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ANBAU/114: Jatropha in Indien - keine Wunderpflanze (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 100/1.09
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

tropenwald
Jatropha - kein Wunder!

Von Heike Lipper


Eine der ölhaltigen Nutzpflanzen, die von Wissenschaftlern und Unternehmen als "Wunderpflanze" auf dem grünen Energiemarkt beworben wird, ist die Nuss Jatropha curcas. Ursprünglich aus Lateinamerika stammend, wird Jatropha bisher in vielen Ländern des Südens als Heckenstrauch genutzt, der vor Winderosion und wilden Tieren schützt. Die Samen der Pflanzen sind für Menschen und Tiere giftig, aber sie besitzen einen Ölgehalt von bis zu 30 Prozent und gelten daher als bedeutende Rohstoffquelle: als "grünes Gold" der OPEC oder in Europa als "Bio"-Diesel.

Der Mineralölkonzern BP bewirbt Jatropha als "fördernd für Biodiesel" und plant für Dezember die Einfuhr der ersten 1.000 Tonnen des Pflanzenöls nach Europa: Daimler sowie Air New Zealand fahren die ersten Jatropha betriebenen Test-Fahrzeuge und die Universität Hohenheim sowie die GTZ erforschen neue, ertragreichere Jatropha-Sorten in Indien, Mali und Mexiko.

Indien stellt offiziell 12 Mio. Hektar seiner Landesfläche für den Anbau von Jatropha und indischer Buche zur Verfügung. Auf den Philippinen, in Äthiopien und Tansania wurden riesige Plantagen angelegt, obwohl Untersuchungen zu den Auswirkungen eines großflächigen Anbaus bisher fehlen. Bei so viel Euphorie war es nicht verwunderlich, dass im Oktober 2008 in Hamburg eine "Jatropha World"-Konferenz stattfand, auf der sich Unternehmen, Wissenschaft und Politik aus aller Welt versammelten, um über die Möglichkeiten der "Wunderpflanze" zu beraten.

Für Klaus Becker, Professor an der Universität Hohenheim und Berater für Biodieselanlagen, sind es im Wesentlichen zwei Punkte, die Jatropha zur "Wundernuss" machen: Zum einen stellt die Pflanze keine hohen Ansprüche an die Fruchtbarkeit der Böden. Zum zweiten sind die Samen für Mensch und Tier giftig, womit das Öl ausschließlich zur Energienutzung eingesetzt werden kann. So würde eine Konkurrenz zum Flächenanbau für Lebensmittel ausgeschlossen - die Hauptkritik vieler NGOs und Verbraucherverbände am Anbau von Energiepflanzen.

Bisher wurde Jatropha curcas nur als Heckenpflanze auf anspruchslosen Böden gepflanzt, ihr großflächiger Anbau für den Weltmarkt lohnt sich jedoch nur unter starkem Einsatz von Wasser, Düngemitteln und Pestiziden. Zusätzlich sind enorme Landflächen nötig, damit die Samen einen ausreichenden Ertrag für "Bio"-Diesel erbringen. Allein in Indien müssten nach Berichten der GTZ und des Worldwatch Institute 38 Mio. Hektar mit ertragsreichen Plantagen von Jatropha curcas bebaut werden, um einen Bedarf von

20 Prozent Biodiesel-Beimischung in 2020 für Indien zu decken. Die benötigte Landfläche überschreitet jedoch die nutzbaren Anbauflächen Indiens, was zu Folge hat, dass die Pflanze doch in klarer Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion stehen wird. Da auch die Anbauländer um Landfläche für den Anbau von Lebensmittel fürchten, damit der steigende AgrardieselMarkt gedeckt werden kann, wird nach möglichen "Ersatzflächen" gesucht. Dieses ist devastiertes, ungenutztes Land oder "Ödland", das nach Angabe von einzelnen Wissenschaftlern und Regierungen weltweit ausreichend zur Verfügung stehen würde. Land, das hier als ungenutzt deklariert wird, ist für die lokale Bevölkerung oft ihre einzige Lebensgrundlage, auf der sie Subsistenzwirtschaft betreiben. Millionen Landlosen und ziehende Hirtengemeinschaften droht durch den großflächigen Anbau von Agroenergiepflanzen der Verlust ihrer Landflächen. Beispielsweise ermöglicht das Gemeinrecht "Panchayats" Kleinbauern und Familien in Indien seit Jahrhunderten das Land für den Eigenanbau mit traditionellen Methoden zu bewirtschaften. Da das Land selbst nicht als Eigentum der Bauern bei den lokalen Behörden verzeichnet ist, erscheint es offiziell als ungenutztes Land. Indien selbst stellt über 60 Mio. Hektar seiner Landesfläche als "wasteland" dar, und auch in Afrika sollen drei Prozent des gesamten Kontinents als ungenutzt gelten. Neben den nicht verbrieften Landnutzungsrechten können auch andere Flächen zu dieser Kategorie gerechnet werden: ungenutzte Weideflächen, bereits abgeholzte und noch nicht bepflanzte Regenwälder, oder die noch verbliebenen Naturflächen - einschließlich der Tropenwälder und Savannen.

Nichtregierungsorganisationen (NGO) in Asien, Afrika und Südamerika fürchten die Zerstörung der letzten Naturflächen durch die weltweite Nachfrage nach Biodiesel, sowie die Ausweitung von großflächigem Plantagenanbau in ihren Ländern unter Einsatz von Düngemitteln und gentechnisch veränderten Pflanzen. Sie sehen die Ernährungssicherheit, die Biodiversität, wertvolle Ökosysteme (z.B. Savannen, Regenwälder), Landrechte und kleinstrukturierte Landwirtschaft sowie Gemeinrechte zur Landnutzung in Gefahr.

Auch die EU gilt mit der Einführung von Anreizen wie verbindlichen Beimischungszielen, staatlich finanzierten Beihilfen und Steuererleichterungen als Mitverursacher des internationalen Agrokraftstoff-Booms. Mehr als 200 NGO fordern daher ein Moratorium für Fördermaßnahmen von Agroenergie und Agrokraftstoffen in Europa. Damit unterstützen sie die wachsende Zahl von Aufrufen aus dem Süden, die vor den wachsenden Agrokraftstoff-Monokulturen warnen. "Die Auswirkungen der massiven, schnell wachsenden Investitionen in Agrokraftstoffexpansion sind irreversibel und nicht wieder gut zu machen", erklären sie. Auch die aktuell entwickelten Nachhaltigkeitskriterien für Biodiesel betrachten die NGO als Greenwashing. Und den Schutz der Regenwälder als riesiges Reservoir zur Aufnahme von Kohlendioxid sehen sie durch Zertifikate nicht garantiert, sondern vielmehr weiter gefährdet. "Der Schaden, den diese Systeme und Strategien verhindern sollen, wird schon angerichtet sein, wenn sie in Kraft treten".

Heike Lipper ist in der Tropenwald-Fachgruppe von ROBIN WOOD aktiv und untersucht seit Ende Dezember 2008 in Indien den Anbau von Jatropha.
tropenwald@robinwood.de www.robinwood.de/tropenwald


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Reife Jatropha-Frucht - das Öl wird aus den schwarzen Kernen gepresst
- Jatropha-Projekt an Kenias Küste: Der ganze Stolz des Projektleiters ist die Baumschule mit jungen Jatropha-Pflanzen
- Wenn die Früchte gelb sind, können sie geerntet werden
- Jatropha als Heckenpflanze
- Bauer mit seiner Jatropha Ernte
Fotos: Peter Gerhardt/ROBIN WOOD


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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 100/1.09, S. 28-29
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2009