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WASSER/254: Steht die Kommerzialisierung des Wassers bevor? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2018
Lebensadern unserer Erde
Flüsse - begradigt, gestaut, zerstört.

Steht die Kommerzialisierung des Wassers bevor?
Tendenzen und Entwicklungen in Politik und Zivilgesellschaft

von Dr. Durmus Ünlü


In der Wasserpolitik der Europäischen Union (EU) und damit auch der von Deutschland wirbt niemand offensiv für die "Kommerzialisierung der Nutzung von Wasserressourcen". Tatsächlich aber "schwingt" die Kommerzialisierung des Wassers in vielen wasserpolitischen Themen immer mit. Das wird im Folgenden in einigen aktuellen Themen aufgezeigt. Aufgezeigt wird auch, dass die Zivilgesellschaft nicht nur reagiert, sondern agiert.


Gleich im ersten Erwägungsgrund der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) steht: "Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss." Allerdings sieht die WRRL vor, dass die darin gesteckten Ziele bis 2027 erreicht werden müssen. Ob sie bis dahin und überhaupt irgendwann erreicht werden, hängt vor allem von den betroffenen AkteurInnen ab, die sich um die wirtschaftlichen Folgen einer zu strengen Umsetzung der WRRL fürchten. Erste Wirtschaftsbereiche wie die Landwirtschaft oder aus der Industrie bringen sich bereits argumentativ in Stellung, um die WRRL grundsätzlich in Frage zu stellen, um die Ziele zu schwächen und so ihre wirtschaftlichen und industriellen Interessen zu sichern. Damit es aber gar nicht zu einer Abschwächung der WRRL kommt, haben 100 europäische Umwelt- und Naturschutzverbände die Kampagne '#ProtectWater' für den Erhalt und Umsetzung der WRRL gestartet. Dabei geht es auch um den Schutz von Wasser als Gemeingut.

Tendenzen, die dem entgegenstehen, sind bereits heute sichtbar. So ist zum Beispiel bekannt geworden, dass in dem kleinen Ort Vittel der Grundwasserspiegel dramatisch gesunken ist, weil vor allem Nestlé seit Jahren das Grundwasser entnimmt. Für die Menschen vor Ort muss zur Sicherstellung der Wasserversorgung aus der Nachbarschaft Quellwasser durch ein Pipeline angeschafft werden, während Nestlé weiter Wasser entnehmen darf. Beispiele struktureller Änderungen gibt es aber auch in der EU-Politik, im Folgenden werden einige dieser dargestellt.

Wasserwiederverwendung
Ein aktuelles Beispiel für die Kommerzialisierung von Wasser ist der Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung zur Wiederverwendung von Abwasser für landwirtschaftliche Bewässerung.[1] Der Anlass für diesen Vorschlag ist durchaus berechtigt: Dürre und Wasserknappheit in Europa schreiten voran. Die Auswirkungen des Klimawandels sind für alle spürbar. Zusätzlich zu fachlichen Fragen - vor allem der hygienischen - bleiben in dem Verordnungsvorschlag wichtige Fragen ungeklärt: Wer finanziert die Aufbereitung, wer trägt die Kosten und die Risiken? Das wiederverwendbare Abwasser reicht dafür auch mengenmäßig bei Weitem nicht aus. Dort wo solches Wasser am dringendsten benötigt wird, werden sich auch Fragen um die Erteilung von Wasserrechten zur Wiederverwendung von kostspielig aufbereitetem Abwasser stellen. In ersten Analysen des Verordnungsvorschlags wird nüchtern davon ausgegangen, dass "zumindest mittelfristig ein Markt für aufbereitetes Abwasser"[2] entstehen könnte, womit wir wieder bei der Kommerzialisierung des Wassers wären. Es kann auch dazu führen, dass Wassernutzungsrechte versteigerbar bzw. handelbar werden. Deshalb ist es nur konsequent, wenn vor einer solchen Nutzung an erster Stelle die sparsame und effiziente Verwendung des Wassers in der Landwirtschaft, sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht, verbindlich wird und sie nicht nur eine unverbindliche Empfehlung der EU-Kommission in einer Mitteilung bleibt.[3] Es ist richtig, wenn deshalb die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) noch stärker an Maßnahmen zum Gewässerschutz gekoppelt wird, so wie es zahlreiche Umweltorganisationen fordern.

Trinkwasser-Richtlinie
Ein weiterer Vorstoß der EU-Kommission in Richtung Kommerzialisierung zeigt sich in dem Vorschlag für eine Neufassung der EU-Trinkwasserrichtlinie.[4] Der Entwurf enthält nicht nur Regelungen hinsichtlich der Trinkwasserqualität. In Anlehnung an die erste erfolgreiche Bürgerinitiative 'Right2Water' wird die Richtlinie nun u. a. um die Verbesserung des Zugangs zu Wasser für alle erweitert. Die Zivilgesellschaft drängt darauf, dass dies in der Richtlinie möglichst verbindlich geregelt wird. Tatsächlich bedeutet das Menschenrecht auf Wasser jedoch weit mehr, nämlich vor allem Ablehnung der Kommerzialisierung der Nutzung von Wasser sowie vorsorgender Ressourcenschutz unter Einbeziehung von sozialen Aspekten. Erschreckend ist, dass dieses von "Right2Water" geforderte Menschenrecht auf Wasser, das immerhin durch eine Resolution der Vereinten Nationen gedeckt ist und inzwischen auch in deren Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) Eingang gefunden hat, nun lediglich in einer Richtlinie als positive Reaktion auf die erfolgreiche EU-weite Bürgerinitiative gewürdigt wird. Das soll der normative Rang sein, dem das Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung in der EU beigemessen wird. Wo bleibt der grundsätzliche Vorrang gegenüber rein kommerziellen Interessen?

Handelspolitik
Besonders deutlich ist die Tendenz zu einer Kommerzialisierung des Wassers in der Handelspolitik der EU. Die neue Generation an Handelsabkommen folgt der Logik, alles was nicht ausdrücklich geschützt ist, ist Gegenstand des Freihandels. Die Folge davon ist: Liberalisierung, Kommerzialisierung, Privatisierung. Im Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA), das derzeit bereits vorläufig in Kraft getreten ist, musste deshalb ausdrücklich geregelt werden, dass Wasser keine Handelsware ist. Der letzte Absatz enthält davon jedoch eine Ausnahme, wonach bei einer kommerziellen Nutzung die ursprünglich genannte Kommerzialisierungslogik doch gilt. Gleichzeitig wird "kommerzielle Nutzung" in dem Zusammenhang nicht klar definiert. Noch gravierender ist jedoch das aktuell in Diskussion befindliche EU-Japan-Abkommen, da es überhaupt keine Regelung über die Nutzung von Wasserressourcen enthält, ergo die Nutzung der Wasserressourcen sämtlichen Kapiteln des EU-Japan-Abkommens unterfällt und allenfalls den gleichen Schutz hat wie jede andere Naturressource. Das bedeutet auch, dass die kommerzielle Nutzung der Wasserressourcen Vorrang vor anderen Nutzungen und Bedürfnissen haben kann.

Auf internationaler Ebene wird es darauf ankommen, welche Verantwortung wir im Hinblick auf unseren Wasserfußabdruck übernehmen. Wichtig ist, wie wir mit unseren Möglichkeiten politischen Handelns (z. B. in der Handelspolitik) tatsächlich eine verbindliche nachhaltige und menschenrechtskonforme Wasserpolitik etablieren. Eine gute Grundlage dafür bilden die SDGs, die ganzheitlich betrachtet werden müssen.

Die Zivilgesellschaft handelt
Trotz dieser aktuellen Entwicklungen gibt es Gegenwehr von den zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Konkret handeln Bürgerbewegungen immer mehr mit den lokalen Kommunen und Städten zusammen, anstatt frustriert darauf zu warten, dass internationale Abkommen irgendwann verbindlich werden. So hat sich innerhalb kurzer Zeit die weltweite Initiative 'Blue Community' durch lokale Bündnisse etabliert: Berlin, München, Augsburg, Marburg - und sicherlich noch weitere Städte werden folgen. Sie haben sich zu den Prinzipien der 'Blue Community' bekannt. Diese beinhalten die Anerkennung des Wassers als Menschenrecht, die Zusicherung, dass Wasserdienstleistungen in öffentlicher Hand bleiben, die Aufforderung, Leitungswasser anstelle von Flaschenwasser zu trinken und den Aufbau und die Pflege von öffentlich-öffentlichen Partnerschaften mit internationalen PartnerInnen.

Bei der Diskussion um die Auswirkungen von Landwirtschaft, Spurenstoffen und Mikroplastik steht die Forderung nach Vermeidung und Verursacherverantwortung ganz vorne. Womöglich steht ein Paradigmenwechsel in der Wasserpolitik an, an dessen Ende die Menschen, Umwelt und Natur miteinander die nachhaltige Nutzung von Wasser erreichen können.

Die Meldungen um die Nitratwerte im Grundwasser und der Nicht-Umsetzung der Nitratrichtlinie hat der Öffentlichkeit gezeigt, in welche Richtung es beim Zustand der Gewässer in Deutschland geht. In die Köpfe dringt immer mehr, dass Wasser in immerhin Trinkwasserqualität nicht einfach so aus der Leitung kommt, sondern aus unseren Gewässern. Daher kann Gewässerschutz nicht punktuell, sondern nur ganzheitlich stattfinden - den Menschen kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Dass bei den zahlreichen Wasserthemen die Kommerzialisierung des Wassers zulasten des Gemeinwohls und der Menschenrechte mitschwingt, sollte nicht aus den Augen verloren gehen. Die Zivilgesellschaft ist gefordert, diesen Aspekt noch stärker zu betonen.


Autor Dr. Durmus Ünlü ist Koordinator der AG Wasser des Forum Umwelt und Entwicklung und stellvertretender Geschäftsführer der Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e. V. (AöW).


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.


Anmerkungen

1. EU-Kommission (28.05.2018): Verordnungs-Vorschlag über Mindestanforderungen für die Wasserwiederverwendung. COM(2018) 337.

2. Janosch Neumann (04.10.2018): EU-Verordnungsentwurf zur Wiederverwendung von kommunalem Abwasser, letzter Absatz. Juris, https://bit.ly/2PjzhMv.

3. Vgl. Kommissionsmitteilung (18.07.2018): Antworten auf die Herausforderung von Wasserknappheit und Dürre in der Europäischen Union. COM(2007) 414.

4. EU-Kommission (01.02.2018): RL-Vorschlag über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Neufassung). COM(2017) 753.

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Quelle:
Rundbrief 4/2018, Seite 38 - 39
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
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Telefon: 030/678 1775 910, Fax: 030/678 1775 80
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2019

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