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SOZIALES/077: Äthiopien - UNESCO-Mission untersucht Folgen von Megadamm Gilgel Gibe III für indigene Völker (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. April 2015

Äthiopien:
UNESCO-Mission untersucht Folgen von Megadamm Gilgel Gibe III für indigene Völker

Von Chalachew Tadesse



Bild: CC-BY-SA-3.0 via Wikimedia Commons

Blick auf den vier Millionen Jahre alten Turkana-See
Bild: CC-BY-SA-3.0 via Wikimedia Commons

Addis Abeba, 20. April (IPS) - Eine Delegation aus Vertretern der Weltkulturorganisation UNESCO wird noch in diesem Monat Äthiopien besuchen, um die bisherigen Auswirkungen des Riesenstaudamms 'Gilgel Gibe III' auf das Leben der indigenen Völker im unteren Tal des Flusses Omo im Südwesten und im Turkana-Gebiet zu untersuchen.

Der Omo speist den Turkana-See, das größte Binnengewässer Kenias, dessen Nordspitze bis nach Äthiopien reicht. Aus einem jüngsten Bericht der Indigenen Hilfsorganisation 'Survival International' mit Sitz in Großbritannien geht hervor, dass der Omo durch das Megastauwerk mit der höchsten Talsperre Afrikas in Verbindung mit großflächigen Bewässerungsvorhaben viel zu viel Wasser verliert und das Volk der Kwegu um seine wichtigste Bezugsquelle für Trinkwasser und Fisch gebracht wird. Laut 'Survival International' sind die Kwegu im Südwesten Äthiopiens massiv von Hunger bedroht, weil der Fluss austrocknet und die Wälder sterben, die ihren Lebensunterhalt sichern.

Der Damm, einer der größten Afrikas, ist zu fast 90 Prozent fertiggestellt. Wie aus einer Regierungsmitteilung hervorgeht, soll er erstmals nach der Regenzeit im August Strom produzieren. Doch Kritiker fürchten um die Zukunft des berühmten unteren Omo-Tals und den Turkana-See. Beide stehen auf der UNESCO-Liste des Welterbes der Menschheit. Das untere Omo-Tal gehört zu den kulturell vielfältigsten Stätten der Welt. Bei archäologischen Ausgrabungen wurden über 2,4 Millionen Jahre alte menschliche Überreste gefunden. Der Turkana-See, selbst vier Millionen Jahre alt, gilt als die 'Wiege der Menschheit'.


Regierung wiegelt ab

Die UNESCO hatte vergeblich versucht, die äthiopische Regierung zur Einstellung der Bauarbeiten zu bewegen und eine unabhängige Studie über die möglichen Auswirkungen zuzulassen. Addis Abeba begründete seine Weigerung jedoch damit, dass man mit einer von der Weltbank finanzierten internationalen Beratungsfirma eine Untersuchung durchgeführt habe. Danach wird der Damm die Strömung des Flusses regulieren. Die negativen Folgen für den Turkana-See hielten sich in Grenzen, versicherte der äthiopische Wasser- und Energieminister Alemayehu Tegenu im letzten Monat gegenüber dem staatsnahen Rundfunksender FBC.

Doch gibt es eine Reihe überzeugender Einwände gegen das Kraftwerksprojekt. Unter anderem gefährde der Damm die Lebensweisen von 200.000 Bauern und Viehzüchtern der Volksgruppen der Mursi, Bodi, Kwegu und Suri in der Turkana-Region und im unteren Omo-Tal, heißt es. Die wasserintensiven kommerziellen Plantagen am Omo könnten den Wassernachschub für den Turkana-See, der zu 90 Prozent vom Omo gespeist wird, um 70 Prozent senken. Der ohnehin schon schrumpfende See ist der Lebensraum von mindestens 60 Fischarten und könnte durch die kommerziellen Plantagen mit Chemikalien und Stickstoff in Äthiopien verseucht werden.

Der 'Sustainable Food Trust', eine auf Ernährungssicherheit spezialisierte Organisation, warnt in einem Bericht, dass es im Zuge der großflächigen Bewässerungsprojekte neben dem massiven Wasserverlust zu einer Versalzung der Böden kommen könnte.

Als das größte Problem werden die staatlichen Kuraz-Zuckerrohrfelder gesehen. Die UNESCO befürchtet, dass der Wasserbedarf dieser Plantagen den Turkana-See um die Hälfte seines Wassernachschubs bringen, den Wasserpegel um 20 Meter senken und zu einem Rückzug am Nordufer um 40 Kilometer führen wird.

"Ein Rückgang der Fischbestände hat gravierende Auswirkungen auf die 200.000 Menschen, für die der See die Existenzgrundlage darstellt", warnt Felix Horne von der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) in Äthiopien. Er schätzt, dass je nach angewandter Bewässerungsmethode zwischen 20 und 52 Prozent des Omo-Wassers den See nicht erreichen werden.

Yared Hailemariam, ein in Belgien lebender ehemaliger Oppositionspolitiker und Menschenrechtsaktivist, ist der Meinung, dass sich die UNESCO nicht mit Bemühungen um eine Verkleinerung des Staudamms aufhalten, sondern die Zuckerrohrfelder ins Visier nehmen sollte.

Seit Baubeginn des Gigel Gibe III im Jahre 2006 wird der äthiopischen Regierung vorgeworfen, die indigenen Minderheitsgruppen aus dem unteren Omo-Tal zu vertreiben und das Überleben der Menschen im Umfeld des Turkana-Sees zu gefährden.

Vor drei Jahren hatte HRW auf die Zwangsvertreibung indigener Hirtengemeinschaften im unteren Omo-Tal berichtet. Es sei zu keinen Beratungen mit den Betroffenen gekommen. Auch seien diese im Zuge der sogenannten 'villagisation' - der Umsiedlung der Menschen in neue Dörfer - nicht angemessen entschädigt worden. Zu Beginn des Umsiedlungsprogramms seien die indigenen Gemeinschaften mit einer Mischung aus Gewalt und Anreizen wie Nahrungsmittelhilfen zum Umzug in die künstlichen Dörfer genötigt worden, berichtet Horne.


"Kenia hat sich arrangiert"

Argaw Ashine, ein exilierter Umweltjournalist und Korrespondent der 'East African Nation Media Group', geht davon aus, dass sich die kenianische Regierung inzwischen mit der äthiopischen Regierung arrangiert hat. Seiner Meinung nach besteht bereits ein bilaterales Abkommen, das Kenia Sonderkonditionen für den Bezug von Strom des Gilge III in Aussicht stellt. Berichten zufolge könnte Kenia 300 Megawatt Strom aus dem Wasserkraftwerk des Nachbarlandes beziehen. "Der Regierung ist der Energiehunger der städtischen Industrie wichtiger als das Los der Menschen am Turkana-See", so Argaw Ashine.

"Besonders kritisch ist die Lage der Kwegu", betont Elizabeth Hunter von Survival International. "Uns liegen beunruhigende Berichte vor, wonach die Indigenen schon jetzt hungern, weil es ihnen aufgrund des Staudammprojekts nicht mehr möglich ist, zu fischen und Landwirtschaft zu betreiben."

Wie sie weiter kritisiert, wird bereits Wasser über Kanäle aus dem Omo auf kommerzielle Plantagen geleitet. Seit 2008 befindet sich laut dem Sustainable Food Trust inzwischen eine Fläche von der Größe Frankreichs in der Hand ausländischer Konzerne. Die äthiopische Regierung habe vor, eine doppelt so große Fläche in den nächsten Jahren an internationale Unternehmen zu verpachten.

Aufgrund seines Potenzials, die derzeitige Stromproduktion des Landes zu verdoppeln, kommt Gibe III eine Schlüsselrolle im fünfjährigen Wachstums- und Transformationsplans (GTP) Äthiopiens zu, der den energieklammen Staat bis 2025 zu einem Land mittleren Einkommens machen soll.


Indigene zahlen den Preis

Doch ist die Sorge groß, dass die Interessen und Werte der indigenen Gemeinschaften der Modernisierung und Entwicklung geopfert werden. Yared Hailemariam und Argaw Ashine werfen der Regierung in Addis Abeba einen Mangel an Inklusion und Partizipation bei der Planung und Umsetzung des GTP vor. Argaw Ashine spricht von einer Top-Down-Entscheidung, die die betroffenen Gemeinschaften im unteren Omo-Tal komplett ausgeklammert habe.

"Die Regierung wird nicht in der Lage sein, eine nachhaltige Entwicklung sicherzustellen, wenn sie gleichzeitig gegen die Interessen und die Bedürfnisse so vieler marginalisierter Menschen verstößt". Argaw Ashine zufolge geht es der äthiopischen Regierung vor allem darum, "die Indigenen auf kurz oder lang zu Lohnarbeitern auf kommerziellen Farmen zu machen." (Ende/IPS/kb/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/04/fears-grow-for-indigenous-people-in-path-of-massive-ethiopian-dam/

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IPS-Tagesdienst vom 20. April 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2015

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