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ANBAU/113: Biosprit macht satt - Eine Provokation für Mitdenker (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 148 - Februar/März 09
Die Berliner Umweltzeitung

Biosprit macht satt
Eine Provokation für Mitdenker

Von Ulrich Wieland
GRÜNE LIGA - Bundeskontaktstelle Biogene Kraftstoffe


Ein alter Streit will neu bedacht werden, der Streit, ob es besser ist, Pferdefutter oder Nahrung anzubauen. Um die Antwort vorweg zu nehmen: dieser Streit ging vor 200 Jahren unentschieden aus und wird auch heute wieder unentschieden ausgehen, weil das, was früher nötig war, um den Energiebedarf der Menschen zu decken, auch heute wieder nötig ist: Biosprit-Pflanzen mussten damals noch als Pferdefutter angebaut werden. Alles andere wäre klimapolitischer Selbstmord der Menschheit.

Nur steht die Frage heute anders als damals: Waren die Landwirte vor zwei Jahrhunderten stets auch Energiewirte, so wird diese Funktion heute mit Moral und einer globalen Verschiebung zwischen Anbau und Verbrauch verknüpft. Und hier möchte ich dem Tenor der Biospritdiskussion der letzten Monate entschieden widersprechen. Unmoralisch ist nicht der Anbau von Pflanzen für Biosprit. Unmoralisch ist höchstens ein Wirtschafts- und Geldsystem, das Arme immer ärmer und Reiche immer reicher macht, dass die ökologischen und sozialen Folgen des Biosprit-Pflanzenanbaus missachtet und dem es nicht gelingt, diese sozialen und ökologischen Kosten des Biosprit-Pflanzenanbaus auf den Preis aufzuschlagen. So sollte die Frage ganz anders gestellt werden. Es geht nicht darum, ob Biosprit-Pflanzen angebaut werden sollen oder nicht. Ohne Biosprit ist die Energieversorgung der Menschheit allein dem klimaschädigenden Erdöl ausgeliefert - das wäre bei weitem der katastrophalere Weg. Aber richtig ist natürlich die Frage: Wie können Biosprit-Pflanzen auch in Brasilien oder Indonesien ökologisch und sozial verträglich angebaut werden? Und ebenso unerlässlich ist die Frage, was flankierend getan werden muss, um unseren Energiehunger dramatisch zu reduzieren.

Natürlich ist die Überschrift eine Provokation, ebenso wie es der von mir höchst geschätzte Querdenker und Mitinitiator der Entschuldungskampagne für die ärmsten Länder der Erde, Jean Ziegler, mit seiner starken Formulierung vom "Biosprit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit" beabsichtigte. Und doch erscheint mir die erneute, verbissen geführte Diskussion gegen den Biosprit damit eine völlig falsche Richtung und Gewichtung zu bekommen, so, als ob der Fernseher die Schuld für gewaltverherrlichende Programme zugeschoben bekäme. Hier wie dort halte ich es für umso wichtiger, die Wirkmechanismen aufzudecken, die zu den Verbrechen führen. Und die liegen zweifellos - neben dem Geburtsfehler unseres Geldsystems, dem Zinseszins - auch in der Unersättlichkeit von uns Konsumenten in den westlichen Ländern. Es mag durchaus sein, dass es auch vor zweihundert Jahren schon Leute gab, die es unmoralisch fanden, kostbare Kornfeldflächen als Pferdeweiden zu missbrauchen. Mag sein, dass es wirklich in manchen Regionen unmoralisch werden kann, in Ländern an der Armutsgrenze Biosprit-Pflanzen für die Länder der sogenannten ersten Welt anzubauen. Nämlich dann, wenn damit der Hunger missachtet und die Armut verstärkt wird oder wenn die Landflächen von Selbstversorgern für den industriellen Biosprit-Pflanzenanbau konfisziert werden. Aber daraus eine Gleichung zu machen: Biosprit macht Hunger, ist nicht nur kurzsichtig, sondern auch einfältig.


Unmoralisches Reichtumsgefälle

Sortieren wir zunächst mal die Fakten. Fakt ist dass die jährliche Weltnahrungsmittelproduktion um über 10 Prozent schwankt. Demgegenüber steht eine Biospritproduktion von zurzeit nicht einmal 2 Prozent der Gesamtnahrungsmittelmenge. Schon diese Relationen würden reichen, um das Horrorszenarium von brotfressenden Autos zu relativieren, denn die Preise steigen vor allem durch etwas ganz anderes als den Biosprit: durch ungerechte Monopolisierung, durch Börsenspekulationen, durch verwerfliche Subventionen, durch ungerechten Landbesitz und durch das unmoralische Reichtumsgefälle, auf dessen angenehmer Seite wir uns zufälligerweise befinden und mit dem die meisten von uns trotz Harz IV ganz gut klarkommen.

Unmoralisch ist, wenn das kostbare Ackerland in Brasilien und Togo oder Mosambik nicht an Kleinbauern, sondern an Agrarkonzerne verkauft wird. Unmoralisch ist, dass in Amazonien und Indonesien der Urwald brandgerodet wird, um Flächen für chinesische Sojakonzerne als Futter für europäische und US-amerikanische Rinder zu "gewinnen", Flächen, die der grünen Lunge verloren gehen und nach wenigen Jahren ausgeplündert liegengelassen werden müssen, weil ihre einzigartige Artenvielfalt unwiederbringlich vernichtet wurde. Und hier liegt ein gravierender Denkfehler des Diskurses "Biosprit macht Hunger". Denn ausgerechnet der vielgescholtene Sojaanbau in Brasilien geht fast ausschließlich auf das Konto der Futtermittelexporte in die EU und die USA. Und ausgerechnet der Biosprit-Pflanzenanbau in Deutschland ermöglicht es den Landwirten in Europa, sich von diesen Futtermittelimporten unabhängig zu machen: Der erukasäurearme Raps ist ein ausgezeichnetes Substitut für Sojaschrot und dient damit - in regionaler Kreislaufwirtschaft genutzt - sogar als Kostensparer für eine eiweißreiche Ernährung des Viehs. Der Biosprit ist dann nur noch ein netter "Abfall" - übrigens in der Form, in der die Natur seit Jahrtausenden alle ihre Energievorräte anlegt: in Form von Öl.


Ölsaaten verbessern die Bodengüte

Aber egal, ob Raps, Sonnenblumen, Leindotter, Lein oder wie die in Deutschland nutzbaren Ölsaaten auch heißen mögen: die Frage ist doch nicht, ob wir diese Pflanzen unter anderem auch zur Energiegewinnung anbauen sollen. Das ist übrigens schon aus Gründen der Fruchtfolge schlicht notwendig, um die Bodengüte zu erhalten. Und Raps eignet sich besonders gut als Vorfrucht für Getreide, da er die Vielfalt der Bodenorganismen deutlich erhöht.


Die Fragen, die wir auch hier beantworten müssen, heißen:

1. Welche Anreize können wir schaffen, um die zur Erzielung von Höchsterträgen genutzte intensive Düngung zu vermeiden?

2. Welche Regulationsmechanismen können verhindern, dass diese Öle in großem Stil importiert werden, weil die Erzeuger- und Transportpreise so niedrig sind, dass es billiger ist, sie im Süden herzustellen? Dabei wäre es mir immer noch lieber, wir würden 85 Prozent unseres Ölbedarfes von tausenden von Bauern in Afrika oder Südamerika CO2-frei und zu anständigen Preisen herstellen lassen, als dass wir - wie es jetzt läuft - 99 Prozent (!) unseres Bedarfes aus fossilen Quellen decken, die in den Händen einiger weniger superreicher Ölscheichs liegen und das Klima kräftig anheizen.

Die Landwirte - deutsche wie ausländische - werden davon satt, dass ihnen jemand ihre Produkte zu fairen Preisen abkauft. Sie können auch durch Biospritanbau unabhängig von großen Konzernen werden. Vor allem lassen sich mit Biosprit eben gerade dezentrale Wirtschaftskreisläufe aufbauen. Man werfe dazu nur einen Blick nach Bayern, wo sich nicht nur im Altmühltal bereits ganze Regionen unabhängig vom Fossilöl gemacht haben.

Halten wir also fest: Biosprit - wenn auch erst seit kurzem in seiner flüssigen Form, dem Bioalkohol oder dem Pflanzenöl - ist so alt und so moralisch wie die Nutzung von Pferd und Ochse zum Wohle der Menschheit. Was neu ist, dass ihn der Bauer nicht mehr für seinen Eigenverbrauch produziert, sondern dass Großkonzerne den Anbau, die Düngemittelverwendung und die Vermarktung zu monopolisieren versuchen.


Frage von Ethik und Besitzverhältnissen

Also ist die richtige Frage: Wie verändern wir Besitzverhältnisse und Begehrlichkeiten so, dass es sich für selbständig wirtschaftende Landwirte lohnt, Biosprit-Pflanzen ökologisch und sozial anzubauen? Aber auch: Wie ist es möglich, mündige, ethisch handelnde Mitstreiter zu gewinnen, die keine Dollarzeichen in den Augen haben oder um des Profites willen die Ressourcen dieser Erde rücksichtslos ausbeuten? Wie gelingt es uns, unseren Kindern den Wert gesunder, nachhaltiger Landnutzung auch emotional zu vermitteln, ihnen und uns - jenseits von Sozialromantik - die Liebe zum "Mehr" einer lebenswerten Umwelt vorzuleben? Dass darin die zukunftsfähige Energiebereitstellung ebenso einen Platz hat wie eine hohe Energieeffizienz und der Verzicht auf Energieverschwendung, versteht sich von selbst.

Wenn es einen höheren Profit bringt oder nicht automatisch teuer wird, werden einfache Holzarbeiter wie gebildete Farmer allzu leicht den Blick für ökologische oder soziale Folgen ihres Handelns verlieren. Aber ein rücksichtsloser Biosprit-Pflanzenanbau ist weder selbstverständlich noch gottgewollt. Tun wir also lieber etwas gegen solchen Missbrauch, als einem Lebenssaft den Ruf zu ruinieren, der - neben anderen Strategien - in der Lage ist unsere totale Abhängigkeit vom fossilen Mineralöl zu brechen.

Entscheidend dabei ist, bislang fehlende Rückkopplungen in eine ressourcenfressende und unsoziale Wirtschaftsweise einzubauen. Dazu ist es unabdingbar, die sozialen und ökologischen Kosten möglichst Cent für Cent auf den Preis für die jeweilige Produktionsmethode umzulegen. Nachhaltigkeit muss belohnt, Zerstörung und Entwurzelung bestraft werden - ob durch monetäre oder vergleichbare Mittel, das wäre eine andere Diskussion. Dann wird es von alleine einen sinnvollen und umweltverträglichen Anbau von Biosprit-Pflanzen geben.

Falsch ist es also, den an sich schon schwierigen Umstieg vom klimaschädlichen Mineralölzeitalter auf das Zeitalter regenerative Energienutzung auch noch innerhalb der Umweltszene zu verunglimpfen - niemand freut sich mehr darüber als die Mineralölindustrie. Falsch ist es, Biosprit mit Ausbeutung, Monokultur und Nahrungsmittelknappheit gleichzusetzen.

Falsch ist es auch, etwas ökologisch so sinnvolles wie eine vernünftige Produktion von regenerativer Energie in ihrer natürlichsten, noch dazu schön dezentralisierbaren Form, dem Pflanzenöl, gleichzusetzen mit unmoralischem Handeln. Es gilt, das Problem des unökologischen Anbaus von Biosprit-Pflanzen anzugehen. Aber dazu müssen wir nach Lösungen für damit verbundene Risiken suchen, statt gute Ansätze von vornherein abzulehnen. Wer nur nach Nachteilen sucht, will lediglich verhindern. Wer verändern will, muss nach Lösungen suchen.


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Quelle:
DER RABE RALF - 20. Jahrgang, Nr. 148, Februar/März 09, S. 18-19
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2009