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FORSCHUNG/334: Klima, das im Boden steckt (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 3/2009

Klima, das im Boden steckt

Von Cornelia Reichert


Das Erdreich haben Klimamodelle bislang ziemlich vernachlässigt. Das soll sich ändern. Wissenschaftler um Markus Reichstein am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena untersuchen die klimarelevanten Prozesse im Untergrund und entwickeln Modelle, um sie zu beschreiben.


Die Erde bildet einen lebenden Superorganismus, der sich selbst reguliert. Als der britische Geochemiker James Lovelock in den 1970er-Jahren diese Idee in seiner Gaia-Theorie vorstellte, erntete er viel Lob und viel Kritik: Theologen, Esoteriker und Sinnsuchende begrüßten den neuen, ganzheitlichen Blick. Die Wissenschaft indes lehnte die These ab und bemängelte vor allem Lovelocks laxen Umgang mit dem Begriff Leben, immerhin kann sich die Erde nicht fortpflanzen. Doch spätestens seit die Klimaforschung intensiviert wurde, ist klar: Hier hilft nur systemisches Denken - die Grundidee von der Erde als Gesamtsystem.

Polareis, Meer, Atmosphäre und die Wälder - sie sind die bekanntesten Protagonisten des Weltklimas. Darin stimmen Forscher überein. Was aber macht der Boden? Der blieb in den üblichen Modellrechnungen, wie sie auch dem aktuellen Weltklimabericht von 2007 zugrunde liegen, weitgehend unberücksichtigt. Wie reagieren die biogeochemischen Prozesse im Untergrund darauf, dass sich das Klima verändert? Und wie beeinflussen die Abläufe im Untergrund umgekehrt das Klima?

"Der Boden als Faktor im Erdsystem ist ein echtes Stiefkind der Forschung. Diese Lücke wollen wir schließen helfen", sagt Markus Reichstein, der am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena eine Arbeitsgruppe leitet: "Ich glaube, wir haben den Boden als Klimafaktor bislang stark unterschätzt."


"Ein aufgehender Stern in der Ökologie"

Seit seinem Studium dreht sich bei Reichstein alles um das, was unter seinen Füßen geschieht. Reichstein hat an der Universität Münster Landschaftsökologie studiert und für sein Diplom den Humus auf Bergböden im schweizerischen Davos untersucht. Heute will er die Prozesse im Untergrund auch über theoretische Ansätze verstehen. Seit 2006 entwickelt der Nachwuchsforscher zusammen mit seinem Team mögliche Modelle für die Rolle des Erdreichs im Klimasystem.

Die Arbeit wird weltweit hoch gehandelt. So etwa veröffentlicht die Zeitschrift Science Watch des Instituts für Wissenschaftsinformation (ISI) in Philadelphia regelmäßig Statistiken, wer im Wissenschafts-Wettlauf vorn liegt. Auf ihrem Internetportal nennt sie Reichstein einen "aufgehenden Stern in den Feldern der Umweltwissenschaften und Ökologie".


Die Werkzeuge: Mathematik und Stechzylinder

"Die Kunst der Modellierung besteht darin, die reale Welt zu abstrahieren und eine Verbindung zur Welt der Formeln zu schaffen", sagt Markus Reichstein. Mathematik sei dabei ein wichtiges Werkzeug, aber nicht mehr: "Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Mathematiker, der gleichzeitig mit mir eine Doktorarbeit angefangen hat. Er war exzellent in seinem Fach, hatte aber enorme Schwierigkeiten, die reale Welt mit der Mathematik zusammenzubringen." Dazu müsse man zwischen den Wissenschaften stehen. Reichstein und seine Kollegen tun genau das: Wie gut oder wie schlecht ihre theoretischen Hypothesen die Wirklichkeit beschreiben, testen sie mit Versuchen im Freiland und im Labor.

"Um überhaupt überlegen zu können, wie sich der Boden formelhaft beschreiben lässt, muss man erst einmal verstehen, was der Boden eigentlich ist und was alles in ihm abläuft", sagt Reichstein. Der Boden bildet die Zwischenwelt zwischen der Oberfläche der steinigen Erdkruste auf der einen und der Pflanzendecke sowie der Luft auf der anderen Seite.

Der Boden ist aus verschiedenen Schichten aufgebaut, fachsprachlich Horizonte genannt: Unter der obersten Auflageschicht befindet sich der Humushorizont, eine Lage aus totem, verwestem Pflanzenmaterial. Darunter liegt die Verwitterungsschicht. In ihr werden die Minerale des Erdkrustengesteins ab- und umgebaut. Jede einzelne Schicht ist enorm belebt: "Egal wo man gräbt: In einer Handvoll Boden tummeln sich Milliarden verschiedener Mikroorganismen", so Reichstein.

Die Scharen an Bakterien, Einzellern, Pilzen, Algen, Würmern und Insekten leben in verschiedenen Tiefen und sehr unterschiedlich: Einige gehen Symbiosen mit Pflanzen ein. Die geben über ihre Wurzeln Kohlenhydrate ab, von denen die Mikroorganismen leben, die dafür dann etwa Nährstoffe zurückgeben - die klassische Win-Win-Situation: Alle nehmen, alle geben, allen geht es gut. Andere der winzigen Organismen leben wiederum vom Pflanzentod. Bakterien und Einzeller etwa gewinnen ihre Energie, indem sie abgestorbenes Grün zerkleinern, verdauen und den Kohlenstoff daraus veratmen.

Geschätzte 60 bis 80 Gigatonnen Kohlenstoff in Form von Kohlendioxid strömen so jährlich in die Luft, dazu noch die ungleich stärkeren Treibhausgase Methan und Lachgas. Der Mensch pustet in derselben Zeit acht Gigatonnen Kohlenstoff als Kohlendioxid in die Luft, indem er fossile Brennstoffe verfeuert. "Allein diese Zahlen verdeutlichen, wie relevant der Boden womöglich für den Kohlenstoffkreislauf und damit für das Klimasystem ist", so Reichstein.


Klimaerwärmung heizt auch dem Erdreich ein

Pflanzen nehmen das Treibhausgas über die Fotosynthese wieder auf. Entspricht die aufgenommene Menge derjenigen, die durch die Bodenatmung freigesetzt wird, befindet sich das System im Gleichgewicht. Die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre verändert sich nicht. Einige Waldgebiete nehmen sogar mehr von dem Gas auf, als sie freisetzen. Insgesamt speichert der Boden mehr als 3000 Gigatonnen Kohlenstoff, über viermal so viel wie die Atmosphäre.

Doch künftig könnten Böden mehr von dem klimaschädlichen Gas abgeben, als sie aufnehmen. Denn die Erderwärmung heizt auch dem Boden ein, und der Stoffwechsel der Organismen legt an Tempo zu. In kürzerer Zeit bauen sie mehr Pflanzenmaterial ab und atmen mehr Kohlendioxid aus, sodass sich die Atmosphäre weiter erwärmt. Der Treibhauseffekt könnte sich auf diese Weise selbst verstärken.

Ob es so kommt oder ob sich das System womöglich selbst puffert, ist strittig, und was konkrete Zahlen betrifft, sind die Vorhersagen bestenfalls ungenau. "Die meisten Modelle sagen, Ökosysteme nehmen erst einmal weiter Kohlenstoff auf", erläutert Reichstein: "Nach anderen Prognosen könnte das System wegen der Rückkopplung aber auch ins Gegenteil umschlagen." Dann würde sich der Boden in der Nettobilanz in der Tat von einer Kohlendioxidsenke in eine Quelle verwandeln.

Ein internationales Wissenschaftlerteam um den französischen Umweltforscher Pierre Friedlingstein hat elf verschiedene Kohlenstoffkreislauf-Klima-Modelle testweise durchgerechnet und verglichen. Den größten Optimismus erlaubt derzeit die Vorhersage des Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien: Hiernach bindet der Boden weiter Kohlendioxid, vielleicht sogar mehr als momentan. Der Boden verhält sich morgen wie heute, besagt dagegen ein Modell der Universität Maryland.

Die schwärzeste Prognose machen die Ergebnisse aus einem Modell des britischen Hadley Centre: Hiernach könnte der Boden im Jahr 2100 womöglich netto mehr als drei Gigatonnen Kohlenstoff jährlich abgeben. "Das ist vermutlich stark überzeichnet, aber der Boden könnte durchaus zu einem Klima-Anheizer werden", kommentiert Max-Planck-Forscher Reichstein.

Welches Szenario tatsächlich eintritt, hängt von einem winzigen Faktor in einer Faustformel ab, der sogenannten RGT-Regel. Sie beschreibt das Zusammenspiel zwischen der Reaktions-Geschwindigkeit des Bodens in Abhängigkeit von der Temperatur und damit, welche Klimawirkung von den Bodenorganismen ausgeht: Über den Daumen gepeilt verdoppelt sich die Bodenaktivität, wenn die Temperatur um zehn Grad steigt - so lautet die Regel; einfaches Schulbuchwissen, das die Wirklichkeit einigermaßen gut zu beschreiben schien.

Das galt auch in der Wissenschaft, zumindest bislang. "Inzwischen wissen wir, dass dieser Faktor über die Entwicklung entscheidet", so Reichstein: "Deswegen müssen wir unbedingt herausfinden, wie hoch dieser Faktor genau ist und ob er sich verändern kann." Verdoppelt sich die Bodenaktivität oder erhöht sie sich vielleicht nur um das Anderthalbfache oder verdreifacht sie sich womöglich sogar? Von dieser Zahl hängt es ab, ob der Boden eine Kohlendioxidsenke bleibt, ein eher neutraler Faktor wird oder den Treibhauseffekt noch verstärkt.

Die Unsicherheit, wie groß der Faktor der RGT-Regel ist, rührt unter anderem von einer Detailfrage zum Abbau der Biomasse im Boden. Das Prinzip ist unstrittig: Mikroben verstoffwechseln totes Material, sie atmen Kohlendioxid aus, der Boden gast aus. Weitere Pflanzen sterben ab, die Mikroben machen sich über die frische Biomasse her und bauen zugleich weiter älteres, schon vorverdautes Humusmaterial ab. Uneinig sind sich die Bodenkundler in der Frage, wie schnell und in welchem Umfang die Bodenorganismen jeweils das frische und das alte Material abbauen


Frische Biomasse macht Appetit auf alte Kost

Was passiert, wenn die Temperatur zunimmt, beschreiben klassische Modelle so: Mit der Erwärmung vertilgen Bodenbewohner das frische Material schneller, ihr Appetit auf das Altmaterial bleibt dagegen gleich. Damit würde sich die Bodenatmung zwar verstärken, unterm Strich bliebe der Boden jedoch eine Kohlendioxidsenke. "Genau das bezweifeln wir. Denn Bodenmikroben führen ein intensives Eigenleben. Wie sie sich verhalten, ist vielleicht gar nicht so einfach berechenbar wie gedacht", sagt Markus Reichstein.

Der Forscher und seine Kollegen gehen davon aus, dass der Priming-Effekt auftritt: "Immer wenn den Mikroben neue, frische Biomasse zur Verfügung steht, steigert das auch ihren Appetit aufs alte Humusmaterial." Der Abbauvorgang beschleunigt sich, der Boden atmet mehr Kohlendioxid aus. Außerdem gedeihen die Mikroben prächtiger und breiten sich aus. "Das System verstärkt sich, je wärmer der Boden wird", erklärt Reichstein. Frische Biomasse wirkt quasi wie ein Aperitif, der auch den Appetit auf älteres Futter anregt.

Manche Bodenprozesse arbeiten dem Priming-Effekt jedoch entgegen: Chemische Wechselwirkungen zwischen Mineralen etwa halten Kohlenstoff im Boden fest. Zum Beispiel lagern Eisen- oder Aluminiumhydroxide auf ihrer Oberfläche häufig Kohlenstoff an, von wo er sich vorerst nicht wieder löst.

Um computertechnisch so einfach wie möglich und gleichzeitig ausreichend genau zu berechnen, wie diese Prozesse zusammenspielen, haben sich die Forscher eine Reihe möglicher mathematischer Formelsätze überlegt. Welcher davon am besten passt, wollen sie mit Labor- und Freilandexperimenten herausfinden. Jetzt heißt es praktisch ran ans Erdreich.

Reichstein und seine Kollegen konnten hierzu ein Millionenprojekt des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) an ihr Institut holen. Im Rahmen von QUASOM (Quantifying and modelling pathways of soil organic matter as affected by abiotic factors, microbial dynamics, and transport processes) wollen sie nun Daten aus neuen Geländeexperimenten mit Daten aus anderen europäischen Forschungsprojekten in einem Bodensimulationsmodell zusammenzuführen.

Erfahrung mit Freilanddaten bringt Marion Schrumpf mit ins Team. Sie hat bereits im Carbo-Europe-Projekt (Assessment of the European Terrestrial Carbon Balance) Felddaten gesammelt. Das Projekt galt der Frage, wie sich auf dem ganzen Kontinent die Aktivität im Boden über die Zeit verändert und wie man Wälder und Ackerflächen so bewirtschaftet, dass ihre Böden möglichst viel Kohlendioxid binden. Unter der Leitung des inzwischen emeritierten Jenaer Max-Planck-Gründungsdirektors Ernst-Detlef Schulze beteiligten sich daran 61 Forschungsinstitute aus 17 europäischen Ländern.

Messtechnisch haben die Forscher nicht selten Neuland beschritten. "Eine umfassende Bodeninventur wurde in der Geschichte einfach noch nicht gemacht", sagt Marion Schrumpf. Extrem rar sind etwa Daten von Waldböden. "Die Forstwirtschaft hat sich zwar für den Baumbestand interessiert, aber nicht für den Boden, auf dem er wächst", so die Forscherin. Die wenigen vorhandenen Daten stammen aus der Landwirtschaft. Bauern und Agrarwissenschaftler beobachten seit mehr als hundert Jahren, wie Ackerböden auf äußere physikalische und chemische Einflüsse reagieren.

Oft aber sind diese Daten alles andere als vollständig. "Außerdem hat man bislang aus einer ganz anderen Sichtweise gearbeitet", sagt Schrumpf. Der Landwirtschaft geht es schließlich vor allem um Erkenntnisse über die Bodenfruchtbarkeit. Die Wissenschaftler von Carbo-Europe und QUASOM nähern sich dem Boden aus der Perspektive der Klimaforschung, denn viel Kohlenstoff im Boden steigert nicht nur die Fruchtbarkeit und Ernte, sondern bedeutet auch, dass der Luft Kohlenstoff entzogen wird.

Marion Schrumpf hat im Rahmen von Carbo-Europe Bohrkerne von zwölf Standorten bearbeitet. Sie stammen von Orten, an denen Türme für Atmosphärenmessungen stehen. "So sind wir nicht nur gut mit Boden-, sondern auch mit anderen Umweltwerten versorgt", sagt die Forscherin. Insgesamt hat sie mehr als 9000 Proben untersucht - ein enormer Aufwand.


Nur in der Erde graben reicht längst nicht aus

Das fängt bei der Probennahme an: "Wäre die Welt ein Sandhaufen, hätten wir es leicht", sagt Schrumpf: "Aber einfach rausgehen, graben und einen Haufen Erde mitbringen, wie man sich das vielleicht vorstellt, funktioniert leider nicht." Daher treibt sie zum Beispiel einen Stechzylinder in den Untergrund. "Das kann durchaus anstrengend sein", sagt die Forscherin. Denn viele Böden seien knüppelhart. Und je tiefer sie ins Erdreich vordringt, desto fester werden sie.

"Außerdem kann man eine Bodenprobe nicht einfach in Tüten stecken", so Schrumpf. "Für quantitative Untersuchungen muss man ein genau definiertes Volumen Boden aus der Erde entfernen und wissen, aus welcher Tiefe die Probe stammt." Und da es den Wissenschaftlern in dem Projekt darum geht, wie sich der Boden mit der Zeit verändert, müssen sie nach einigen Jahren die gleichen Stellen wieder beproben.


Prozesse der Unterwelt im Labor

Im Rahmen von Carbo-Europe ist das inzwischen abgeschlossen, doch im Labor geht die Arbeit weiter. Dort sortiert Schrumpf die Wurzeln aus der Probe, trocknet sie, siebt und zermahlt sie und misst dann ihren Kohlenstoffgehalt: "Das sind wenigstens 45 Minuten pro Probe, die Trockenzeit nicht mitgerechnet." Einige der Standorte sollen in Zukunft regelmäßig untersucht werden - idealerweise über Jahrzehnte. Dafür werden Schrumpf und ihre Kollegen die ganze Prozedur wiederholen.

Auch für die QUASOM-Untersuchungen werden die Bodenforscher noch häufig zum Probensammeln ausrücken. Wie schon bei Carbo-Europe werden die Forscher die Bodenproben gezielt für sich arbeiten lassen: im Labor unter kontrollierten Bedingungen. "Wir können alles einzeln steuern - von der Menge der Frischmaterialzugabe über die Temperatur bis zur Feuchte und zum Wind - und schauen, wie ein bestimmter Boden unter bestimmten Bedingungen reagiert", sagt Gruppenleiter Markus Reichstein. So kommen die Wissenschaftler den einzelnen Prozessen in der Unterwelt auf die Spur und finden heraus, was wie unter ganz bestimmten Bedingungen abläuft.

Doch Laborversuche leiden auch unter Einschränkungen: Sie liefern Daten über ein künstliches Teilsystem, die Wirklichkeit draußen könnte anders aussehen. Deswegen wollen die Forscher zusätzliche Tests im Freiland machen, die solche Zweifel ausräumen. Zwar sind diese Daten ungenauer, weil sie wegen Wind und Wetter stärker verrauschen. Zusammen aber bilden Freiland- und Laborwerte eine gute Wissensbasis.

Dazu kommen Werte aus der Luft, die im Rahmen von Fluxnet gewonnen werden, einem weltweiten Netzwerk von Kohlendioxid- und Wasserdampfmessungen. In der Luftschicht über Ökosystemen wird jeweils zehn- bis zwanzigmal pro Sekunde die Kohlendioxid- und Wasserkonzentration bestimmt und gleichzeitig die vertikale Windgeschwindigkeit. Daraus ermitteln Reichstein und sein Team, wie viel der beiden Gase das Bodensystem und die Luft austauschen. Der große Vorteil ist, dass diese Messart das Ökosystem selbst nicht beeinflusst oder verändert. Deshalb können die Messungen bedenkenlos über viele Jahre laufen. Satellitendaten helfen, die Zusammenhänge auf größere Gebiete zu übertragen, sogar auf ganze Kontinente.

Sämtliche Daten landen in den Rechnern der Teaminformatiker Thomas Wutzler und Christian Beer. Wutzler wertet sie statistisch aus und speist sie in die vorher formulierten Modelle ein. Alle sind theoretisch in sich schlüssig und somit zunächst auch alle gleich plausibel. Der Formelsatz, der dann mit den neuen Daten die Wirklichkeit am besten abbildet, wird am Ende in die weltweite Klimasimulation eingebaut. Dafür sorgt Beer. Seine großskaligen Simulationen vereinigen die örtlichen, regionalen sowie landes- und kontinentalweiten Studien zu einem ganzheitlichen Bild.

Beim Versuch, die Rolle des Bodens im Treibhaus Erde aufzuklären, bekommt Reichsteins Team jetzt auch noch prominente wissenschaftliche Unterstützung: Am Max-Planck-Institut für Biogeochemie trat im September die Amerikanerin Susan Trumbore die Nachfolge von Gründungsdirektor Ernst-Detlef Schulze an. In ihrer vorherigen Forschungsarbeit in Amerika und der Schweiz hat sich auch Trumbore unter anderem damit befasst, wie das Potenzial von Böden als künftige Quelle von Kohlendioxid berechnet werden kann. "Wir wollen eng zusammenarbeiten", sagt Reichstein.

Und es gibt noch viel zu tun. Denn für belastbare Bodenvorhersagen - womöglich für die ganze Welt und gleich für Jahrhunderte - ist es noch viel zu früh, bis dahin werden noch Jahre vergehen. Reichstein: "Der Boden birgt einige der letzten Rätsel im Erdsystem. Für bessere und belastbarere Klimaprognosen müssen wir diese Fragen lösen."


Glossar

Priming-Effekt
Bestimmte Stoffe, etwa frische Biomasse, können die generelle Aktivität von Mikroorganismen im Boden steigern.

Carbo-Europe
Forscher möchten in diesem Projekt den terrestrischen Kohlenstoffhaushalt in Europa verstehen und quantifizieren.

Fluxnet
Mit Messtürmen wird weltweit der Austausch von Kohlendioxid, Wasserdampf und Energie zwischen Boden und Atmosphäre bestimmt.

QUASOM
Verfolgt das Ziel, die Wechselwirkungen zwischen biologischen und physiko-chemischen Prozessen im Boden besser zu verstehen.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-
Gesellschaft
Ausgabe 3/2009, Seite 80-87
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2010