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SOZIALES/070: Indien - 200.000 Waldbewohner von Staudammprojekt am Godavari bedroht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Februar 2015

Indien: Wenn Entwicklung Vertreibung bedeutet - 200.000 Waldbewohner von Staudammprojekt am Godavari bedroht

von Stella Paul



Bild: © Stella Paul/IPS

Indigene Waldbewohner im südwestindischen Bundesstaat Andhra Pradesh werden mit alternativen landwirtschaftlichen Techniken vertraut gemacht
Bild: © Stella Paul/IPS

Chintoor, Indien, 12. Februar (IPS) - Im südwestindischen Bundesstaat Andhra Pradesh steht fast 200.000 indigenen Waldbewohnern die Umsiedlung bevor. Sie müssen einem Megastaudamm am Godavari weichen, dem zweitgrößten Fluss des südasiatischen Landes nach dem Ganges.

Insgesamt werden dem Polavaram-Damm, der in den Bezirken West- und Ost-Godavari als Teil eines Mehrzweck-Bewässerungsprojektes entsteht, mindestens 276 indigene Dörfer geopfert. Auch die Tage von Narakonda sind gezählt, der Heimat von Sitamma Rao und Sodi Bhimaiah.

Ist die 45 Meter hohe und 2,32 Kilometer breite Staumauer im Bezirk West Godavari erst fertig gestellt, heißt es für sie vom Land ihrer Vorväter Abschied zu nehmen. Dies könnte bereits in drei Jahren Fall sein.

Das Paar weiß, dass ihm harte Zeiten bevorstehen. "Deshalb versuchen wir die verbleibende Zeit zu nutzen, und uns die Kenntnisse anzueignen, die wir brauchen, um die Produktivität weniger fruchtbarer Böden zu steigern", sagt Sitamma Rao. In dem kleinen Familiengarten können sie bereits eine Vielfalt von Obst und Gemüse ernten.

Die Regierung hat zwar versprochen, alle Betroffenen angemessen zu entschädigen. Doch konkrete Zusagen wurden nicht gemacht. Auch hat sich bisher kein einziger Regierungsbeamter in den gefährdeten Dörfern eingefunden, wo die Familien in aller Regel mit 30 Rupien (0,50 US-Dollar) pro Tag auskommen müssen.


Diversifizierung der Landwirtschaft

Angesichts der bevorstehenden Vertreibung sehen sich die traditionellen Jäger und Sammler nach alternativen Überlebensmöglichkeiten um. In Dutzenden Dörfern in der Nähe der Baustelle, an den Ausläufern der Papi-Gebirgskette, lassen sich die Koya und Kondareddi, die von der indischen Regierung als besonders verletzliche Völker eingestuft werden, von einer Nichtregierungsorganisation bei der Umstellung auf nachhaltige Agraranbaumethoden helfen.

Seit Generationalen leben die Gemeinschaften auf beiden Seiten der Godavari-Schlucht von der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und vom Verkauf von Waldprodukten auf den nahegelegenen Märkten. Seit drei Jahren hilft die Kovel-Stiftung, eine lokale Non-Profit-Organisation, den Waldbewohnern im Rahmen eines dreijährigen Projekts, sich alternative Möglichkeiten des Lebensunterhalts zu erschließen.

2.000 Kleinbäuerinnen in 46 Dörfern werden zur Diversifizierung ihrer Agrarerzeugnisse angeleitet, mit nachhaltigen Anbautechniken vertraut gemacht und mit Saatgut und finanziellen Mitteln ausgestattet. Ursprünglich war das Projekt von der Zentralregierung entwickelt worden, um ländlichen Frauen zu Ernährungssicherheit und einem Jahreseinkommen von 800 bis 1.600 Dollar zu verhelfen.

Vor der Unterstützung durch die Kovel-Stiftung hatten die Gemeinschaften der Region weitgehend davon gelebt, Früchte und Kräuter zu sammeln und Waldprodukte zu verkaufen. Damit konnten sie sich ein Zubrot von acht bis 24 Dollar im Monat verdienen.

Laxamma Raju ist in Aligudem zu Hause, einem weiteren vom Untergang bedrohten Dorf. Sie bewirtschaftet ein 0,2 Hektar großes Grundstück. In sieben Reihen wachsen Rettich, Okra, Auberginen, Möhren, Zwiebeln, Gurken, Kürbisse, Kuhbohnen, Tomaten und Chili. Apfelbäume und Bananenstauden sehen hier neben Mango- und Zimtapfelbäumen. Dazwischen gedeihen Sonnenblumen und Ringelblumen. "Die leuchtenden Blüten ziehen das Ungeziefer an", erläutert Satya Raju, Laxammas Mann. "Sie fungieren als natürliche Insektenfallen."

Der Gedanke, so viele unterschiedliche Feldfrüchte anzubauen und zu essen, fasziniert die Bauern der Region, hatten sie nie zuvor eine solche Vielfalt genossen. "Einst bauten wir in erster Linie Reis, ein bisschen Hirse und Kichererbsen an", berichtet Laxamma Raju im IPS-Gespräch. "Doch seit einem Jahr ernten wir jede Woche körbeweise unterschiedliches Gemüse." Ein Teil wird verkauft.

Ein verlässliches Zubrot von 20 Dollar im Monat ist den indigenen Waldbewohnern willkommen. Immerhin leben 70 Prozent den offiziellen Angaben zufolge unterhalb der Armutsgrenze. Die Alphabetisierungsrate in den abgeschiedenen Indigenen-Gebieten von Andhra Pradesh wird mit 47 Prozent angegeben.

Zu den größten Problemen der Menschen zählen fehlende Bewässerungsmöglichkeiten, wie Beera Voina Murali, eine Angehörige der Koya und Ausbilderin bei der Kovel-Stiftung erläutert. "Der Monsunregen ist die einzige Bewässerungsquelle", sagt sie. "Zwar subventioniert die Behörde für indigene Angelegenheiten den Kauf von Pumpen, doch kosten sie noch immer an die 2.000 Dollar. Für die marginalisierten Bauern ist das ein Betrag, den sie nicht aufbringen können."

Und selbst denjenigen, denen es tatsächlich gelungen ist, sich eine Pumpe zu beschaffen, fällt es schwer, den dafür erforderlichen Treibstoff zu kaufen. Laxamma Raju zum Beispiel gibt monatlich zehn Dollar für Diesel aus.

Der Polavaram-Damm soll das Bewässerungsproblem von Landwirtschaft und Industrie lösen. Der der Stausee wird den Plänen zufolge 551 Millionen Kubikmeter Wasser fassen und die Bewässerung von gut 28.000 Hektar Land ermöglichen. Doch diese 'Lösung' ist für die 200.000 Indigenen, die dem Dammprojekt weichen müssen, eine Katastrophe.


Heute Felder ohne Wasser, morgen Wasser ohne Felder

"Heute fehlt es uns an Wasser für unsere Felder. Morgen werden wir, wenn das Wasser kommt, unser Zuhause verlieren", meint Edu Konda, eine weitere Kovel-Ausbilderin, die an den Protestaktionen gegen das Vorhaben aktiv beteiligt ist.

Im letzten Jahr waren Vertreter der Gemeinden nach Rampachodavaram gereist, um bei der Behörde für indigene Angelegenheiten gegen die Überflutungspläne zu protestieren. "Dort sagte man uns: 'Ihr werdet in gute und fruchtbare Gegenden umgesiedelt'", erinnert sich Konda. "Doch einen Monat später hatte man den Beamten versetzt. Somit können wir wieder bei null anfangen."

Die Wiederansiedlung der Menschenmassen, die bereits solchen 'Entwicklungsprojekten' weichen mussten, lässt zu wünschen übrig. Der Sardar-Sarovar-Damm am Narmada in Zentralindien hatte 2005 die Umsiedlung von 300.000 Menschen erforderlich gemacht. Zehn Jahre später warten noch immer 40.000 darauf, angesiedelt beziehungsweise für den Verlust ihres Landes entschädigt zu werden.

Eine ähnliche Kontroverse löste der Hasdeo-Bango-Staudamm im zentralen Bundesstaat Chhattisgarh aus. Die 1962 angelaufenen Bauarbeiten wurden 2011 abgeschlossen und bedeuteten den Untergang von 52 mehrheitlich indigenen Dörfern. Den betroffenen Menschen fehlt es bis heute an grundlegenden Dienstleistungen. Und die Einkommensmöglichkeiten haben sich sogar noch verschlechtert, wie offiziellen Quellen zu entnehmen ist.

Angesichts dieser Erfahrungen halten es viele der künftigen Polavaram-Damm-Opfer für sinnlos, sich überhaupt mit alternativen Anbaumethoden vertraut zu machen. Die große Mehrheit jedoch ist überzeugt, von den neu erworbenen Kenntnissen zu profitieren - gerade weil sie damit rechnen müssen, in weniger produktive Regionen umgesiedelt zu werden. (Ende/IPS/kb/2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/02/in-the-shadow-of-displacement-forest-tribes-look-to-sustainable-farming/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 12. Februar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2015

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