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MEER/014: Vor dem Goldrausch - WWF will Gefahren für die Tiefsee bannen (WWF Magazin)


WWF Magazin 4/2010
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Aktiv
Vor dem Goldrausch
WWF will Gefahren für die Tiefsee bannen

Von Christian Neumann, WWF


Bei Tiefsee denkt man vielleicht an Riesenkalmare in eisiger Kälte - aber nicht an sein Handy. Dabei können Mobiltelefone durchaus mit ozeanischen Abgründen in Verbindung gebracht werden. Denn dort lagern reichlich Metalle, die für die Produktion vieler elektronischer Geräte unverzichtbar sind.

Bereits in den 70er Jahren gab es erste Versuche, Metalle wie Gold, Silber, Kupfer, Nickel oder Kobalt aus der Tiefsee zu gewinnen. Mit untermeerischen Robotern wollte man in die Tiefen der Meere vordringen, um dort liegende Vorkommen auszubeuten. Mit sinkenden Rohstoffpreisen verschwand diese Zukunftsvision jedoch rasch wieder in den Schubladen. Erst der Boom der Kommunikationstechnologie sorgte wieder für neues Interesse an den Tiefsee-Metallen. Sie schlummern vor allem in Manganknollen, kobaltreichen Krusten und polymetallischen Sulfiden.

Manganknollen sind kartoffelförmige, mehrere Zentimeter dicke Klumpen, die schalenartig über Jahrmillionen mit Hilfe von Bakterien und Einzellern gewachsen sind - etwa ein Millimeter in einer Million Jahren. Sie bestehen aus bis zu 30 Prozent Mangan und enthalten auch Eisen, Nickel, Kobalt und Kupfer. Besonders im Pazifik liegen in 4000 bis 6000 Metern Tiefe Felder von gigantischen Ausmaßen: Wissenschaftler schätzen das Gewicht der Knollen auf mehrere Hundert Milliarden Tonnen. Noch rechnet sich ein Abbau nicht. Das kann sich durch steigende Preise und technischen Fortschritt aber sehr bald ändern. Die ökologischen Folgen eines Abbaus könnten dramatisch sein. Die Knollen liegen auf lockerem Grund, der leicht aufgewirbelt werden kann. Sedimentwolken im Wasser können dann die empfindlichen Lebewesen der Tiefsee, die das Wasser filtern, ersticken. Und die gibt es reichlich dort unten: Biologen vom Deutschen Zentrum für Marine Biodiversitätsforschung in Wilhelmshaven zählten im deutschen Manganknollengebiet (siehe Kasten unten) Tausende von Tierarten, von denen sie gerade jede Hundertste kannten. Immerhin arbeitet die Internationale Meeresbodenbehörde inzwischen an der Ausweisung von Zonen, in denen keinerlei Abbau stattfinden darf und von denen aus eine Wiederbesiedlung künftiger Abbaugebiete stattfinden könnte.

Kobaltreiche Krusten bedecken in Tiefen von 400 bis 4000 Metern Tausende unter der Meeresoberfläche aufragende Seeberge. Sie sind häufig auch Heimat für Kaltwasserkorallenriffe oder Schwammbänke, die wiederum eine Vielfalt weiterer Bewohner und die Kinderstube vieler Fischarten beherbergen. Beim Abbau der etwa 25 Zentimeter dicken Kruste würden diese Lebensräume einfach mit abgebaggert.

Schwarze Raucher: Auch die geplante Ausbeutung polymetallischer Sulfide stellt eine große Gefahr für die Meeresumwelt dar. Diese Schwefelverbindungen entstehen an so genannten Schwarzen Rauchern. Hier schießt bis zu 400 Grad Celsius heißes und mit Metallen angereichertes Wasser aus der Erdkruste. Durch die plötzliche Abkühlung im wenige Grad kalten Tiefenwasser fallen Schwefel-Metall-Verbindungen und selbst Gold aus und bilden mehrere Meter hohe, zylindrische Schlote, die Raucher. Dort leben Bakterien, die aus dem im Wasser gelösten Schwefelwasserstoff Lebensenergie gewinnen. Von ihnen ernährt sich dort unten eine artenreiche Welt aus Würmern, Muscheln und Krabben, die bislang kaum erforscht ist. Beim Abbau der Schlote würden diese Lebensräume zerstört und wertvolle Arten könnten verloren gehen. Darüber hinaus können diese für die meisten Lebewesen hochgiftigen Metalle in obere und entfernte Gewässerschichten gelangen und dort langfristig großen Schaden anrichten. Trotzdem findet der erste Tiefseebergbau der Welt ausgerechnet an Schwarzen Rauchern statt: Das kanadische Unternehmen Nautilus Minerals will durch deren Abbau in den Gewässern Papua- Neuguineas Gold fördern.


Die Folgen der Ausbeutung mildern

Der WWF hält die Ausbeutung von Metallen in der Tiefsee für ein hochriskantes Unterfangen. Die gigantische Ölkatastrophe durch den Untergang der BP-Bohrplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko zeigt, wie schwierig ein zuverlässiger Einsatz auch modernster Technik in der Tiefsee ist - und dort wurde "nur" in 1500 Metern Tiefe gefördert. Die ökologischen Folgen einer Ausbeutung sind nicht absehbar. Der WWF fordert deshalb ein Moratorium für den Tiefseebergbau. Zuerst muss ein Netzwerk von Meeresschutzgebieten weltweit eingerichtet werden, das wichtige und repräsentative Gebiete identi-fiziert und vor Zerstörung bewahrt, indem der Abbau von Bodenschätzen dort untersagt wird. Darüber hinaus müssen die Internationale Seebodenbehörde und die Küstenstaaten strenge Regulierungen für den Abbau verabschieden. Außerdem sollten Alternativen zum Tiefseebergbau erwogen werden - besonders die Entwicklung Ressourcen schonender Produkte und ein stärkerer Einsatz von recycelten Materialien.


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Erbe der Menschheit

Große Teile der Weltmeere und damit auch des Seebodens liegen außerhalb der so genannten "Ausschließlichen Wirtschaftszonen" von Staaten, die sich im Allgemeinen bis zu 200 Seemeilen von der Küste entfernt erstrecken. Die Gebiete darüber hinaus sind nach Seerecht "gemeinsames Erbe der Menschheit und werden von der Internationalen Meeresbodenbehörde verwaltet. In deren Sitz in Kingston auf Jamaika treffen sich jährlich die Vertragsstaaten des Seerechts, um Regulierungen für den Abbau von Bodenschätzen zu vereinbaren. Auch der WWF ist dabei und setzt sich dort für den Schutz der Tiefsee ein. Zwölf Staaten haben sich bereits für die Untersuchung von Gebieten im Pazifischen und Indischen Ozean bei der Meeresbodenbehörde die Rechte gesichert. Allein Deutschland hat zwischen Hawaii und Mexiko eine Abbaulizenz für 75.000 Quadratkilometer erworben - eine größere Fläche als Bayern.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Schätze der Finsternis: Das fragile Gleichgewicht in der Tiefsee mit ihren außergewöhnlichen Bewohnern, wie dieser Seegurke, einer Seesternlarve (links) oder den Muscheln und Garnelen an einem Schwarzen Raucher (oben) geraten durch den drohenden Abbau von Metallvorkommen am Meeresgrund in Gefahr

Tiefseesammler: So könnten in Zukunft Manganknollen vom Meeresboden geklaubt und mit einer Pumpe an die Oberfläche befördert werden.


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Quelle:
WWF Magazin 4/2010
Herausgeber:
WWF Deutschland
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Die Zeitschrift für Mitglieder und Freunde der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2011