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AGRARINDUSTRIE/128: Kein Ende der Massentierhaltung in Sicht (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2016

Kampf um Land
Lebensgrundlage, Ökosystem, Kapitalanlage

Kein Ende der Massentierhaltung in Sicht
Weitere Tierhaltungsanlagen beantragt und genehmigt

von Katrin Wenz


In Deutschland, dem Land, in dem regionale Spezialitäten fast immer Fleischgerichte sind, nimmt der Fleischverzehr dennoch langsam ab. Während 2011 pro Person noch 61,6 kg Fleisch verspeist wurden, so waren es 2014 nur noch 60,3 kg.[1] Immer mehr Menschen sind bereit, mehr Geld für Fleisch auszugeben, wenn sie wissen, dass die Tiere dadurch besser gehalten werden. Vegetarische und vegane Produkte liegen im Trend. Entgegen dieser Trends nimmt die industrielle Fleischproduktion in Deutschland weiter zu. Die Überproduktion bei Schweinefleisch liegt gegenwärtig bei etwa 16 Prozent, bei Hühnerfleisch sogar bei 29 Prozent. Produktionskosten der Erzeuger werden kaum gedeckt. Deutschland ist mit einer durchschnittlichen Fleischüberproduktion von 20 Prozent innerhalb von 10 Jahren von einem Nettoimporteur zu einem bedeutenden Nettoexporteur geworden.


Schon längst werden die meisten Tiere in Deutschland nicht mehr auf der Weide gehalten. Jährlich werden 830 Millionen Tiere[2] meist in intensiv wirtschaftenden Betrieben mit importiertem Soja gemästet - so entstehen 191 Millionen m³ Gülle [3] pro Jahr, die auf zu wenig Fläche ausgebracht werden. Die Umweltwirkungen der nichtflächengebundenen Tierhaltung auf das Grundwasser sind schon jetzt dramatisch. Die Böden können die Nährstoffe nicht aufnehmen und das Grundwasser ist stark mit Nitrat belastet. Trotzdem setzen Bundesregierung und Agrarlobby auf weiteres Wachstum. Für dieses Wachstum auf Kosten von Umwelt und Tierschutz trägt die Bundesregierung die Verantwortung, da sie die gesetzlichen Weichen für eine verantwortungsvollere Tierhaltung stellen könnte. Sie tut dies aber nicht.


Unübersichtliche Informationslage bei Großtierhaltungsanlagen

Große Tierhaltungsanlagen sind nach Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) genehmigungspflichtig. Doch wo und in welchem Umfang wurden die Anlagen genehmigt? Informationen über geplante Stallneubauten sind in den meisten Bundesländern nicht frei zugänglich. Aufgrund dieser Informationslücke hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) die Daten zu den Tierhaltungsanlagen nach Umweltinformationsgesetz bei den Landesministerien abgefragt. Nicht alle Ministerien stellten die Information bezüglich beantragter Tierhaltungsanlagen selbst zur Verfügung, einige Ministerien leiteten die Anfrage des BUND auch an die Kreise weiter. Aufgrund der hohen Bearbeitungskosten konnten die Daten in einigen Kreisen nicht erhoben werden, andere Kreise stellten keine Informationen zur Verfügung. Im Kreis Cloppenburg in Niedersachsen, wo 2012 mehr als 1,2 Millionen Schweine[4] gezüchtet wurden, konnte die Anfrage nicht beantwortet werden, da sie "zu unbestimmt" sei. Hinzu kommt, dass im Dezember 2015 MitarbeiterInnen des Cloppenburger Kreisbauamtes der Korruption bei der Genehmigung von Stallanlagen verdächtigt wurden. Auch aus Bayern liegen keine Daten vor, da das zuständige Ministerium lediglich Informationen zu bereits bestehenden Anlagen zur Verfügung gestellt hat.


Megaställe in Sicht

Die Abfrage zu den geplanten Anlagen zeigt: Zwischen 2012 und 2015 wurden weitere Megaställe für Mastgeflügel und Schweine beantragt und genehmigt. Die Intensivierung in Regionen, in denen bereits jetzt sehr viele Tiere gehalten werden, geht weiter: Bundesweit werden mindestens 720.000 neue Schweineplätze, wovon 418.000 Plätze für Mastschweine sind, geplant, sowie 10,8 Millionen neue Geflügelplätze, von denen mehr als 6,65 Millionen Hähnchenmastplätze sind. Als Zentrum der Fleischproduktion bauen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen die Produktion noch weiter aus. Der nachweisliche Ausbau der Stallplätze in Nordrhein-Westfalen für Mastschweine um fast 50.000 Plätze und für Ferkel um mehr als 33.000 Plätze stellt jedoch nur ein Wachstum von 1,4 Prozent bzw. 1,8 Prozent dar. Von den 100 weiteren Anträgen, für die der BUND keine Platzzahlen erhalten hat, handelt es sich bei 70 um neue Stallanlagen für die Schweinehaltung.

Demnach dürfte die tatsächliche Erweiterung von Tierplätzen ein Vielfaches sein. In Niedersachsen bleibt der Kreis Vechta die Toplage für die Schweineindustrie. Im Jahr 2010 gab es dort knapp 800 Schweinemastbetriebe mit insgesamt 1,06 Millionen Tierplätzen. Allein 2013 und 2014 sind dort über 87.000 neue Plätze genehmigt worden - mehr als in ganz Schleswig-Holstein oder Hessen. Ähnlich sieht es auch im niedersächsischen Emsland aus. Dort wurden zwischen 2013 und 2015 weitere 38.000 Schweineplätze genehmigt und zusätzliche knapp 12.000 Plätze sind beantragt - mehr als in ganz Brandenburg. Auch in der Geflügelmast geht der Konzentrationsprozess weiter. Dort, wo bereits besonders viel Geflügel gehalten wird, kommen noch weitere Megamastanlagen dazu. Im Jahr 2013 wurden bundesweit die meisten Masthähnchen in Niedersachsen gezählt. [5] Zwei Drittel aller rund 97,2 Millionen produzierten Hähnchen kamen aus Niedersachsen. Im niedersächsischen Emsland ist zum Beispiel eine Anlage für 320.000 Hähnchen genehmigt. Aber auch in anderen Bundesländern kommen riesige Anlagen hinzu. Alleine in Brandenburg wurden seit 2012 zusätzlich fast 1,2 Millionen Mastplätze beantragt. In Sachsen wurden etwa 710.000 und in Sachsen-Anhalt fast 850.000 Plätze beantragt. Zwar sind die Zahlen nicht als absoluter Zuwachs zu sehen, denn immer mehr kleine Betriebe schließen oder geben die Tierhaltung auf, doch zeigen sie ganz deutlich: Die Tierhaltung konzentriert sich dafür auf wenigere, aber größere Mastanlagen in Ballungsregionen.


Intensivierung der Putenmast

Aber auch in Bundesländern, in denen Massentierhaltung bisher eher als ein geringeres Problem angesehen wird, kommen Megaanlagen hinzu. Das zeigt ein Beispiel aus Baden-Württemberg: Die Putenmast hat ihre höchste Dichte im Landkreis Schwäbisch Hall: Dort hielten 2010 rund 50 Betriebe 528.097 Puten.[6] Eine neue Stallanlage für 48.420 Puten wurde 2013 genehmigt, wodurch sich die Tierplatzzahl im Landkreis um 9,2 Prozent erhöhte. Auch im nördlichsten Bundesland, in dem es noch relativ viel Weidewirtschaft gibt, wird die Geflügelindustrie kräftig ausgebaut. Waren es 2013 bereits 1.601.400 Mastgeflügeltiere,[7] so wurden bis jetzt Genehmigungen für 407.000 zusätzliche Tierplätze beantragt.[8] Sollten alle Stallanlagen in diesem Umfang gebaut werden, könnte dies eine Erhöhung des Geflügelbestands um 25,4 Prozent auf 2 Millionen Tiere bedeuten.


Teilerfolge gegen Megaanlagen

Die Zahlen neuer Tierhaltungsanlagen fallen geringer aus als in den Jahren zuvor. Die Genehmigungsverfahren sind schwieriger geworden. Bei besonders umweltrelevanten Tierhaltungsanlagen ist ein Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen. Die betroffenen AnwohnerInnen sowie die Umweltverbände haben die Möglichkeit, sich aktiv in die Genehmigungsverfahren einzubringen. Vielerorts regt sich Widerstand gegen geplante Massentierhaltungsanlagen. Alleine 2014 verhinderten BUND-Gruppen 30 Megaställe. In Brandenburg wurde das Volksbegehren gegen Massentierhaltung von mehr als 100.000 Menschen unterzeichnet. Doch dies sind nur Teilerfolge, denn die Industrialisierung der Tierhaltung schreitet voran und zwingt bäuerliche Betriebe zur Aufgabe. Aufgrund einer anstehenden Gesetzesänderung könnte es bald möglich sein, rechtlich schärfer gegen bereits bestehende Anlagen vorzugehen. Damit Bürgerinitiativen auch in Zukunft gegen die Agrarindustrie gewappnet sind, hat der BUND den Leitfaden gegen Massentierhaltung aktualisiert. Um die AnwohnerInnen zu informieren, gibt eine interaktive Karte mit den geplanten Anlagen. Der BUND setzt sich außerdem dafür ein, dass der gesetzliche Rahmen, der es erlaubt, dass Massentierhaltung weiter intensiviert wird, in Zukunft verschärft wird.



Die Autorin ist Agrarexpertin beim BUND e. V.

Die interaktive Karte finden Sie unter:
bund.net/mastanlagen.

Den Leitfaden gegen Massentierhaltung unter:
bund.net/pdf/massentierhaltung_leitfaden.



Anmerkungen:

[1] http://www.bvdf.de/in_zahlen/tab_05.

[2] http://albert-schweitzer-stiftung.de/massentierhaltung.

[3] www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Ministerium/Beiraete/Agrarpolitik/GutachtenNutztierhaltung.pdf?_blob=publicationFile.

[4] Topagrar.com. Mehr auf:
http://www.topagrar.com/archiv/Schweine-Schweine-Schweine-889574.html.

[5] http://www.agrarheute.com/news/zweidrittel-aller-masthaehnchen-kommenniedersachsen.

[6] Landesanstalt für Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume Schwäbisch Gmünd.

[7] Statistikamt Nord, Agrarstrukturerhebung 2013.

[8] Inklusive Genehmigungsanträge, bei denen der Tieranfangsbestand nicht bekannt ist.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 1/2016, Seite 45-46
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2016

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