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PROTEST/132: Argentinien - "Wasser ist mehr wert als Gold", Bergbau-Proteste in Patagonien (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Argentinien
"Wasser ist mehr wert als Gold" - Bergbau-Proteste in Patagonien

Von Christian Rollmann


(Berlin, 21. November 2018, fdcl) - Im argentinischen Patagonien schwelt seit vielen Jahren ein Konflikt zwischen staatlicher Energiepolitik, Profitinteressen von Unternehmen und der lokalen Bevölkerung. Jahrelang haben sich Bürgerinitiativen erfolgreich gegen Bergbau-Projekte in der Provinz Chubut gewehrt. Doch der russische Staatskonzern Uranium One soll dort künftig im Auftrag der argentinischen Regierung hochradioaktives Uran gewinnen. Am Rande des G20-Gipfels will Präsident Macri jetzt seine Atom-Kooperationen vorantreiben.

Die patagonische Kleinstadt Esquel liegt in den Anden, nahe der chilenischen Grenze. Anfang der 2000er-Jahre ist sie zum Symbol für den Protest gegen die megamineria, den Bergbau im großen Stil, geworden. Das kanadische Unternehmen Yamana Gold plante damals einen Berg vor den Toren der Stadt in einen Gold-Tagebau zu verwandeln. Dagegen wurde Laura Ortíz mit ihrer Bürgerinitiative Asamblea No a la Mina aktiv. "Als wir hörten, dass sie für die Goldgewinnung Blausäure nutzen wollten, sind wir misstrauisch geworden", schildert Ortíz die Anfänge ihrer Protestbewegung. Blausäure kannten sie bis dahin nur aus der Literatur, als Gift, mit dem der Ehepartner ermordet wird. Beim Goldabbau sickert die Chemikalie in tiefe Gesteinsschichten und verseucht so das Trinkwasser. "Das wollte hier keiner", erzählt die Aktivistin und erinnert sich: "So entstand unser Slogan 'Wasser ist mehr wert als Gold'."


Bürgerinitiative erzwingt Referendum und verhindert Goldtagebau

Im Sommer 2002/2003 waren die Proteste im Ort nicht zu übersehen. "Unglaublich viele Leute haben sich uns damals angeschlossen, unsere Versammlungen platzten aus allen Nähten", sagt Ortíz. Esquel hatte sich durch die Bergbaupläne stark politisiert: Es gab Demonstrationen, teils mehrere an einem Tag, dazu zahlreiche Versammlungen und Diskussionen. Mit ihren Protesten erzwang die Bürgerinitiative 2003 eine Volksabstimmung, bei der 82 Prozent der rund 40.000 Einwohner*innen gegen den Tagebau votierten. Es war der Anfang vom Ende: Die Goldgräber-Stimmung erhielt einen Dämpfer, vor vier Jahren hat Yamana Gold das Büro vor Ort geschlossen. In einem landesweiten Rating liegt Esquel nun ganz hinten, was die Attraktivität von Bergbau-Unternehmungen angeht.

Der Kampf ist in Esquel fürs Erste gewonnen, doch die Auseinandersetzungen im Rest der Provinz Chubut reißen nicht ab. Bis heute gehen die Menschen in vielen Ortschaften regelmäßig gegen die megaminería auf die Straße, immer am vierten jedes Monats. Denn obwohl nach der Volksabstimmung 2003 offene Tagebaue mit ihren riesigen Gruben und der Einsatz von Blausäure per Gesetz verboten wurden, versuchen Konzerne immer noch, die vorhandenen Bodenschätze zu gewinnen. Aktuelles Beispiel: Der geplante Uranabbau auf der Hochebene von Chubut rund 200 Kilometer östlich von Esquel. Dort, zwischen Anden und atlantischem Ozean, befinden sich rund zwei Drittel der argentinischen Vorkommen des hochradioaktiven Rohstoffs.

Anfang 2018 ist der argentinische Präsident Mauricio Macri eigens nach Russland gereist, um dort einen entsprechenden Vertrag mit dem russischen Staatsunternehmen Uranium One abzuschließen. Der Konzern gehört zu den ganz Großen der Branche und stellt auf der ganzen Welt brennstofffähiges Uran her. 2015 wickelte das Unternehmen ein Fünftel des Uran-Geschäfts in den USA ab - heute ermittelt das FBI wegen Bestechung. Und obwohl von Uranium One in Argentinien bislang lediglich eine Briefkastenfirma existiert, übertrug Präsident Macri bei seiner Russlandreise dem Unternehmen die Schürfrechte des hochradioaktiven Brennstoffs. Man wolle, hieß es von Seiten des Präsidenten, damit den eigenen Uran-Bedarf sichern.


Unterirdischer Uranabbau verseucht Trinkwasser

Das Uran soll unterirdisch mit der sogenannten In-Situ-Methode gewonnen werden. Hierfür wird Schwefelsäure in ein Loch hunderte Meter tief in den Boden eingelassen, um das Uran aus den Gesteinsformationen zu lösen. Der hochradioaktive Stoff gelangt über einen zweiten Bohrkanal wieder an die Erdoberfläche. Das Verfahren ist weniger kostenintensiv als der Aufschluss eines herkömmlichen Tagebaus und radioaktive Partikel werden nicht mit dem Abraum an der Oberfläche verteilt. Doch es ist keineswegs sauber - im Gegenteil. "Überall, wo das Verfahren zur Anwendung kommt, wird das Grundwasser verseucht", schildert Roberto Ochandio eines der Probleme. Der Geograf ist einer der unabhängigen Uran-Experten in der Provinz. Außerdem setze das Uran an der Erdoberfläche radioaktive Gase frei, denen etwa die Bergarbeiter ausgesetzt sind, sagt er. Auch die nationale Kommission für Atomenergie (CNEA) hält die In-Situ-Methode für nicht geeignet. Wegen der Beschaffenheit der Böden dürfe diese vor Ort nicht angewandt werden, so das Fazit eines Kommissionsberichts. "Obwohl Macris eigene Behörde das feststellt, schafft er mit dem Vertrag mit dem russischen Konzern einfach Tatsachen", kritisiert Ochandio die Politik des Präsidenten.

Hintergrund der Bestrebungen ist die Stromkrise, die sich jeden Sommer in der Metropole Buenos Aires manifestiert, wenn ganze Viertel wochenlang ohne Strom sind. Um die Stromausfälle zu beenden, sollen neue Atomkraftwerke her. Und ohne Uran lassen sich diese nicht betreiben. Ende Juli verabredete Präsident Macri mit der chinesischen Staatsführung den Bau eines neuen AKWs in der Nähe der Hauptstadt, das 2022 fertig gestellt werden soll. Energieminister Javier Iguacel formulierte unlängst die Fernziele der Regierung: Man wolle Netto-Exporteur von Energie werden, erklärte er.


Mapuche auf der dünn besiedelten Hochebene sind gegen die Pläne

Doch dafür braucht die Regierung das Uran aus Chubut. Das Hochplateau, das die Vorkommen beherbergt, ist sehr dünn besiedelt. Obwohl es ein Drittel der Provinz einnimmt, leben dort nur rund 6.000 Bewohner. Die meisten sind indigene Mapuche, die in kleinen, weit voneinander entfernten Gemeinden wohnen. Den Widerstand zu organisieren ist also schwieriger als in der Kleinstadt Esquel. Ortíz, die selbst Mapuche ist, berichtet, dass die Mehrheitsverhältnisse in etwa so wie in der Stadt sind. "Von 300 Menschen sind mit Sicherheit 250 gegen die Uran-Pläne", schätzt sie. Doch die allerwenigsten Mapuche-Gemeinden seien befragt worden. Ein Referendum würde nicht nur Klarheit bringen, das Recht auf Konsultation der Indigenen ist auch gesetzlich verbrieft. So steht es etwa in den Statuten der Internationalen Arbeitsorganisation der UN, die auch Argentinien ratifiziert hat.

Die Uran-Bestrebungen werden in Kürze auf ganz großer Bühne verhandelt. Am 30. November, wenn beim G20-Treffen die Mächtigen der Welt in Buenos Aires zusammenkommen, wird die argentinische Regierung auch ihre Pläne zur Sprache bringen. Denn das südamerikanische Land will näher an die Atommächte heranrücken. Nicht umsonst holt die Regierung sich China und Russland als Investoren mit ins Boot. Doch das Uran, das zum Betrieb benötigt wird, liegt noch tief vergraben in Chubut. Die dortige Bevölkerung hat schon frühere Bergbauprojekte erfolgreich verhindert und sagt auch jetzt zum zerstörerischen Uran-Abbau: Nein heißt nein.


Zu diesem Text gibt es auch einen Radiobeitrag:
https://www.npla.de/podcast/megamineria-in-patagonien-auf-spurensuche-in-chubut/


URL des Artikels:
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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2018

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