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MASSNAHMEN/117: Opfer oder Täter? - Die Landwirtschaft in der Klimadebatte (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2011


Opfer oder Täter?
Die Landwirtschaft in der Klimadebatte

Von Florian Schöne


Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, die deutschen Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40% gegenüber 1990 zu senken. Der Beitrag der Landwirtschaft zur Zielerreichung beschränkt sich dabei bislang lediglich auf Nebeneffekte im Rahmen des umweltpolitischen Ordnungsrechts, während der Klimaschutz noch nicht ernsthaft in die Agrarpolitik und die landwirtschaftliche Praxis integriert ist. Und dies, obwohl eine Vielzahl ungenutzter Maßnahmen mit einem erheblichen Reduktionspotenzial existiert.

Die deutsche Landwirtschaft verursacht über 11% der gesamten Treibhausgasemissionen, in der EU-27 sind es insgesamt 9,2%. Den größten Anteil an diesen Emissionen machen Methan (CH4) und Lachgas (N2O) aus. THG-Emissionen aus der Landwirtschaft entstehen nicht nur durch die tierische Verdauung, die Ausbringung und Lagerung von Dünger sowie die Bodennutzung. Sie umfassen darüber hinaus CO2- und N2O-Emissionen, die durch Landnutzungsänderungen freigesetzt werden sowie CO2-Emissionen durch den landwirtschaftlichen Verkehr. Während die Methanemissionen aus der Tierhaltung seit 1990 in Folge einer gestiegenen tierischen Produktivität sowie Verbesserungen beim Wirtschaftsdüngermanagement etwas gesunken sind, steigen die Emissionen durch Landnutzungsänderungen weiter an. Einen Großteil dieser Emissionen verursachen die Entwässerung von Hoch- und Niedermoorflächen und deren anschließende Nutzung als Grünland oder für den Ackerbau. Auf diesen Flächen, die ca. 5-8% der landwirtschaftlichen Nutzfläche einnehmen, entstehen fast 5% der gesamten THG-Emissionen Deutschlands.

Für eine umfassende Klimabilanz müssten darüber hinaus theoretisch auch die Emissionen aus den vorgelagerten Sektoren einberechnet werden. Diese Emissionen entstehen durch die Herstellung von Dünge-und Futtermitteln, die Stromerzeugung sowie die Produktion und Wartung von Maschinen. Am Beispiel der Abholzung von Regenwäldern für den Sojaanbau in Brasilien oder für Palmölplantagen in Malaysia und Indonesien wird deutlich, dass die deutsche Agrar- und Bioenergiepolitik zumindest mitverantwortlich für steigende Emissionen in diesen Ländern ist.


Opfer oder Täter?

Der Deutsche Bauernverband behauptet gerne, die Landwirtschaft binde im Rahmen ihrer Produktion CO2 und sei daher klimaneutral. Bei der pflanzlichen Erzeugung handelt es sich jedoch nur um einen extrem kurzfristigen Speicher, da die Biomasse in kürzester Zeit durch Verzehr oder Verrottung wieder abgebaut und mineralisiert wird. In der Gesamtbilanz stellen landwirtschaftlich genutzte Flächen sogar eine starke Netto-CO2-Quelle dar, weil die CO2-Verluste durch die Nutzung entwässerter Moore und den Grünlandumbruch wesentlich höher liegen als die CO2-Bindung auf verbuschten Brachflächen oder neu geschaffenem Grünland. Nach Berechnungen des von-Thünen-Instituts kompensiert die Bindung von Treibhausgasen durch die Landwirtschaft lediglich 9% der Treibhausgase, die die Landwirtschaft durch Tierhaltung, Düngung, Moornutzung und Energieverbrauch emittiert. Die Landwirtschaft hat damit eine besondere Verantwortung bei der Verringerung der THG-Emissionen, zumal sie als Primärproduzent unmittelbar von funktionsfähigen Ökosystemen und günstigen Klimabedingungen abhängig ist.


Ziele und Anforderungen

Aus Umweltsicht müsste die Landwirtschaft entsprechend der nationalen Klimaschutzziele ebenfalls zu einer Senkung der THG-Emissionen um 40% bis zum Jahr 2020 verpflichtet werden. Sollte die EU ihr aktuelles Klimaschutzziel von minus 20% bis 2020 nicht erhöhen, könnten sogar noch höhere Verpflichtungen auf die Landwirtschaft zukommen: Da die Obergrenzen des Emissionshandels für die Stromwirtschaft und für energieintensive Branchen EU-weit bei minus 20% festgelegt werden, müsste Deutschland sein eigenes, anspruchsvolleres Ziel in Sektoren außerhalb des Emissionshandels erreichen - also in Bereichen wie Verkehr und Landwirtschaft. Mit der Ausarbeitung eines verbindlichen Aktionsprogramms für mehr Klimaschutz in der Landwirtschaft und der Festlegung verbindlicher quantitativer Reduktionsziele im Bereich Landwirtschaft und Landnutzungsänderungen könnte ein erster Schritt hin zu einer effektiven Klimaschutzstrategie geleistet werden. Grundlage für dieses Programm sollten Maßnahmen bilden, die aufgrund ihres hohen Reduktionspotenzials und der günstigen Synergieeffekte Vorrang haben. Dies bedeutet Folgendes:

1. Der Schutz bestehender Kohlenstoffspeicher sollte in der deutschen und europäischen Klimaschutzpolitik an erster Stelle stehen. Dies umfasst vor allem den Moorschutz und den Schutz von Dauergrünland vor Umbruch und Umwandlung in Ackerland. So hat der Schutz von Dauergrünland ein Minderungspotenzial von jährlich 10 t CO2/ha und die Renaturierung/Vernässung von Moorflächen sogar bis zu 37 Mio. t CO2. Für eine Prioritätensetzung auf diese Maßnahmen sprechen nicht nur das hohe Minderungspotenzial und die Synergien mit anderen Umweltzielen, sondern auch die Tatsache, dass: a) der Schutz von kohlenstoffreichen Böden hinsichtlich Kosten und Nutzen effizienter ist als Maßnahmen zur Steigerung des Kohlenstoffgehaltes in Böden; b) potenziell mehr Kohlenstoff durch die Zerstörung von Speichern verloren geht als durch neue Anreicherungsmaßnahmen gewonnen werden kann und c) die Erfassung des Kohlenstoffgehaltes einfacher und verlässlicher ist als die Ermittlung der Zunahme von Kohlenstoff in Böden.

2. Es sollten multifunktionale Maßnahmen zur Minderung von Stickstoffemissionen in den Bereichen Tierhaltung und Düngemanagement umgesetzt werden, die zudem einen praktikablen Monitoring- und Verwaltungsaufwand aufweisen. Diese Kriterien werden u.a. bei der verbesserten Wirtschaftsdüngerlagerung und reduzierten N-Düngung erfüllt.

3. Zusätzlich sollten geeignete Bewirtschaftungsmaßnahmen gefördert werden, die zur Kohlenstoff-Fixierung beitragen. Dazu gehören u.a. der Anbau von Leguminosen, eine reduzierte Bodenbearbeitung, das Belassen von Ernterückständen auf dem Feld und die Einhaltung von vielfältigen Fruchtfolgen. Diese Maßnahmen sind zudem mit geringen Umsetzungskosten verbunden und besitzen einen mehrfachen Nutzen: Sie verbessern die Langzeitproduktivität der Böden und tragen zur Ernährungssicherung sowie zur Anpassung an den Klimawandel bei.

4. Die Umstellung auf ökologischen Landbau hat mehrere positive Auswirkungen auf die Abschwächung des Klimawandels. Durch den Verzicht auf Pestizide und Kunstdünger, einen reduzierten Viehbesatz, die Förderung einer Kreislaufwirtschaft und die Umsetzung von Maßnahmen zur Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit können beim Ökolandbau klimagasmindernde Effekte erreicht werden. Die THG-Emissionen von Öko-Betrieben in Deutschland sind daher auch pro produzierter Einheit deutlich niedriger als im konventionellen Landbau.

Klimaschutz darf dabei aber nicht gegen Tierschutz oder andere Ziele einer zukunftsfähigen Agrarpolitik ausgespielt werden. Wer versucht, den Einsatz von Totalherbiziden und gentechnisch verändertem Saatgut unter dem Deckmantel des Klimaschutzes für eine "konservierende Bodenbearbeitung" hoffähig zu machen, treibt den Teufel mit dem Beelzebub aus. Gentechnik, Pestizide oder industrielle Massentierhaltung bieten keine nachhaltigen Lösungen für die komplexen Probleme unserer Landnutzungssysteme. Stattdessen muss versucht werden, Synergieeffekte zwischen der Klimapolitik und weiteren Zielen wie dem Erhalt der biologischen Vielfalt und dem Ressourcenschutz zu erreichen.

Der Autor ist Referent für Agrarpolitik & Bioenergie sowie stellvertretender Fachbereichsleiter Naturschutz und Umweltpolitik beim NABU-Bundesverband in Berlin.


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Von der Landwirtschaft zur Ernährung - Klimakiller Fleisch?

In den vergangenen 40 Jahren hat sich der weltweite Fleischverbrauch von 78 auf 250 Millionen Tonnen pro Jahr mehr als verdreifacht. Der Weltagrarbericht (IAASTD) geht davon aus, dass dieser Trend anhält, wenn der hohe Fleischkonsum der Industrieländer gleich bleibt und städtische Mittelschichten in China und anderen Schwellenländern sich diesem Niveau weiter annähern. Die Viehhaltung hat jedoch enorme Auswirkungen auf die Umwelt: 18% der gesamten THG-Emissionen und 9% aller anthropogenen CO2-Emissionen gehen auf ihr Konto. Allein die deutschen Sojaimporte zur tierischen Fütterung belegen rund 2,8 Mio. ha Ackerflächen in Übersee. 70% der landwirtschaftlichen Nutzfläche und 30% der globalen Landfläche werden von der Tierhaltung beansprucht.

Wo Tiere vorwiegend Gras und andere Pflanzen fressen, die zur direkten menschlichen Ernährung nicht geeignet sind, erhöhen sie das Lebensmittelangebot und leisten einen Beitrag zur Produktion. Die meisten Masttiere fressen heute jedoch nicht mehr Gras, sondern Mais, Soja und Getreide, das auf Ackerflächen wächst, die der direkten Lebensmittelproduktion verloren gehen.

Die Reduzierung des Fleisch- und Milchverbrauchs in den Industriestaaten und ihre Begrenzung in den Schwellenländern ist daher der dringendste und effektivste Schritt zur Sicherung der Ernährung, der natürlichen Ressourcen und des Klimas. Eine kritische Auseinandersetzung mit unserem Fleischkonsum sollte daher zu den zentralen Anliegen der Umwelt- und Entwicklungsbewegung gehören. Als mögliche Instrumente könnten hierfür schärfere ordnungsrechtliche Maßnahmen (z.B. Fleisch- oder Futtermittelsteuer, Flächenbindung der Tierhaltung, Abschaffung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes auf Fleisch) sowie Aufklärungskampagnen ("Rückkehr zum Sonntagsbraten") diskutiert werden. Die Klima-Allianz will sich in den kommenden Monaten intensiv mit dieser Frage auseinandersetzen.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2011, S. 7-8
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2011