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GENTECHNIK/662: Gift inklusive - Debatte um Genmais Mon810 darf nicht verstummen (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 149 - April/Mai 09
Die Berliner Umweltzeitung

Gift inklusive
Debatte um Genmais Mon810 darf nicht wieder verstummen

Von Marlies Heyer


Für viele Bundes- und EU-Bürger ist Gentechnik ein ferner Begriff, der in Laboratorien gehört und mit ihrem Leben nichts zu tun hat. Die Gegenwärtigkeit der Gentechnik, allen voran der "grünen" wurde kürzlich durch eine EU-Debatte zurück ins Bewusstsein geholt. Am 2. März stimmte der Umweltministerrat über die Verbote des Genmaises Mon810 in einzelnen Mitgliedstaaten ab. Das Produkt des US-Konzerns Monsanto ist in der EU zum Anbau und Vertrieb zugelassen, doch Frankreich, Griechenland, Ungarn und Österreich haben Anbauverbote auf nationaler Ebene erlassen. Die EU-Kommission, die tendenziell gentechnikfreundlich gestimmt ist, wollte diese Verbote kippen und Monsanto den Weg quer durch Europa freiräumen. Dass dies misslang, ist auf die Stimme des Bundesumweltministers Sigmar Gabriel (SPD) zurückzuführen, der überraschend für eine Mehrheit auf der Seite der Gentech-Kritiker sorgte. Bisher hatte sich Deutschland bei Fragen zur grünen Gentechnik enthalten, da auf Bundesebene kein Konsens gefunden werden konnte.

Während Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) Gabriels Entscheidung begrüßte und sich selbst kritisch zum Nutzen von Gentechnik in der Landwirtschaft äußerte, kritisierten Kanzlerin Angela Merkel und Forschungsministerin Annette Schavan (beide CDU) Gabriels "Alleingang" und warfen ihm vor, gegen die Richtlinien des Koalitionsvertrages zu verstoßen. In diesem sei schließlich vereinbart, "Erforschung und Anwendung der Gentechnik zu fördern". Dies schaffe hochqualifizierte Arbeitsplätze und eröffne neue Chancen im landwirtschaftlichen Bereich.

Was Merkel und Schavan anscheinend nicht bedenken, sind die Risiken, die das Ausbringen von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) mit sich bringt. Schließlich wachsen GVO bereits auf unseren Feldern, allen voran der Bt-Mais Mon810. Dieses Geschöpf des Saatgutkonzerns Monsanto, der sich selbst als "Life-Science-Unternehmen" beschreibt, ist genau genommen eine Kreuzung aus Pflanze und Tier. Das Erbgut der Maispflanze wurde mit dem des Bakteriums Bacillus thuringiensis (Bt) kombiniert, damit die Pflanze das Bakteriengift Bt-Toxin produziert. So ist die Nutzpflanze resistent gegen den Maiszünsler. Diese Schmetterlingsart legt ihre Eier auf die Blattunterseite der Nutzpflanze, die geschlüpften Larven fressen vor allem das Mark der Maispflanze. Dabei wandern sie den Stängel entlang nach unten und überwintern schließlich verpuppt am Fuß der Pflanze. Durch die verlorene Stabilität knickt der befallene Mais unter der Last des Eigengewichts um. Tritt der Maiszünsler verstärkt auf, kommt es zu Ernteausfällen - dies soll der Bt-Mais Mon810 verhindern. Kurioserweise wird der Mais aber auch in Gebieten Deutschlands angebaut, in denen der Schädling gar nicht vorkommt.


Gentechnik für den Umweltschutz?

Monsanto bewirbt sein Produkt mit Argumenten, die den Eindruck erwecken, dass es sich beim Aussäen von Mon810 um einen Akt des Umweltschutzes handelt. Durch das bereits in der Pflanze produzierte Toxin muss laut Monsanto kein Spritzmittel mehr eingesetzt werden, einzig und allein der Schädling werde dezimiert, das Gift bliebe, da direkt in den Pflanzen, auch ausschließlich auf dem Feld. Seit einigen Jahren könne sogar gesteuert werden, in welchen Pflanzenteilen Bt-Toxin synthetisiert wird und in welchen nicht. So sei der Giftstoff hauptsächlich im Stängel und im Mark, also in den Hauptfutterquellen der Zünsler-Larve, enthalten. Bedenklich ist dabei jedoch, dass sämtliche Tests, Studien und Auswertungen von Monsanto selbst kommen. Unabhängige Prüfungen werden nicht in Auftrag gegeben. Finden sie doch statt, stimmen die Ergebnisse nachdenklich. So dokumentiert eine Greenpeace-Studie die erheblichen Schwankungen des Toxin-Gehalts in den Blättern des Maises auch bei ähnlichen Wachstumsbedingungen. Zudem produziert die Pflanze kurz vorm Blühen besonders viel Bt-Toxin. Da Mais sich großteils durch Windbestäubung befruchtet, wird der genmanipulierte Pollen und auch das darin enthaltene Gift weit über die Feldgrenzen hinaus verbreitet. So kommt es trotz Sicherheitsabständen zur Auskreuzung mit anderen Maissorten. Außerdem nehmen zahlreiche Organismen den Pollen als Nahrung auf. Auch wenn Bt-Toxin ein spezifisches Gift ist, ist der Maiszünsler nicht das einzige Lebewesen, bei dem eine Wirkung eintritt. Vor allem andere Schmetterlinge sind betroffen, die Langzeitauswirkungen von Bt-Mais auf Wirbeltiere sind noch nicht erforscht. So kann man sagen, dass wir derzeit alle an einem groß angelegten Experiment der Gentechnik-Industrie teilnehmen, dessen Ausgang ungewiss ist.

Diese Vorstellung ist erschreckend und so freuen sich Gentechnikgegner über den Einsatz Gabriels und Aigners. Doch Worte allein nutzen nicht viel, eine Entscheidung muss gefällt und Konsequenzen müssen gezogen werden - möglichst schnell, denn die Aussaat des Sommergetreides erfolgt in der Regel Mitte April. Wenn die Saat erst im Boden ist, ist es für dieses Jahr zu spät. Dies wäre nicht nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zur schleichenden Kontaminierung, sondern auch insofern bedenklich, als dass die Zulassung für Mon810 bereits im April 2007 abgelaufen ist. Monsanto stellte einen Antrag auf Neuzulassung, der seither läuft und nicht nur den Mais an sich, sondern auch die aus ihm gewonnenen Produkte einschließt. Solange der Antrag nicht endgültig abgelehnt wird, ist Mon810 in Deutschland und der EU verkehrsfähig.

Ob das nicht die falsche Reihenfolge ist und der umstrittene Gentech-Mais erst geprüft und dann angebaut und vertrieben werden sollte, fragen sich nicht nur Gentechnik-Kritiker. Immerhin haben sich die Zulassungsbedingungen seit der Erstgenehmigung 1998 verschärft, Monsanto muss die Ergebnisse eines Monitorings vorlegen, dass die Unschädlichkeit des Maises für das Ökosystem nachweist.

Die bisher von Monsanto veröffentlichten Resultate werden von Umweltschützern als unzureichend und oberflächlich kritisiert.


Die Zeit drängt

Doch während in Berlin und Brüssel noch über ein Verbot und dessen Legitimation gestritten wird und die Auswirkungen des Mon810 auf seine Umwelt untersucht werden, treten bereits zahlreiche Probleme auf. Vor allem Imker trifft der Anbau genmanipulierter Pflanzen hart, da sie eine Kontaminierung ihres Honigs befürchten müssen. Ihnen hilft der Sicherheitsabstand von 150 Metern zwischen GVO- und "Normalmais"-Feldern genauso wenig wie der Abstand von 300 Metern zwischen Gen- und Bio-Mais-Feldern, denn Bienen fliegen wesentlich weiter. Dadurch wird nicht nur der Honig wertlos, die Nutzinsekten tragen außerdem zur Auskreuzung von Mon810 über große Entfernungen hinweg bei. So kommt es, dass die Biene - anders als noch vor wenigen Jahren - gerade bei Bio-Bauern kein gern gesehener mehr Gast ist. Der Imkerei-Branche, die ohnehin mit Nachwuchsschwierigkeiten zu kämpfen hat, kommen diese Probleme mehr als ungelegen. Bisher bekommt sie aber nur Unterstützung von Aktivisten, die sich aus eigenem Interesse heraus mit der grünen Gentechnik und ihren Risiken auseinandersetzen. Es wäre schön, wenn neben Betroffenen und Umweltschützern endlich auch führende Politiker die Dringlichkeit des Thema erkennen.

Schwache Argumente, die die Gentechnologie zum Arbeitgeber der Zukunft stilisieren, halten dem Realitätstest nicht stand. Anstatt Existenzen zu sichern, zerstört die Gentechnik die Lebensgrundlage von Menschen, die jahrelang auf eigenen Beinen stehen konnten. Und auch die Bauern, die sich für den Anbau von MON810 entschieden haben, scheffeln nicht Geld ohne Ende: Der Nachbau, sonst gängige Methode zur Saatgutgewinnung, ist beim genmanipulierten und patentierten Mais verboten. So muss jährlich neues Saatgut vom Patentinhaber Monsanto gekauft werden. Problematisch ist ebenfalls, dass der Maiszünsler langsam aber stetig eine Resistenz gegen das Bt-Toxin ausbildet und so den Bauern, die mit Bt-Toxin spritzen, eine Möglichkeit der Schädlingsbekämpfung genommen wird. Auch wie sich die Bt-Toxin-Belastung des Bodens entwickelt, kann noch nicht beurteilt werden. Wirklich profitieren kann nur der Großkonzern, der die Fäden zieht - Monsanto.

Wenn es tatsächlich das Ziel der EU-Kommission ist, die Interessen eines Konzerns mehr zu unterstützen als die der Bürger, muss dringend etwas unternommen werden. Es gilt, bestehende Mon810-Verbote zu bekräftigen und neue auszurufen. Das Recht auf nationale und lokale Verbote von GVO darf keinem Staat und keiner Region streitig gemacht werden, zumal sich die EU-Politik selbst als vorsorgeorientiert bezeichnet. Dies wirkt unglaubwürdig, wenn nicht eine kalkulierbare Risikopflanze ohne Einschränkung freigesetzt werden darf, ohne dass Bürgervertreter die Möglichkeit haben, das zu verhindern. Eindeutiges Engagement seitens deutscher Politiker ist also mehr als angebracht, auf bisher leere Worte müssen nun, noch vor der Aussaat, Taten folgen. Doch auch jeder einzelne kann seine Stimme geltend machen - zum Beispiel bei der Wahl im Herbst dieses Jahres. Für ein gentechnikfreies Deutschland und Europa!


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Quelle:
DER RABE RALF - 20. Jahrgang, Nr. 149, April/Mai 09
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2009