Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → LANDWIRTSCHAFT

FORSCHUNG/395: Vom fauligen Pilz zum Therapeutikum? - Ansatzpunkt zur Entwicklung neuer Antimykotika (idw)


Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie / Hans-Knöll-Institut (HKI) - 08.01.2013

Vom fauligen Pilz zum Therapeutikum?



Nassfäule verursacht hohe Schäden in der Landwirtschaft, indem sie Obst, Gemüse und Kulturpilze in matschigen Brei verwandelt. Bei Zuchtchampignons ist der Erreger inzwischen als Janthinobacterium agaricidamnosum identifiziert. Ein Forscherteam um Christian Hertweck vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena hat mithilfe bildgebender Massenspektrometrie, genetischen und bioinformatischen Methoden ("Genome Mining") nun die Substanz entdeckt, mit der die Bakterien die Pilze zersetzen. Wie die Wissenschaftler in der Zeitschrift Angewandte Chemie berichten, könnte die Jagaricin genannte Substanz ein Ansatzpunkt für die Entwicklung neuer Antimykotika sein.

Ein mit Nassfäule befallener Champignon entwickelt typische Flecken, später wird der Pilz regelrecht aufgelöst. Das Team um Christian Hertweck vom Hans-Knöll-Institut in Jena wollte wissen, welche bakterielle Verbindung dafür verantwortlich ist, um die Pathobiologie des Erregers besser zu verstehen und Angriffspunkte für Gegenmaßnahmen zu finden. Wenn die Nassfäule-Bakterien ein Mittel produzieren, das Ständerpilze angreift, so eine weitere Überlegung, könnte dieses auch gegen Pilze helfen, die bei Menschen gefährliche Infektionen auslösen.

Die Herausforderung bestand darin, nach einer unbekannten Substanz zu suchen, die die Bakterien nicht unter Standard-Kulturbedingungen produzieren, sondern erst, wenn sie einen Pilz befallen. Hertweck und seine Kollegen nutzten eine als "Genome Mining" bezeichnete Methode: Sie sequenzierten das Genom der Bakterien, durchsuchten es nach einschlägigen Biosynthesegenen und machten mithilfe bioinformatischer Methoden Voraussagen über die zu erwartenden Metabolitstrukturen. Die Forscher fanden einen als jag bezeichneten Genabschnitt, der für den Biosyntheseapparat des gesuchten Stoffes codieren könnte. Um dessen Bildung anzuregen, impften sie Scheiben von Champignons mit dem Bakterium und untersuchten die entstehenden fauligen Stellen mithilfe bildgebender Massenspektrometrie. Dabei wird von der zu analysierenden Fläche Punkt für Punkt ein Massenspektrum aufgenommen. Die Forscher identifizierten einen Massenpeak, der nur auf befallenen Stellen auftritt. Durch Zugabe von Pilzstückchen und ein spezielles Nährmedium gelang es dann, die zugehörige Verbindung auch in flüssiger Zellkultur in größerer Menge zu gewinnen und zu isolieren.

Die Struktur von Jagaricin - so wurde die Verbindung getauft - konnte mithilfe physikochemischer Analysen, chemischer Derivatisierung und Bioinformatik vollständig aufgeklärt werden. Es handelt sich um ein neuartiges Lipopeptid mit ungewöhnlicher Struktur. Reines Jagaricin rief bei Pilzen die Symptome der Nassfäule hervor. Die Forscher züchteten Bakterien mit nicht funktionstüchtigen jag-Genen. Diese Mutanten riefen keine Nassfäule hervor. Die Forscher konnten zudem zeigen, dass Jagaricin gegen Candida albicans, Aspergillus fumigatus und Aspergillus terreus wirksam ist, Erreger von humanen Pilzerkrankungen. Vielleicht könnte es ein Ansatzpunkt für ein neues Antimykotikum sein.

Originalpublikation
Graupner K, Scherlach K, Bretschneider T, Lackner G, Roth M, Gross H, Hertweck C (2012) Imaging mass spectrometry and genome mining reveal highly antifungal virulence factor of mushroom soft rot pathogen. Angew Chem Int Ed 51(52):13173-7. doi: 10.1002/anie.201206658.

Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie - Hans-Knöll-Institut
www.hki-jena.de
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie - Hans-Knöll-Institut - wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre Wirksamkeit gegen Pilzerkrankungen untersucht und zielgerichtet modifiziert. Das HKI verfügt derzeit über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) sind. Hinzu kommen jeweils vier Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Zur Zeit arbeiten mehr als 300 Menschen am HKI, darunter 110 Doktoranden.

Die Leibniz-Gemeinschaft
www.leibniz-gemeinschaft.de
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 86 selbständige Forschungseinrichtungen. Deren Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute bearbeiten gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevante Fragestellungen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Grundlagenforschung. Sie unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer in Richtung Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Institute pflegen intensive Kooperationen mit den Hochschulen - u.a. in Form der Wissenschaftscampi -, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem maßstabsetzenden transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 16.500 Personen, darunter 7.700 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei 1,4 Milliarden Euro.

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news514043
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution693

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie -
Hans-Knöll-Institut (HKI), Dr. Michael Ramm, 08.01.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2013