraum rar geworden war. 2000 wurden in Pernambuco nur noch vier dieser Vögel beobachtet. Zum letzten Mal wurde ein Alagoas-Blattspäher am 13. September 2011 gesichtet und von dem Fotografen Ciro Albano gefilmt.

Für die Natur war der Alagoas-Blattspäher wichtig, weil er das Wachstum der Insektenpopulationen begrenzte. Darüber hinaus zog er Vogelbeobachter aus aller Welt an und verschaffte damit dem Tourismussektor höhere Einnahmen.

Wie Pongiluppi erklärt, hängt das Verschwinden dieser Vogelart unter anderem mit dem Ausbau der Zuckerrohrplantagen, der Holzkohleproduktion und der Holzgewinnung für die Möbelindustrie zusammen. Im natürlichen Habitat des Alagoas-Blattspähers kamen reichlich hohe Bäume und Bromeliengewächse vor, deren Laub den kleinen Vögeln viel Nahrung lieferte.

Der Atlantische Wald, der sich früher auf einer Fläche von rund 1,3 Millionen Quadratkilometern über die gesamte Länge der brasilianischen Atlantikküste erstreckte und Teile von Paraguay und Argentinien einschloss, ist inzwischen um etwa 93 Prozent geschrumpft. Dennoch ist der Urwald weiterhin eines der artenreichsten Gebiete der Welt. Dort kommen noch etwa 20.000 Pflanzen-, 849 Vogel-, 370 Amphibien-, 200 Reptilien-, 350 Fisch- und 270 Säugetierspezies vor.

Weiteren Vogelarten droht nun ein ähnliches Schicksal wie dem Alagoas-Blattspäher. Sieben Tierarten seien in Brasilien bereits als ausgestorben erklärt worden: eine Libellen-, zwei Regenwurm-, eine Ameisen-, eine Frosch- und zwei Vogelspezies, berichtet der Experte Ugo Eichler Vercillo vom Chico-Mendes-Institut für den Schutz der Artenvielfalt.


Traditioneller Ackerbau in Peru mit Hilfe von Oxfam

Indigene Frauen, die in der nordperuanischen Urwaldprovinz Lamas Kaffee anbauen, wollten nicht länger tatenlos zusehen, wie Klimawandel und Schädlingsbefall ihr natürliches Umfeld zerstören. Mit Unterstützung der Vereinigung der Quechua-Völker in der Region von San Martín sorgen sie seit zwei Jahren für den Erhalt mehrerer Pflanzenarten, darunter Knollengewächse.

In mehreren Dörfern gab es für diese traditionellen Nahrungsmittel kein Saatgut mehr. Wie die britische Hilfsorganisation 'Oxfam' berichtet, die die Initiative seit 2011 unterstützt, beschafften sich die Frauen das Saatgut deshalb andernorts. Auf einer Fläche von etwa einem halben Hektar pflanzen sie nun die Yamsart Discorea trifida, Pfeilwurz (Calathea allouia) und Taro (Colocasia esculenta) an, die nach einem Jahr geerntet werden können. Daneben wachsen Erdnüsse, Mais, Bohnen und Blattgemüse.

In mehreren Dorfgemeinschaften helfen die Älteren dabei, traditionelle Anbaunethoden vor dem Vergessen zu bewahren und einen Pflanzkalender zu entwerfen. Die Frauen, die in sogenannten 'Mütterclubs' zusammengeschlossen sind, wählen in jedem Dorf eine Koordinatorin. Zunächst wollten die Frauen ausreichend Nahrung für die eigenen Familien produzieren. Inzwischen haben die Aktivistinnen jedoch erkannt, dass in der Stadt Lamas Gerichte aus Großmutters Zeiten stark nachgefragt werden. Deshalb werben sie auch auf regionalen Märkten und Messen für den Anbau traditioneller Spezies. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:
http://ibc.lynxeds.com/video/alagoas-foliage-gleaner-philydor-novaesi/bird-branch
http://www.savebrasil.org.br/
http://www.birdlife.org/
http://www.icmbio.gov.br/portal/
http://www.oxfam.org/
http://www.ipsnews.net/2013/11/this-bird-has-flown-forever/
http://www.ipsnoticias.net/2013/11/ese-pajaro-ya-existe/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. November 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2013