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LATEINAMERIKA/104: Nicaragua - Großkanal für armes Land gefährdet ökologischen Reichtum (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. April 2015

Nicaragua:
Großkanal für armes Land gefährdet ökologischen Reichtum

von José Adán Silva


Bild: © Mario Moncada/IPS

Mitarbeiter der chinesischen Baufirma HKDN und der Nicaraguanischen Kanalkommission am 22. Dezember 2014 in der Pazifikstadt Brito Rivas - Bild: © Mario Moncada/IPS

Managua, 1. April (IPS) - Ende letzten Jahres sind die Bauarbeiten am Nicaragua-Kanal angelaufen, der den Pazifik mit dem Atlantik verbinden und dem lateinamerikanischen Armenhaus zu wirtschaftlichem Wohlstand verhelfen soll. Verschiedene Studien, die im Zusammenhang mit dem Großprojekt erstellt wurden, geben einen ersten Einblick in die ökologischen Schätze, die dem interozeanischen Wasserweg geopfert werden könnten.

Bei Voruntersuchungen der britischen Beraterfirma 'Environmental Resources Management' (ERM) wurden in den Gebieten, durch die der Kanal verlaufen wird, einige unbekannte Spezies entdeckt. Auftraggeber der Studie war die 'Hong Kong Nicaragua Canal Development (HKND) Group', das chinesische Unternehmen, das mit dem Bau des Mammutprojekts beauftragt ist.

Aus der am 20. November in Nicaragua von Alberto Vega, dem nicaraguanischen Vertreter der Beratungsfirma, vorgestellten Untersuchung 'Nicaraguas Großkanal' geht hervor, dass man auf zwei neue Froscharten im Ufergebiet des Flusses Punta Gorda längs der südlichen Karibikküste Nicaraguas gestoßen sei. Auch wurden in dem weitgehend von Indigenen bewohnten Gebiet 213 archäologische Stätten gefunden.

Mit Hilfe der Studie sollten die wichtigsten biologischen Merkmale längs der Route dokumentiert sowie die Spezies und Habitate identifiziert werden, die besonderer Schutzmaßnahmen bedürfen, um potenzielle Schäden durch den interozeanischen Kanal zu verhindern beziehungsweise beheben zu können.

Der künstliche Wasserweg zwischen Pazifik und Karibischem Meer, das in den Atlantik übergeht, soll 278 Kilometer lang, 520 Meter breit und 30 Meter tief werden. Über 105 Kilometer wird er durch den Cocibolca-See führen. Die Gesamtkosten des Projekts, das Ende 2019 fertig sein soll, werden auf mehr als 50 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Die Abgabe der erforderlichen Umweltverträglichkeitsstudie ist für Ende April vorgesehen, wie ein Sprecher der Nicaraguanischen Kommission des interozeanischen Großkanals, Telémaco Talavera, erklärte. "Die Untersuchungen werden mit hochtechnologischen Möglichkeiten und einem Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein von einem in diesem Bereich führenden Unternehmen durchgeführt. ERM wird mit einem Expertenteam aus aller Welt einen umfassenden Bericht über die ökologischen Auswirkungen und Gegenmaßnahmen vorlegen."


Cocibolca-See gefährdet

Nach Aussagen von Víctor Campos, dem stellvertretenden Leiter des nichtstaatlichen Humboldt-Zentrums, zeigen die bisherigen HKND-Dokumente schon jetzt, dass der Kanal schwere Schäden an der Umwelt des Landes anrichten und insbesondere für den Cocibolca-See eine große Gefahr darstellen wird. Das 8.624 Quadratkilometer große Gewässer ist nach dem Maracaibo-See in Venezuela die zweitwichtigste Süßwasserquelle Lateinamerikas.

Campos zufolge hat selbst die HKND-Gruppe eingeräumt, dass die für den Kanal ausgewählte Route international anerkannte Schutzgebiete und 40 vom Aussterben bedrohte Vogel-, Säugetier-, Reptilien- und andere Arten tangiert. So wird der Kanal durch Feuchtgebiete, die unter dem Schutz der Ramsar-Konvention stehen, und durch von der Weltkulturorganisation anerkannte Biosphärenreservate verlaufen.

Der interozeanische Wasserweg wird Teile des Cerro-Silva- und des biologischen Indio-Maíz-Reservats durchschneiden. Beide sind Bestandteile des Biologischen Mesoamerikanischen Korridors, der Arten wie den Roten und den Grünen Ara, den Steinadler, Tapir, Jaguar, Klammeraffen und den Ameisenbär beheimatet. Zusammen mit den Schutzgebieten Bosawas und Wawashan beherbergen Indio Maíz und Cerro Silva 13 Prozent der weltweiten Artenvielfalt und etwa 90 Prozent der Flora und Fauna des Landes.

Auch die Cocibolca-Gruppe, ein Zusammenschluss aus mehr als zehn Umweltorganisationen in dem mehr als 6,1 Millionen Einwohner zählenden tropischen Land, rechnet mit schweren ökologischen Schäden an der südöstlichen Karibikküste des Landes. Bedroht sei Booby Cay, ein von 'Birdlife International' anerkanntes Habitat für Seevögel, Schildkröten, Fische und Korallen.

Untersuchungen der Gruppe ergaben, dass der Einsatz von Schwermaschinen, der Bau von Häfen und das Entfernen von Sedimenten vom Boden des Sees sowie der Einsatz von Dynamit zur Sprengung von Felsgestein eine erhebliche Belastung für das Habitat der Meeresschildkröten darstellen, die alljährlich am Pazifikstrand im Südwesten ihre Eier ablegen. Der Kanal wird in Brito Rivas, 130 Kilometer westlich der nicaraguanischen Hauptstadt Managua münden. Dort soll ein Tiefseehafen in nächster Nähe eines traditionellen Nistplatzes für Wasserschildkröten entstehen.

Talavera wies die "apokalyptischen Theorien" zu den möglichen Umweltschäden infolge des Mammutprojekts zurück, bestätigte jedoch, dass es durch die Bauarbeiten zu Entwaldung und Umweltverschmutzung kommen werde. Die Schäden würden jedoch identifiziert und behoben. Wie er weiter erklärte, hat sich die Gruppe HKND auch mit den nicaraguanischen Umweltbehörden, der Ramsar-Konvention, der UNESCO und Umweltgruppen wie Birdlife in der Frage beraten, wie die möglichen negativen Auswirkungen des Kanals klein gehalten und bekämpft werden können.

Umweltschützer und sogar die Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) lehnen das Kanalprojekt ab. Auf einer Anhörung vor dem CIDH am 16. März hatte die Aktivistin Mónica López von der Cocibolca-Gruppe berichtet, dass Nicaragua der HKND die Kontrolle über den See und dessen Umgebung übertragen habe. Es gehe um ein Gebiet mit mehr 16 Wasserscheiden und knapp 15 Schutzgebieten, in denen sich 25 Prozent der Regenwälder des Landes befänden.


Bild: © José Adán Silva/IPS

Drei Bauern auf einer der von der chinesischen Baufirma nicaraguaweit durchgeführten Informationsveranstaltungen - Bild: © José Adán Silva/IPS


Vertreibung von 100.000 Menschen

López erläuterte ferner, dass der Bau des Kanals mit der Vertreibung von 100.000 Menschen einhergehe. Ebenso kritisierte sie, dass dem chinesischen Unternehmen sogar die vollständige Kontrolle über die natürlichen Ressourcen, die jenseits der Route liegen, übertragen worden sei. Das sei ein Verstoß gegen die Rechte der Nicaraguaner.

Der Rahmenvertrag über die Konzession und Umsetzung sowie das 2013 gebilligte Kanalgesetz verpflichten den nicaraguanischen Staat dazu, dem Konzessionsinhaber den Zugang und das Recht zu geben, die Flüsse, Seen, Meere und andere Gewässer innerhalb Nicaraguas zu befahren und gegebenenfalls umzuleiten, zu verkleinern, zu vergrößern oder auszubaggern.

Außerdem hat der nicaraguanische Staat darauf verzichtet, die Investoren für mögliche Schäden bei den Untersuchungen und den Bauarbeiten sowie dem Betrieb des Kanals vor nationalen oder internationalen Gerichten zur Verantwortung zu ziehen.

Bei der Anhörung vor der CIDH in Washington wiesen die verantwortlichen Regierungsvertreter inklusive Talavera die Einwände der Umweltschützer als politisch motivierte Einflussnahme zurück erklärten, das Vorhaben sei umweltverträglich.

Darüber hinaus verwiesen sie auf die Hauptargumente für den Bau des Wasserwegs. So werde der Kanal nach der Fertigstellung dem Land Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze bringen. Nicaragua ist nach Haiti das ärmste Land der Region. 42 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. (Ende/IPS/kb 2015)


Links:
http://www.ipsnoticias.net/2015/03/canal-interoceanico-amenaza-la-naturaleza-de-nicaragua/
http://www.ipsnews.net/2015/03/nicaraguas-future-canal-a-threat-to-the-environment/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 1. April 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2015

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