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RESSOURCEN/067: Mexiko - Fracking auf dem Vormarsch, betroffene Gemeinden klagen über Mangel an Informationen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Juni 2015

Mexiko: Fracking auf dem Vormarsch - Betroffene Gemeinden klagen über Mangel an Informationen

Von Emilio Godoy


MEXIKO-STADT (IPS) - "Die Leute hier haben keine Ahnung, was hydraulisches Fracking ist. Sie sind auch nicht beunruhigt, weil ihnen die Folgen noch nicht klar sind", sagt Gabino Vicente, Vertreter eines Gemeindebezirks im Süden Mexikos, wo die Exploration der Schieferöl- und -gasvorkommen voranschreitet.

Vicente ist der lokale Vertreter der 1.000 Einwohner zählenden Ortschaft Santa Úrsula im Gemeindebezirk San Juan Bautista Tuxtepec rund 450 Kilometer südlich von Mexiko-Stadt im Bundesstaat Oaxaca. Wie er berichtet, wird um das Thema 'Fracking' ein großes Geheimnis gemacht. "Es fehlt an Informationen."

Tuxtepec, wo insgesamt 155.000 Menschen leben, und der Oaxaca-Bezirk Loma Bonita sind zusammen mit weiteren sieben Distrikten im benachbarten Bundesstaat Veracruz Teil des Projekts 'Papaloapan B' zur Exploration und Ausbeutung nicht-konventioneller Energieressourcen.

Das Projekt wird vom staatlichen Erdölkonzern PEMEX und von der staatlichen wenngleich autonomen Nationalen Kommission für fossile Brennstoffe (CNH) vorangetrieben. Es umschließt ein 12.805 Quadratkilometer großes Gebiet, auf dem 166.000 bis 279.000 Milliarden Barrel Öläquivalent nichtkonventioneller Ressourcen vermutet werden.

Im Rahmen des Programms sollen 120 Probebohrungen und 24 geologische Studien durchgeführt werden. Die Investitionen werden auf 680 Millionen US-Dollar veranschlagt.

Geheimniskrämerei

Doch in Tuxtepec weiß niemand über das Projekt Bescheid. "Wir tappen im Dunkeln. Die Unternehmen informieren die Gemeinden in aller Regel nicht über das, was sie vorhaben. Sie handeln im Verborgenen oder mauscheln mit einigen Landeigentümern. Sie spielen mit der Not der Menschen", kritisiert Vicente.

Hydraulisches Fracking ist ein umstrittenes Verfahren der Schiefergasproduktion, bei dem größere Mengen Wasser, Sand und Chemikalien unter Hochdruck bis in 2.000 Meter Tiefe ins Gestein gepresst werden.

Die US-Energieinformationsbehörde EIA listet Mexiko in einer Untersuchung über 137 Schiefergaslager in 41 Ländern auf Platz sechs nach China, Argentinien, Algerien, den USA und Kanada. Hinsichtlich der Ölreserven belegt das lateinamerikanische Land den siebten Platz.

In Mexiko wird die Fracking-Technologie weitgehend unreguliert und von der Bevölkerung unbemerkt eingesetzt. Erkenntnissen der Nichtregierungsorganisation 'Cartocrítica' wurden bisher mindestens 924 Probebohrungen in sechs der 32 mexikanischen Bundesstaaten durchgeführt, davon 349 in Veracruz.

2010 allerdings hatten das Energieministerium und die CNH in einem Bericht die Zahl der allein in Veracruz und in dem Nachbarstaat Puebla realisierten Probebohrungen mit 1.323 angegeben.

Im nordöstlichen Bundesstaat Tamaulipas wurden bereits 100 Brunnen angelegt, wie Ruth Roux, Leiterin der Fakultät für soziale Studien der Autonomen Universität Tamaulipas, berichtet. Diese Arbeiten seien erfolgt, ohne dass die lokalen Bauern, die die entsprechenden Grundstücke verpachtet hätten, von den Vorhaben in Kenntnis gesetzt oder über deren Folgen informiert wurden.

"Zunächst einmal ist problematisch, dass keine Angaben zu der Lage der Brunnen gemacht werden. Die Bauern möchten aber wissen, was mit ihrem Land geschieht. Inzwischen nehmen sie wahr, dass sich ihre Umgebung verändert. Sie haben keine Ahnung, was Schiefergas geschweige denn Fracking ist."

Roux und ihr Expertenteam hatten im Rahmen einer Studie über die sozialen Folgen der Explorationsarbeiten und der Ausbeutung von Schiefergas mit Sorghum-Bauern und Vertretern von vier Gemeindebezirken in Tamaulipas gesprochen. Diese berichteten, dass sich bei ihnen inzwischen ein Gefühl der Ohnmacht und Unsicherheit breit mache. In diesen Gemeinden seien in nächster Nachbarschaft von 443 Wohnstätten 42 Brunnen gebohrt worden.

Die Fracking-Unternehmen argumentieren, dass die Entwicklung unkonventioneller Gasreserven strategisch wichtig ist, um die Erdgasproduktion aufrechterhalten zu können, die im April mit 6,26 Milliarden Kubikfuß (0,18 Kubikmeter) pro Tag angegeben wurde.

Schiefergasvorräte übersteigen konventionelle Ressourcen

PEMEX hatte die konventionellen Gasreserven Mexikos im Januar 2014 mit rund 16 Billionen und die Schiefergasreserven mit 141 Billionen Kubikfuß angegeben. Bis 2026 wird Mexiko den Hochrechnungen von PEMEX zufolge elf Milliarden Kubikfuß Erdgas produzieren, 45 Prozent sollen demnach aus nicht konventionellen Quellen kommen. Das Unternehmen hat fünf vielversprechende Schiefergasreserven in elf Bundessstaaten ausgemacht.

Im August 2014 hatte Mexiko den rechtlichen Rahmen für die Reform des Energiesektors geschaffen. Die CNH bereitet derzeit eine öffentliche Ausschreibung vor, um mexikanische und ausländische Unternehmen an der Gewinnung und dem Verkauf von Energie sowie an der Förderung von Erdöl und Erdgas zu beteiligen.

Der Transformationsprozess gründet auf neun neuen Gesetzen und der Reform weiterer zwölf, die der historischen Energiereform vom Dezember 2013 Leben einhauchen sollen.

Das neue Gesetz für fossile Brennstoffe sieht vor, dass sich Landeigentümer mit PEMEX oder den lizensierten Unternehmen über die Nutzung der ausgewählten Grundstücke verständigen müssen. Kommt es zu keiner Einigung, wären die Landeigentümer gezwungen, ein entsprechendes Gerichtsurteil zu akzeptieren.

Vicente zufolge lässt das Gesetz den Gemeinden wenig Spielraum, um sich gegen die Fracking-Pläne zu wehren. "Wir fürchten jedoch um unser Wasser. Beim Fracking-Verfahren wird viel Wasser benötigt und zudem mit Chemikalien verseucht", warnt er.

Die Bevölkerung von Tuxtepec lebt vom Zuckerrohr-, Kautschuk- und Maisanbau sowie von der Viehzucht, Fischerei und dem Handel. Ihr ist es 2011 gelungen, den Bau des Wasserkraftwerks Cerro de Oro zu verhindern, das 14,5 Megawatt Strom produzieren sollte.

Vertreter des Gemeindebezirks hoffen nun, dass sie mit diesem Rezept auch im Kampf gegen die Fracking-Pläne Erfolg haben. "Wir organisieren uns wieder", meint ein Vertreter der Gemeinde. "Denn was in anderen Bundesstaaten geschieht, wird auch uns widerfahren."

Papaloapan B ist Teil des Explorationsvorhabens 'Proyecto Integral Cuenca de Veracruz', das die Ausbeutung von Schiefergas in 51 Gemeinden in Veracruz vorsieht.

PEMEX hat bereits in der Umgebung von Tuxtepec einige Brunnen gebohrt, doch Informationen darüber liegen der Gemeinde nicht vor.

Klagen über Rückgang der Ernten

"Die Bauern von Tamaulipas beklagen, dass die Wasserkonzentration in ihren Böden zunimmt und dass die Parzellen nicht mehr so produktiv sind wie früher", berichtet Roux. Ihrer Meinung nach bergen die Explorationen ein hohes Konfliktpotenzial.

Die Expertin und ihr Forschungsteam werden ihre Untersuchungen auf die nordmexikanischen Bundesstaaten Nuevo León und Coahuila ausweiten, wo bereits 182 respektive 47 Probebohrungen durchgeführt wurden.

Bei jeder Bohrung kommen zwischen neun Millionen und 29 Millionen Liter Wasser zum Einsatz. Darüber hinaus enthalten die Flüssigkeiten, die in das Gestein gepresst werden, 750 chemische Komponenten, von denen einige gesundheits- und umweltschädlich sind, wie Umweltschützer und Wissenschaftler gleichermaßen warnen. (Ende/IPS/kb/29.06.2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/06/fractura-hidraulica-avanza-de-puntillas-por-tierras-mexicanas/
http://www.ipsnews.net/2015/06/fracking-expands-under-the-radar-on-mexican-lands/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2015

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