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SCHÄDLING/045: Das Maikäfer-Phänomen (ForschungsReport)


ForschungsReport 1/2011
Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz

Das Maikäfer-Phänomen

Von Dietrich Stephan, Kerstin Jung und Regina G. Kleespies (Darmstadt)


In regelmäßigen Abständen wird in den Medien mit dramatischen Schlagzeilen vor dem "Luftkampf gegen Maikäfer" oder gar der "Krabbelkatastrophe" gewarnt. Die Pressestimmen deuten darauf hin, dass diesem Schädling eine besondere Aufmerksamkeit zukommt. Mit ähnlichen Schlagzeilen werden auch die afrikanischen Wanderheuschrecken bedacht, wenn sie sich wieder einmal zu großen Schwärmen in die Lüfte erheben. Beide Schädlinge sind seit Generationen im Bewusstsein der Menschen und scheinen immer wieder ganz unerwartet in Massen aufzutreten. In den vergangenen Jahrzehnten wurde immer wieder über eine biologische Bekämpfung des Maikäfers am Institut für Biologischen Pflanzenschutz des Julius Kühn-Instituts (JKI) in Darmstadt geforscht. Warum bisher kein entsprechendes Verfahren in Deutschland in der Praxis etabliert werden konnte, soll im Folgenden beleuchtet werden.

Der Maikäfer - ein prominenter Schädling

Als Maikäfer werden im Volksmund die beiden Arten Feldmaikäfer (Melolontha melolontha) und Waldmaikäfer (M. hippocastani) bezeichnet, die in Europa weit verbreitet sind. Der Feldmaikäfer ist überwiegend in Mitteleuropa, aber auch in Teilen Süd-, Nord- und Osteuropas beheimatet. Die Verbreitung des Waldmaikäfers reicht bis Zentral- und Ostasien. Die Entwicklung vom Ei über drei Larvenstadien bis zum erwachsenen Käfer dauert in unseren Breiten 3-4 Jahre. Im Flugjahr krabbeln die Käfer je nach Witterung Ende April oder Anfang Mai aus dem Boden und fliegen bevorzugt Eichen an, um dort ihren Reifungsfraß durchzuführen. Ein Weibchen legt in der nur 4-7 Wochen währenden Lebensspanne 30 bis 70 Eier. Die Maikäferlarven (Engerlinge) sind die Hauptschadensverursacher, die sich mit ihren kräftig ausgebildeten Mundwerkzeugen auch über stärkere Wurzeln verschiedener Kulturpflanzen, besonders im Obstund Weinbau sowie im Forst hermachen. Bei großem Nahrungsangebot und in Abwesenheit natürlicher Begrenzungsfaktoren, wie Klima, Fressfeinde oder Krankheiten, wächst die Maikäfer-Population kontinuierlich.

Seit den 1980er Jahren vermehren sich beide Maikäferarten besonders im süddeutschen Raum und richten große Schäden an. In den Hauptbefallsgebieten in Hessen und Baden-Württemberg gibt es lokal verschiedene Stämme beider Maikäferarten mit unterschiedlichen Hauptflugjahren. 2011 fliegen Waldmaikäfer im Bienwald (Südpfalz) sowie in Baden-Württemberg (nördlich von Karlsruhe) und Feldmaikäfer am Kaiserstuhl.


Bekämpfungsstrategien

Zwischen 1800 und 1940 wurde versucht, Käfer durch Sammeln und Abschütteln von Bäumen zu dezimieren, wie dies zum Beispiel in der Max-und-Moritz-Geschichte von Wilhelm Busch schön illustriert ist. Mit Kulturmaßnahmen sollte die Eiablage verhindert werden, und den Engerlingen wurde mit Pflug oder Fräse zu Leibe gerückt. Ab dem 20. Jahrhundert wurden chemische Verfahren angewendet. In den 1950er und 1960er Jahren wurden Maikäfer mit den Chlorkohlenwasserstoffen DDT und Lindan® sehr effektiv bekämpft - allerdings verbunden mit vielen Nebenwirkungen auf die menschliche Gesundheit und den Naturhaushalt, die schließlich zum Verbot dieser Stoffe führten. Derzeit sind zehn Insektizide für die Anwendung im Forst zugelassen, jedoch keines gegen Maikäfer. Auf Basis von speziellen Genehmigungen nach § 11(2) des Pflanzenschutzgesetzes (PflSchG) zur Abwendung von Gefahren durch den Maikäfer wurden in den letzten Jahren Pflanzenschutzmittel und Beauveria brongniartii, ein insektenpathogener Pilz, angewendet.


Biologischer Pflanzenschutz im Forst

Der Wald ist ein sensibler Lebensraum für eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen, den Menschen dient er als Natur- und Erholungsraum, aber auch als Wirtschaftsgut mit großer ökonomischer Relevanz. Aus diesen Gründen ist dort die großflächige Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel nur in besonderen Fällen zu erwägen. Pflanzenschutz im Wald muss, sofern er notwendig und möglich ist, besonders umweltverträglich sein.

Am Darmstädter Institut für Biologischen Pflanzenschutz des JKI wurden über viele Jahre natürlich vorkommende Gegenspieler, vornehmlich insektenpathogene Viren, Bakterien und Pilze erforscht sowie Untersuchungen zur biologischen Bekämpfung von Forstschädlingen durchgeführt. Als einziges biologisches Mittel war im Forst das Bacillus thuringiensis-Präparat Dipel ES® zur Bekämpfung verschiedener Schmetterlingsraupen, wie dem Eichenprozessionsspinner, zugelassen. Diese Zulassung endete jedoch Anfang 2011. Somit bietet nur noch die "Liste zur Herstellung von Pflanzenschutzmitteln im eigenen Betrieb" (§ 6a PflSchG) dem Forst die Möglichkeit, den insektenpathogenen Pilz Beauveria brongniartii gegen Maikäfer einzusetzen.


Beauveria brongniartii

Seit über 100 Jahren ist B. brongniartii als der wichtigste Gegenspieler des Maikäfers bekannt. In den Maikäferverbreitungsgebieten werden bei Grabungen immer wieder verpilzte Engerlinge gefunden. Schon in den 1930er Jahren wurde versucht, diesen natürlichen Gegenspieler in der Praxis zu nutzen, indem man ihn in den Boden eingebracht hat. Dort infiziert der Pilz relativ spezifisch alle Entwicklungsstadien des Maikäfers, aber verwandte Blatthornkäfer (Scarabaeidae) werden kaum befallen, so dass Nebenwirkungen gegenüber Nicht-Zielorganismen sehr gering sind.

Mittlerweile sind B. brongniartii-Produkte in Österreich und der Schweiz verfügbar. Diese Produkte basieren auf mit B. brongniartii bewachsenen Getreidekörnern und werden bei einer Neupflanzung als Pflanzlochbehandlung oder großflächig mit speziellen Sämaschinen bis 10 cm tief in die Erde ausgebracht. Aufwandmengen von 30-50 kg pro Hektar sind hierfür notwendig. In Österreich und der Schweiz wurden in den vergangenen Jahren Maikäfer ausschließlich mit B. brongniartii bekämpft.

In verschiedenen Forschungsprojekten wurden am Darmstädter JKI-Institut Verfahren zum Einsatz von B. brongniartii gegen Feldund Waldmaikäfer entwickelt und getestet. Ab 1999 fanden im Rahmen eines EU-Projektes Laboruntersuchungen zu Wirksamkeit und Produktionseigenschaften verschiedener B. brongniartii-Isolate statt. Unterstützt durch Hessen-Forst und gemeinsam mit lokalen Forstdiensten wurden verschiedene Pflanzloch- und Streifenbehandlungsverfahren entwickelt, bei denen Pilzkörner-Produkte im Zuge von Aufforstung und Naturverjüngung in den Boden eingebracht wurden. Mit den meisten dieser Verfahren konnte der Pilz im Boden etabliert werden, und seine Sporen überdauerten in einer für Engerlinge tödlichen Dichte für mindestens zwei Jahre. Methoden, bei denen Käfer in Pheromonfallen gelockt werden und sich dort mit dem Pilz infizieren ("Catch & Infect") oder die Behandlung der Baumkronen mit Pilzsporenpulver, waren dagegen weniger erfolgreich: Zuletzt konnte kein ausreichend hoher Sporeneintrag in den Boden und somit keine Übertragung auf die nächste Generation nachgewiesen werden. In der Vergangenheit scheiterten die hierfür notwendigen, mehrjährigen und großflächigen Untersuchungen zum Nachweis der Wirksamkeit an der nur kurzfristigen Finanzierung entsprechender Projekte.

Trotz vielfältiger Forschungsansätze konnte bisher keine praxisreife Methode zum Einsatz dieser biologischen Alternative in Deutschland entwickelt werden. Pflanzlochbehandlungen können nur bei Neuanpflanzungen eingesetzt werden, Streifenbehandlungen sind nur in lichten Beständen möglich. Auch sind die Wirksamkeit und Wirkungssicherheit biologischer Myko-Insektizide nicht mit denen chemischer Insektizide vergleichbar. Der Tod des Zielinsektes tritt nicht unmittelbar nach Kontakt ein. Insektenpathogene wie B. brongniartii haben ein enges Wirtsspektrum. Dies ist zwar aus ökologischer Sicht sehr positiv zu bewerten, macht deren Kommerzialisierung aus unternehmerischer Sicht aber schwierig, da den geringen Umsätzen solcher "Nischen-Produkte" hohe Kosten gegenüberstehen. Problematisch sind bislang auch die nur begrenzte Produktstabilität und die geringe Lagerfähigkeit. Jedoch, andernorts haben Pilzpräparate schon den Sprung in die Praxis geschafft.


Aus erfolgreichen Entwicklungen lernen

Szenenwechsel - erweitern wir den Blick auf Afrika: Bei genauem Hinschauen treten unerwartet viele Parallelen zwischen Maikäfern und Wanderheuschrecken auf. In beiden Fällen ist es für eine effektive Bekämpfung meist schon zu spät, wenn der Schädling in die Schlagzeilen kommt. Die Maikäfer-Engerlinge haben den Schaden schon über mehrere Jahre angerichtet, die Heuschrecken sich zu großen Schwärmen aufgebaut. Beide Insekten sind in ökologisch sensiblen Lebensräumen zu finden. Der Einsatz chemischer, breit wirksamer Pflanzenschutzmittel in diesen Habitaten wird sehr kontrovers diskutiert und ist ein Politikum. Als sich in den 1990er Jahren in Afrika und anderen Teilen der Erde eine Heuschreckenplage aufbaute, wurde der Ruf nach umweltverträglichen Bekämpfungsverfahren laut. In Europa, Afrika, USA und Australien wurden langfristig angelegte nationale wie internationale Forschungsprogramme etabliert, so auch am Institut für Biologischen Pflanzenschutz. Nach einer ersten, breit angelegten "Suchphase" wurde in verschiedenen Projekten der Einsatz insektenpathogener Pilze zur Bekämpfung der Wanderheuschrecken erprobt - mit unerwartetem Erfolg. Vermutlich hatte vorher niemand damit gerechnet, dass ausgerechnet Pilze unter den extremen klimatischen Bedingungen der Wüsten jemals zum Einsatz kommen könnten. Jedoch Dank der langfristigen Finanzierung über mehr als zehn Jahre und der vielschichtigen Forschungsansätze konnten Produkte und Strategien entwickelt werden, die inzwischen zur Heuschreckenbekämpfung in z. B. Afrika und Australien großflächig mit Erfolg eingesetzt werden. Berücksichtigt wurden ökologische Aspekte, anwendungsorientierte Fragen zur Produktion, Formulierung und Ausbringung des Pilzes, aber auch Themen der Kommerzialisierung, Zulassung sowie der Markteinführung des insektenpathogenen Pilzes Metarhizium acridum. Da hier ein großes gesellschaftliches Interesse vorlag und langfristige Projektfinanzierungen gewährleistet waren, konnte die Entwicklung und Zulassung eines selektiven Mittels zur biologischen Bekämpfung der Wanderheuschrecken erreicht werden.


Der Maikäfer bleibt ein Thema

Ein vergleichbar langer Atem zur biologischen Maikäferbekämpfung über mehrere Käfergenerationen hinweg wäre notwendig, um die Anwendung biologischer Mittel zu optimieren und ihre Wirkung zu überprüfen. Im Forst wird in Generationen gedacht, bei der biologischen Maikäferbekämpfung muss dies ebenfalls geschehen. Die Biologie der Maikäfer und die Wirkungsweise des insektenpathogenen Pilzes erfordern mehrjährig angelegte Untersuchungen und dauerhaft verfügbare Versuchsflächen, in denen über eine einzelne Maikäfergeneration hinaus Anwendung und Auswirkung von B. brongniartii untersucht werden können. Ein stets mit dem Flugjahr wiederkehrendes kurzfristiges Interesse am Maikäfer wird diesem Problemschädling nicht gerecht. Die Entwicklung nachhaltiger Strategien und Konzepte zur Reduktion der Maikäferpopulation mit B. brongniartii als einer wichtigen Komponente wird ohne entsprechend langfristige Forschung nicht möglich sein.

Dr. Dietrich Stephan, Dr. Kerstin Jung, Dr. Regina G. Kleespies,
Julius Kühn-Institut, Institut für Biologischen Pflanzenschutz,
Heinrichstr. 243, 64287 Darmstadt. E-Mail: dietrich.stephan[at]jki.bund.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

• Engerlinge aus einer Bodenprobe.

• Mit Beauveria brongniartii verpilzter Maikäfer. Der Pilz breitet sich im Insekt aus, tötet es ab und bricht dann durch weichere Stellen des Chitinpanzers, z. B. zwischen den Segmenten, nach außen durch. Kommen andere Maikäfer oder ihre Engerlinge mit den Pilzsporen in Kontakt, können sie sich ebenfalls infizieren.

• Laubfraß von Maikäfern an Ahorn.

• Vierjähriger Lebenszyklus des Maikäfers: Die Larve (Engerling) lebt über mehrere Jahre im Boden, wo sie sich zweimal häutet. Das dritte Larvenstadium verpuppt sich, die daraus schlüpfenden Käfer überwintern zunächst im Boden und kommen im darauf folgenden Frühjahr an die Oberfläche.


Diesen Artikel inclusive aller Abbildungen finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.forschungsreport.de


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Quelle:
ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz
1/2011, Heft 43 - Seite 23-26
Herausgeber:
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Schriftleitung & Redaktion: Dr. Michael Welling
Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsanstalten
c/o Johann Heinrich von Thünen-Institut (vTI)
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
Tel.: 0531/596-1016
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de
Internet: www.forschungsreport.de, www.bmelv-forschung.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2011