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SOZIALES/094: Beispiellos - OECD leitet Untersuchung gegen WWF ein (Survival)


"Survival International" - Deutsche Sektion - 5. Januar 2017

Beispiellos: OECD leitet Untersuchung gegen WWF ein


In einem beispiellosen Zug hat ein Mitgliedsland der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine "Untersuchung gegen den World Wide Fund for Nature (WWF) eingeleitet. Bisher wurde das Verfahren nur auf multinationale Unternehmen angewandt. Dem WWF wird vorgeworfen, Menschenrechtsverletzungen in Kamerun finanziert zu haben.

Survival International hatte im Februar 2016 die OECD-Beschwerde eingereicht. Darin wurden zahllose Beispiele gewaltsamer Misshandlungen und Einschüchterungen von Baka-"Pygmäen" durch WWF-finanzierte Wildhüter in Kamerun dargelegt. Survival wirft dem WWF zudem vor, für Naturschutzprojekte auf dem angestammten Land der Gemeinden nicht deren freie, vorherige und informierte Zustimmung eingeholt zu haben.

Erstmals wird mit dem WWF eine gemeinnützige Organisation in diesem Prozess geprüft. Dass die Beschwerde für zulässig erklärt wurde, deutet darauf hin, dass die OECD den WWF an den gleichen Menschenrechts-Standards messen wird wie profitorientierte Unternehmen.

Der WWF finanziert Anti-Wilderei-Einheiten in Kamerun und anderen Teilen des Kongobeckens. Baka und andere Völker im Regenwald beklagen seit über 20 Jahren systematische Misshandlungen durch diese Einheiten, darunter Festnahmen, Schläge, Folter und sogar Tod. Baka wurden aus großen Teilen ihres angestammten Landes vertrieben. Ihnen droht Gewalt durch WWF-finanzierte Wildhüter, wenn sie jagen, sammeln oder heilige Stätten besuchen. ¸ Survival International

Erstmals forderte Survival den WWF 1991 dazu auf, sein Vorgehen in der Region zu ändern. Doch die Lage hat sich seitdem verschlechtert.

Baka haben gegenüber Survival wiederholt die Aktivitäten der Wildhüter in der Region geschildert. 2016 erklärte ein Baka-Mann: "Die [Wildhüter] schlugen die Kinder und auch die älteren Frauen mit Macheten. Meiner Tochter geht es immer noch schlecht. Sie zwangen sie sich hinzuhocken und schlugen sie überall - auf den Rücken, auf ihren Po, überall mit Macheten."

In zwei offenen Briefen haben die Baka leidenschaftliche Plädoyers an Naturschützer*innen gerichtet: "Naturschutz-Projekte müssen Erbarmen haben, wie wir den Wald nutzen können (...) denn unsere Leben hängen davon ab."

Der WWF hat Survivals Anschuldigungen zurückgewiesen. Er erkennt an, dass Misshandlungen stattgefunden haben, erklärte aber 2015, dass solche Vorfälle "scheinbar abgeflaut sind" - trotz wiederholter Aussagen der Baka selbst. In seiner Antwort an die OECD nannte der WWF die politische Instabilität in der Region und die Schwierigkeiten im Prozess der Schaffung der "Schutzgebiete" für Wildtier-Management als Hauptgrund dafür, dass es zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sei. Der WWF stritt seine Beteiligung an der Finanzierung, Ausbildung und Ausrüstung der Wildhüter nicht ab.

Stephen Corry, Direktor von Survival International, erklärte: "Dass die OECD unsere Beschwerde angenommen hat, ist ein riesiger Schritt für bedrohte Völker. Sie können die OECD-Richtlinien schon jetzt nutzen, um sich gegen Unternehmen zu wehren, die ihre Rechte mit Füßen treten. Doch es ist das erste Mal, dass die Regeln auch für NGOs in der Größenordnung des WWF angewandt werden. Die Arbeit des WWF hat für indigene Völker im Kongobecken schmerzvolle Jahrzehnte gebracht. Der WWF hat nichts unternommen, um die Sorgen von Tausenden Indigenen effektiv zu adressieren, die durch seine Projekte enteignet und misshandelt wurden. Das muss sich ändern. Wenn der WWF nicht gewährleisten kann, dass seine Vorhaben UN- und OECD-Standards einhalten, sollte er sie einfach nicht finanzieren. Was auch immer der WWF an anderer Stelle Gutes tut, kann nicht entschuldigen, dass er Menschenrechtsverletzungen finanziert. Die großen Naturschutzorganisationen müssen aufhören am Raub indigenen Landes mitzuwirken. Indigene Völker sind die besten Umweltschützer und Wächter der natürlichen Welt. Sie sollten die Naturschutzbewegung anführen."


Hintergrundinformationen

• Die OECD ist eine internationale Organisation mit 35 Mitgliedsstaaten. Sie hat Leitsätze für multinationale Unternehmen entwickelt, die in nationalen Kontaktstellen eines jeden Mitgliedstaates überwacht werden. Sie bieten eine der wenigen Möglichkeiten multinationale Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie die Menschenrechte von Gemeinden in ihren Projekten nicht respektieren.

• Der internationale Hauptsitz des WWF liegt in der Schweiz. Dort hat Survival seine Beschwerde eingereicht, da Kamerun selbst nicht Mitglied der OECD ist.

• 2008 hatte Survival bei der OECD bereits eine Beschwerde gegen das britische Bergbauunternehmen Vedanta Resources eingereicht, das ohne Zustimmung auf dem Gebiet der Dongria Kondh in Indien arbeiten wollte. Die OECD entschied damals gegen Vedanta.

"Pygmäen" ist ein Sammelbegriff, der normalerweise unterschiedliche Jäger-und-Sammler-Völker aus dem Kongobecken und im zentralen Afrika bezeichnet. Auch wenn einige Indigene den Begriff als abschätzig ansehen und ihn vermeiden, nutzen ihn andere aus praktischen Gründen und als einfache Art, sich selbst zu beschreiben.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Dieses Baka-Mädchen wurde Anfang 2016 von WWF-finanzierten Wildhütern in Kamerun gefoltert. Damals war sie 10 Jahre alt. (Survival International)
  • Viele Baka sind gezwungen am Straßenrand zu leben. Alkoholismus und Krankheiten wie Malaria haben stark zugenommen und ihre Ernährung hat sich rapide verschlechtert. (Survival International)
  • Völker wie die Baka leben seit Jahrtausenden im Regenwald des Kongobeckens. Sie werden im Namen des Naturschutzes illegal vertrieben, doch Abholzung, Wilderei und andere Bedrohungen für Tierarten wie Flachlandgorilllas, Waldelefanten und Gürteltiere (Pangolin) dauern an. (Selcen Kucukustel/Atlas)

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Quelle:
Pressemitteilung vom 05.01.2017
Survival Deutschland
Haus der Demokratie und Menschenrechte
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2017

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