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INITIATIVE/207: Konstanz - Schüler*innen holen erneut Versäumnisse von Stadt und Politik nach (FFF)


Fridays for Future - Montag, der 4. Mai 2020

Schüler*innen holen erneut Versäumnisse von Stadt und Politik nach


Nachdem laut Fridays for Future in Konstanz aus dem Klimanotstand vor einem Jahr nicht die notwendigen Schritte folgten, überreichten die Schüler*innen dem Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt erneut einen Beschlussantrag für den Gemeinderat. Die Stadt solle das Ziel "Klimapositiv bis spätestens 2030" beschließen und die dazu nötigen Maßnahmen einleiten. Die jungen Klimaschützer*innen fordern, dass die Stadt die kommenden wirtschaftlichen Umbrüche nutzt um den Wandel hin zur klimapositiven Stadt zu schaffen.

Konstanz, 04.05.2020| Anlässlich des ersten Jahrestags der Ausrufung des Klimanotstandes trafen sich Vertreter*innen von Fridays for Future Konstanz mit dem Konstanzer Oberbürgermeister und Vorsitzendem des Gemeinderates, Uli Burchardt, um gemeinsam nach vorne zu blicken und über grundlegende nächste Schritte zu sprechen. Die jungen Konstanzer Klimaschützer*innen Lena Gundelfinger und Jannis Krüßmann überreichten dem Oberbürgermeister einen Beschlussantrag mit dem Ziel: "Klimapositiv bis spätestens 2030". Diesen habe Fridays for Future in den letzten Wochen gemeinsam mit den Gemeinderatsfraktionen erarbeitet, damit Konstanz seine aus dem Klimanotstandsbeschluss resultierende Zielsetzung, die Einhaltung der 1,5 Grad Grenze, konkretisiert. Beschließt der Konstanzer Gemeinderat die überreichte Resolution, würde Konstanz erneut, gemeinsam mit Tübingen, deutschlandweiter Vorreiter werden. Klimapositiv bedeutet, dass Konstanz spätestens im Jahr 2030 weniger Treibhausgase im Bereich Energie (Strom, Wärme und Verkehr) und im Baubereich ausstoßen würde, als durch natürliche Prozesse im Landkreis wieder aufgenommen werden. Zwischenziele wären die Reduktion des Treibhausgasausstoßes um 30% bis 2023 sowie 60% bis 2025 gegenüber dem heutigem Niveau. "Nachdem wir jetzt ein Jahr lang einige Trippelschritte im Klimaschutz gemacht haben, brauchen wir endlich eine Zielsetzung, bis wann wir klimapositiv sein wollen. Denn ohne Zielsetzung keine Zielerreichung.", so Manuel Oestringer von Fridays for Future. Zur Zielerreichung fordert die Resolution die Verwaltung auf, bis Ende des Jahres, einen groben Reduktionspfad für die nächsten zehn Jahre vorzulegen, sowie einen detaillierten für die nächsten zwei. Mithilfe intensiver Bürgerbeteiligung soll, ebenfalls bis 2023, ein Plan zur Umsetzung der Klimapositivität erarbeitet werden. Denkbar sei, laut Fridays for Future, beispielsweise ein per Losverfahren ausgewählter Bürgerrat, der gemeinsam mit Expert*innen Empfehlungen für den Gemeinderat erarbeitet, mit welchen Maßnahmen der Klimaschutz gelingen kann. Solche Bürgerräte, die mit etwa 80 Teilnehmer*innen besetzt sind, wurden beispielsweise schon in Irland oder auch in Vorarlberg erfolgreich bei besonders kontroversen Themen genutzt.

Jannis Krüßmann von Fridays for Future, der die Resolution überreichte, betonte, wie wichtig es sei, dass der Beschluss jetzt komme: "Neben den immer stärker spürbaren Konsequenzen der Erderhitzung werden wir in den nächsten Monaten große wirtschaftliche Umbrüche erleben und müssen diese nutzen um jetzt unsere Wirtschaft fit für die Zukunft zu machen." In Richtung des Gemeinderats ergänzt er: "Dessen sind sich auch alle Fraktionen bewusst. Wir sind daher optimistisch, dass die Vorlage bald eingebracht und beschlossen wird. Immerhin haben die Fraktionen ja selbst an dem Papier mitgearbeitet."

Nach der Übergabe der Resolution schenkten die Schüler*innen der Stadt noch einen Birnbaum, als Symbol für die bevorstehende Aufgabe. Diesen "Zukunftsbaum" solle die Stadt nach dem Willen der Klimaschützer*innen mitten auf dem Stephansplatz einpflanzen. Damit bekräftigen sie ihre Forderung, dass bis Ende des Jahres ein Fünftel aller Konstanzer Parkplätze mit einem Obstbaum bepflanzt werden sollen, um so die Stadt grüner und autofreier zu gestalten. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur klimapositiven Stadt. Lena Gundelfinger dazu: "Wenn wir eines aus der aktuellen Krise lernen können, dann, dass wir mit den richtigen Schritten nicht zu lange warten dürfen. Da die Stadt den Stephansplatz bis jetzt noch nicht bepflanzt hat, haben wir einen Baum besorgt, damit solche einfachen Maßnahmen endlich mal deutlich zügiger vorankommen. Nur wenn wir alle einfach mit anpacken haben wir eine Chance bis 2030 klimapositiv zu sein".

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Beschlussvorlage Konstanz klimapositiv 2030

Ziel: Nachdem der Konstanzer Gemeinderat die Eindämmung der Klimakrise und die Einhaltung der 1,5 Grad Grenze im Mai 2019 durch den Klimanotstandsbeschluss einstimmig zur Aufgabe höchster Priorität erklärt hat, folgt nun die konkrete Zielsetzung, um dies zu erreichen: Konstanz wird ab 2030 im Bereich Energie und Bauen klimapositiv sein.

Dies bedeutet, dass die Konstanzer CO2e-Emissionen aus den Bereichen Strom, Wärme, Verkehr und Bauen geringer sein werden als der CO2e-Entzug (z.B. durch Holzzuwachs, Humusaufbau) auf Konstanzer Boden. Zusätzlich zum Einsatz vor Ort in Konstanz wird sich die Stadtverwaltung für stark verbesserte Finanzierungsmöglichkeiten für Konstanzer Klimaschutzmaßnahmen durch die Bundesebene einsetzen.

BESCHLUSSANTRAG:

  1. Der Gemeinderat beschließt, dass die Stadt Konstanz bis spätestens 2030 in den Bereichen Strom, Wärme, Verkehr und Bauen im gesamten Stadtgebiet klimapositiv wird. Dieses Ziel wird kontinuierlich an die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse des Weltklimarates (IPCC) angepasst.
  2. Klimapositiv bedeutet, dass in 1. genannte Emissionen (Strom, Wärme, Verkehr und Bauen) im gesamten Stadtgebiet geringer sind, als durch natürliche Treibhausgassenken im Landkreis Konstanz wieder aufgenommen werden.
  3. Die Verwaltung wird beauftragt, bis Ende 2020 die jährlichen Sektorziele im "Integrierten Klimaschutzkonzept" und dem "Energienutzungsplan Konstanz" mit der neuen Zielsetzung weiterzuentwickeln und ggf. zu ergänzen. Zur Emissionsreduktion muss ein Absenkpfad mit einer mindestens 30 prozentigen Reduktion bis 2023 und einer mindestens 60 prozentigen Reduktion bis 2025 gegenüber den Emissionen von 2019 ausgearbeitet werden. Dieser Absenkpfad wird jährlich auf seine Einhaltung überprüft. Bei Umsetzungsrückständen werden entsprechende Steuerungsmaßnahmen eingeleitet.
  4. Die Verwaltung wird beauftragt, mit Expert*innen einen detaillierten und dem Absenkpfad entsprechenden Maßnahmenfahrplan für die nächsten zwei Jahre (2021, 2022) zu formulieren. Dieser wird im Jahr 2020 in den Gemeinderat zur Abstimmung gebracht.
  5. Der detaillierte Maßnahmenfahrplan für die Jahre 2023 bis 2030 wird in enger Zusammenarbeit mit den Konstanzer Bürger*innen ausgearbeitet, um deren Expertise einzubeziehen und gleichzeitig die Akzeptanz für die Maßnahmen zu erhöhen. Die Verwaltung wird bis zum Ende des Jahres 2020 ein Konzept für den dazu nötigen Beteiligungsprozess erarbeiten.
  6. Spätestens im Jahr 2030 wird die Stadt den gesamten Strom- und Gasverbrauch in Konstanz in Form erneuerbarer Energien ins Netz einspeisen, so dass in diesem Bereichen in jedem Fall eine bilanzielle Klimaneutralität sichergestellt ist. Hierbei ist sicherzustellen, dass die Kompensationsenergie nicht als Öko-Energie verkauft wird. Der Fokus soll hierbei auf der Schaffung neuer Anlagen liegen, der Zukauf von Öko-Zertifikaten für Strom oder Gas ist ausgeschlossen.
  7. Für die Umsetzung des Beschlussantrags werden die entsprechenden personellen und finanziellen Mittel bereitgestellt.
  8. Auf Grund der schwierigen Überprüfbarkeit und der globalen Verantwortung schließt die Stadt Konstanz den Kauf von CO2-Zertifikaten aus Kompensations-Projekten in Schwellen- oder Entwicklungsländer aus.
  9. Die Verwaltung wirkt bei Bund und Land auf eine Änderung der notwendigen Rahmenbedingungen hin und spricht sich öffentlich dafür aus, um ein Erreichen des Ziels der Klimapositivität bis 2030 sicherzustellen.

BEGRÜNDUNG:

Anlass
Die Stadt Konstanz hat frühzeitig die Wichtigkeit der Eindämmung der Klimakatastrophe erkannt und engagiert sich seit 1992 im Klima-Bündnis. Durch die Ausrufung des Klimanotstandes am 2. Mai 2019 erklärte die Stadt Konstanz als erste deutsche Stadt die Eindämmung der Klimakrise und ihrer schwerwiegenden Folgen als Aufgabe höchster Priorität. Damit bekräftigte die Stadt Konstanz das Ziel, die überlebenswichtige 1,5 Grad Grenze einzuhalten. Die hohen Temperaturen der vergangenen Jahre und die anhaltende Dürreperiode haben jetzt schon für uns in Konstanz empfindlich spürbare Folgen wie Betretungsverbote und Kahlschlag in Teilen des Lorettowalds, Waldbrandgefahr oder Ernteausfälle in der Landwirtschaft. Dies betont erneut und konkret, dass es seht dringlich ist vor Ort zu handeln. Wir nähern uns immer schneller dem Zeitpunkt, an dem eine Heißzeit unausweichlich ist. In diesem Fall, wären weite Teile der Erde nicht mehr für Menschen bewohnbar, unsere Zivilisation würde zusammenbrechen und im schlimmsten Fall, wäre das Aussterben der Menschheit noch in diesem Jahrhundert zu befürchten.[1] [2] Werden bestimmte Kipppunkte überschritten, wird sich die Erde ohne menschliches Zutun immer weiter aufheizen. Studien zeigen, dass wahrscheinlich bereits die ersten dieser Kipppunkte überschritten sind. [3] Der Weltklimarat zeigt aber auch auf, dass wir den Eintritt in diese Heißzeit noch verhindern können. Es rechnet sich, den international erforderlichen Strukturwandel hier in Konstanz so früh und schnell wie möglich umzusetzen.

Es ist daher von höchster Priorität, dass die Stadt Konstanz jetzt ihren Beitrag leistet, um eine solche Heißzeit und das Überschreiten weiterer Kipppunkte zu verhindern und um damit gleichzeitig ein lebenswertes Konstanz für die heutigen und kommende Generationen zu erhalten. Die Corona-Krise hat zwar die Klimakrise in den Hintergrund gerückt ð die Bewältigung der Klimakrise hat aber weiterhin höchste Priorität für die Sicherung unser aller Lebensgrundlagen. Die aktuelle Krise zeigt, dass sowohl Politik als auch Gesellschaft in der Lage sind, konsequent und rasch zu handeln, um Menschenleben zu schützen. Es ist elementar wichtig darauf hinzuwirken, dass die absehbaren Konjunkturprogramme für die Wirtschaft den Strukturwandel hin zum Klimaschutz unterstützen.

Daher beschließt der Konstanzer Gemeinderat mit diesem Antrag ab sofort die Einhaltung der 1,5 Grad Grenze und die damit einhergehenden Maßnahmen für eine Klimapositivität 2030 zielstrebig und entschieden umzusetzen. Damit dieses Ziel sichergestellt werden kann, ist bei einer solch wichtigen Aufgabe ein detaillierter Maßnahmenfahrplan und dessen regelmäßige Überprüfung und ggf. ein Nachsteuern unbedingt nötig, ebenso ein Hinwirken auf ermöglichende Rahmenbedingungen auf nationaler Ebene (z.B. eine CO2-Abgabe als nationale Einnahmequelle für zusätzliche Finanzierungsmittel für kommunalen Klimaschutz). Indem Konstanz vorausgeht und bundespolitische Klimaschutzgesetze mit anstößt, kann es entscheidende Impulse setzen, dass auch andere Ebenen zusammenarbeiten um schließlich die globale Menschheitsaufgabe Klimaschutz zu meistern.

Kompensationsmöglichkeiten
Um das Ziel einer klimapositiven Energieversorgung und Bautätigkeit zu erreichen, wird es unter Umständen nötig sein, vorübergehend nicht vermeidbare Emissionen auszugleichen. Solche Kompensationsmaßnahmen dürfen den für Konstanz bis 2030 stattfindenden Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas nicht verlangsamen. Es bieten sich folgende Möglichkeiten an: Zum einen CO2e-Entzug aus der Atmosphäre z.B. durch lokale/regionale CO2e-Bindung in Biomasse (Holzzuwachs), Wiedervernässung von Auen und Feuchtgebieten oder Investitionen in Anlagen zur Umwandlung von Biomasse in lagerbaren Kohlenstoff (Pyrolyse). Zum anderen der Ausgleich durch Investitionen in Emissionsvermeidungsprojekte, wie z.B. neue Anlagen zur Energiegewinnung aus erneuerbaren Energien. Bei allen Kompensationsprojekten sollen stets regionale Lösungen bevorzugt werden.



BEGRIFFSERKLÄRUNG:

CO2e: Das CO2-Äquivalent gibt an, wie viel eine bestimmte Masse eines Treibhausgases im Vergleich zur gleichen Masse CO2 zur globalen Erwärmung beiträgt.

[1] Im April letzten Jahres kam eine von der EU in Auftrag gegebene Studie zu dem Ergebnis, dass im Falle einer Heißzeit das Aussterben der Menschheit noch in diesem Jahrhundert droht.
ec.europa.eu/assets/epsc/pages/espas/index.html

[2] Der Klimawissenschaftler Professor Schellnhuber vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung erklärt in einen Interview die Gefahr von Kipppunkten und die Auswirkungen einer Heißzeit.
www.klimareporter.de/erdsystem/wir-riskieren-den-fortbestand-unserer-zivilisation

[3] Jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Folge scheinen sowohl das arktische Seeeis als auch der westantarktische Eisschild bereits irreversibel destabilisiert.
www.spiegel.de/wissenschaft/natur/klimawandel-in-der-arktis-das-eis-am-nordpol-ist-nicht-mehr-zu-retten-a-d923c467-e6ff-4e94-92c1-03fe20c20d1b

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Quelle:
Pressemitteilung, 04.05.2020
Fridays for Future
www.fridaysforfuture.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2020

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