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GEFAHR/042: Argentinien - Gefährlicher Soja-Anbau, Herbizid Glyphosat schädigt menschliches Erbgut (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Dezember 2011

Argentinien: Gefährlicher Soja-Anbau - Herbizid Glyphosat schädigt menschliches Erbgut

von Marcela Valente


Buenos Aires, 13. Dezember (IPS) - Der Soja-Boom hat Argentinien hohe Deviseneinnahmen eingebracht. Doch die Kehrseite der Medaille: Giftige Agrochemikalien, die auf den Feldern eingesetzt werden, gefährden die Bevölkerung in den ländlichen Regionen.

Eine Untersuchung der Nationalen Universität von Rio Cuarto in der zentralen Provinz Córdoba hat ergeben, dass das Herbizid Glyphosat, das beim Anbau von Soja eingesetzt wird, das Erbgut von Mäusen und Fröschen schädigt.

Bereits vor zwei Jahren hatte Andrés Carrasco, Professor am Labor für molekulare Embryologie an der Universität von Buenos Aires, Schäden durch Glyphosat bei Amphibien nachgewiesen. Carrasco gehört außerdem dem Nationalen Rat für wissenschaftliche und technische Forschung (CONICET) an.

Genetisch veränderte Sojasaaten waren in Argentinien nach heftigen Kontroversen in den neunziger Jahren zugelassen worden. Der US-Biotechnikkonzern 'Monsanto' entwickelte eine Gensoja-Variante, die Glyphosat leicht absorbieren kann.


Soja-Anbau auf 18 Millionen Hektar in Argentinien

Nach der Einführung von Gen-Soja nahmen der Anbau in dem südamerikanischen Land und der Einsatz des Herbizids rapide zu. Heute werden 18 Millionen von insgesamt fast 30 Millionen Hektar Getreidefeldern für die Sojaproduktion genutzt.

Das unter dem Markennamen 'Roundup' gehandelte Herbizid enthält neben Glyphosat auch Substanzen, die die Aufnahme des Wirkstoffs durch die Pflanzen erleichtern. In den neunziger Jahren wurde in Argentinien jährlich etwa eine Million Liter des Produkts verkauft. Offiziellen Statistiken zufolge ist die Menge inzwischen um fast das 300-Fache gestiegen.

Vor fünf Jahren setzte sich eine Gruppe von Nichtregierungsorganisationen für ein Ende der Besprühung von Anbauflächen mit Agrochemikalien ein. Man berief sich auf medizinische Berichte aus Provinzen, in denen der Soja-Anbau expandierte.

Die Regierung setzte daraufhin eine Kommission ein, die die Risiken für die menschliche Gesundheit prüfen sollte. Die Experten kamen allerdings zu keinem Ergebnis. Monsanto zufolge ist das Herbizid für den Menschen unschädlich, wenn es vorschriftsgemäß verwendet wird.

Die Biologin Delia Aiassa von der Universität in Rio Cuarto leitet zurzeit eine Studie über die Auswirkungen von Glyphosat auf die Gesundheit. Wie die Expertin berichtete, kann die Substanz Asthma, chronische Bronchitis, Reizungen von Haut und Augen, Schäden an Nieren, Leber und Nervensystem, Krebs sowie Entwicklungsstörungen bei Kinder und Missbildungen bei Föten hervorrufen. Zudem steigen Aiassa zufolge außerdem die Risiken für Fehlgeburten. Männer, die mit der Chemikalie in Berührung kämen, können unfruchtbar werden.

Wie die Forscherin IPS erklärte, werden Mäuse und Amphibien Glyphosat entweder in Reinform oder in einer Mischung mit anderen Zusatzstoffen ausgesetzt. Die Folge seien "genetische Schäden an Blutzellen, am Knochenmark und an der Leber". Würden die Tiere höheren Dosen ausgesetzt, ende dies für sie tödlich.

Auf Anfrage mehrerer kleiner Gemeinden in Córdoba, in deren Nähe sich Soja-Plantagen befinden, beobachtete das Forscherteam die Auswirkungen von Pestiziden und Herbiziden auf Menschen. In der Stadt Rincón de los Sauces leben 34 Familien in unmittelbarer Nähe zu Sojafeldern. 34 Prozent der Befragten gaben an, dass die Plantagen häufig mit Chemikalien besprüht werden.


Anwohner klagen über Vergiftungssymptome

Mehr als die Hälfte der Interviewten kritisierte, niemals über die Risiken durch den unsachgemäßen Gebrauch von Herbiziden informiert worden zu sein. 35 Prozent der Anwohner bemerkten bereits Vergiftungssymptome. Die meisten von ihnen versprühen die Chemikalien auf ihren eigenen Feldern.

Auch in anderen Städten kamen die Wissenschaftler zu ähnlichen Erkenntnissen. Sie stellten außerdem fest, dass Ärzte am Ort die durch Agrochemikalien verursachten Beschwerden nicht genau dokumentieren. Dies sei allerdings notwendig, um die längerfristigen Folgen zu analysieren.

Aiassa und ihr Kollege Damián Verzeñassi von der Nationalen Universität in Rosario berichteten über ihre Studien am 6. Dezember in einem Krankenhaus in Buenos Aires, in dem schwerkranke Kinder aus allen Landesteilen behandelt werden. Die menschliche Gesundheit müsse im Zusammenhang mit dem Zustand der Ökosysteme betrachtet werden.


Unternehmen kommen vor Gericht

Im kommenden Jahr müssen sich in der Provinz Córdoba zwei Agrarchemieunternehmen und der Pilot eines Sprühflugzeugs wegen des unerlaubten Einsatzes von Glyphosat in der Nähe des Dorfes Ituzaingó vor Gericht verantworten.

Nach Ansicht von Verzeñassi wird das Verfahren "sehr wichtig" für die Feststellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in solchen Fällen sein. Er kritisierte, dass die Ermittlungen erst auf massiven Druck einer Gruppe von Frauen aus Itizaingó in Gang gekommen seien. Das öffentliche Gesundheitswesen sei seiner Pflicht dagegen nicht nachgekommen.

Trotz aller Forderungen gibt es in Argentinien bisher kein Gesetz, das den Umgang mit Agrochemikalien regelt. Nur auf Provinzebene und in einigen Gemeinden gibt es Vorschriften, über deren Einhaltung allerdings nicht ausreichend gewacht wird.

Mit den Auswirkungen von Chemikalien in der Landwirtschaft befasste sich im Oktober auch eine 'Anhörung von Frauen zur Klimagerechtigkeit' in der nordostargentinischen Provinz Chaco. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.embriologiamolecular.fmed.uba.ar/
http://www.reduas.fcm.unc.edu.ar/quienes-somos/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=99760
http://www.ipsnews.net/print.asp?idnews=106159

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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2011