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URBAN/022: Bald 3,9 Milliarden Städter - Experten fordern Schutz für öffentlichen Raum (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. September 2014

Bevölkerung: Bald 3,9 Milliarden Städter - Experten fordern Schutz für öffentlichen Raum

von Gloria Schiavi


Bild: © Malini Shankar/IPS

Prekäre Wasserversorgung in einem indischen Slum
Bild: © Malini Shankar/IPS

New York, 24. September (IPS) - In Städten leben bereits mehr Menschen als in ländlichen Gebieten. Nach Einschätzung des Programms der Vereinten Nationen für menschliches Siedlungswesen (UN-Habitat) mit Sitz im kenianischen Nairobi wird sich dieser Trend weiter verstärken. Um ein nachhaltiges Städtewachstum zu erreichen, müsse besser geplant werden, so Exekutivdirektor Joan Clos.

"In der Hierarchie der Ideen kommt zuerst die Stadtgestaltung und dann alles andere", betonte Clos, der sich zu einem Vorbereitungstreffen für die 2016 geplante Weltkonferenz über nachhaltige urbane Entwicklung Habitat III in New York eingefunden hat. "Urbanisierung, Planung, Bauen - in dieser Reihenfolge sollte alles ablaufen", sagte er. In vielen Städten laufe es aber genau andersherum. Die daraus entstehenden Probleme im Nachhinein zu lösen, sei schwierig.

Nach Angaben der UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (DESA) ist die Stadtbevölkerung zwischen 1950 und 2014 von 746 Millionen auf 3,9 Milliarden Menschen angewachsen. 2045 soll die Zahl auf mehr als sechs Milliarden Städter gestiegen sein. Weltweit gibt es zurzeit 28 sogenannte Megastädte mit jeweils mindestens zehn Millionen Einwohnern. Bis 2030 wird es aller Voraussicht nach 41 solcher Riesenstädte geben.


Enorme Herausforderungen

In einem UN-Bericht wird dargelegt, dass urbane Siedlungen mit nie dagewesenen demografischen, ökologischen, sozialen und räumlichen Herausforderungen konfrontiert werden. Eine spontane Urbanisierung führt demnach meist zur Entstehung von Slums. Zwar hat der prozentuale Anteil der Bewohner städtischer Elendssiedlungen im Laufe der Jahre abgenommen, und das UN-Millenniumsziel, die Lebensbedingungen von mindestens 100 Millionen Slumbewohnern zu verbessern, konnte erreicht werden. In absoluten Zahlen gerechnet wird diese Bevölkerungsgruppe unter anderem auch wegen des raschen Städtewachstums immer größer.

Der Report geht davon aus, dass die Zahl der in Elendsvierteln lebenden Menschen zwischen den Jahren 2000 und 2012 von 760 Millionen auf 863 Millionen in die Höhe geschnellt ist. In der Vergangenheit sei die Urbanisierung langsamer vonstattengegangen, sagte Clos. "Wir haben in vielen Fällen beobachtet, dass ein spontaner Städtebau keine Rücksicht auf den öffentlichen Raum und seine Beziehung zu bebaubaren Grundstücken nimmt. Doch genau darin liegt die Kunst des Städtebaus."

Der ehemalige Bürgermeister von Barcelona ist der Meinung, dass der Städtebau vor allem eines braucht: Visionen. Es gehe nicht in erster Linie um den Bau von Häusern, sondern um die Entstehung gesunder, nachhaltiger Gemeinschaften.

Hier können Frauen einen wichtigen Beitrag leisten. Sie verbringen mehr Zeit mit ihren Familien und in den Gemeinschaften und wüssten deshalb besser über die Schwachpunkte in ihrem städtischen Umfeld Bescheid. Männer hingegen arbeiten häufig anderswo und kommen nur zum Schlafen nach Hause. Darauf wies Relinda Sosa, Vorsitzende der Nationalen Vereinigung von Frauen für Leben und integrierte Entwicklung in Peru, in New York hin. Die 120.000 Mitglieder zählende Organisation betreibt unter anderem Suppenküchen und setzt sich dafür ein, dass Frauen ihre Vorschläge für lebenswerte Städte in den Planungsprozess einbringen.

Carmen Griffiths, Führungsmitglied der Organisation 'Groots' in Jamaika, betonte, dass Frauen als erste den Mangel grundlegender Dienstleistungen zu spüren bekommen. "Wir schauen uns die Siedlungsschemata in den Städten an, wir sprechen über Bevölkerungsverdichtung und die Bewohner informeller Siedlungen in den Vorstädten, die manchmal kein Wasser, keine sanitären Anlagen und keinen Strom haben. Und wir reden darüber, warum Frauen in Städten Gewalt ausgesetzt sind", sagt Griffiths.

Nach Ansicht von Clos ist der Schutz des öffentlichen Raumes von entscheidender Bedeutung. Dieser sollte möglichst die Hälfte der bebaubaren Grundstücke einer Stadt ausmachen. Die jeweiligen Regierungen müssten sicherstellen, dass im öffentlichen Raum alle nötigen Dienstleistungen vorhanden seien. In Elendsvierteln, für die es weder Reglementierungen noch Investitionen gebe, sei dies nicht der Fall.

Griffiths trifft sich jeden Monat mit Frauen aus ihrer Organisation, um gemeinsam mit ihnen darauf hinzuarbeiten, dass deren Probleme bei den lokalen Behörden Gehör finden. "Manchmal hat man es mit fähigen Politikern zu tun, doch dann gibt es diejenigen, die nur wiedergewählt werden wollen und an einem Dialog nicht interessiert sind." Griffiths ist auch Mitglied eines Beratungsausschusses von UN-Habitat und will auf diese Weise die Anliegen von Groots in aller Welt bekannt machen.

Laut Sosa führen diese Anstrengungen dazu, dass Frauen allmählich mehr in Urbanisierungsprojekten berücksichtigt werden. In konservativen ländlichen Regionen treffe man in dieser Hinsicht aber nach wie vor auf Vorbehalte.


Städte und ihre Beziehungen zum ländlichen Raum

Um urbane und rurale Gebiete stärker zusammenzuführen, plädiert Maruxa Cardama, Exekutiv-Projektkoordinatorin des Bündnisses 'Comunitas', für einen Inklusionsplan zugunsten nachhaltiger Städte und Regionen. Städte seien abhängig vom Agrarsektor und den Rohstoffen aus ländlichen Gebieten, erklärte sie. Deshalb sollte die Stadtplanung nicht dort aufhören, wo die letzten hohen Häuser stünden. Ländliche Gebiete dürften nicht isoliert und von notwendigen Dienstleistungen abgeschnitten werden.

Die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, deren Entwurf 2015 abgeschlossen sein soll, sehen unter anderem vor, "Städte und menschliche Siedlungen inklusiv, sicher, resilient und nachhaltig zu machen." (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/09/urban-population-to-reach-3-9-billion-by-year-end

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IPS-Tagesdienst vom 24. September 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2014