NATURSCHUTZ heute - Sommer 2018
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.
Zwischen Land und Meer
Salzwiesen sind ein extremer Lebensraum
von Bernd Pieper
Salzwiesen sind krautige Pflanzenlandschaften und eine in vielen Jahren gewachsene natürliche Barriere zwischen Meer und Deich. Sie entstehen, weil mit jeder Flut Schwebeteilchen ins ufernahe Watt geschwemmt werden. Dabei sinkt feines Material ab und bildet mit der Zeit eine Schlickschicht. Die wächst rund einen Zentimeter pro Jahr. Wenn der Schlick nicht mehr von jedem Hochwasser überflutet wird, siedelt sich der - übrigens essbare - Queller an, eine sogenannte Pionierpflanze, der schon bald weitere Pflanzen folgen.
Im Verhältnis zur mittleren Hochwasserlinie bilden sich unterschiedliche, ineinander übergehende Vegetationsflächen. In der bis zu 700-mal pro Jahr überschwemmten Pionierzone gedeihen beinahe ausschließlich Queller und Schlickgras. Für die untere Salzwiese, die jährlich bis zu 300-mal unter Wasser steht, sind Andelgras, Stranddreizack und Englisches Löffelkraut typisch. In der höchstens 70-mal pro Jahr überschwemmten oberen Salzwiese wachsen unter anderem Rotschwingel, Strandwegerich und Tausendgüldenkraut.
Spezialisten
Salzwiesen sind ein extremer Lebensraum. Da Salz in großen Mengen die
Aufnahme von ausreichend Flüssigkeit erschwert, haben die Pflanzen
Strategien zur Regulierung ihres Wasserhaushalts entwickelt. Der
Queller etwa verdünnt das aufgenommene Salz in seinen Zellen mit
Süßwasser, was zum namensgebenden Aufquellen der Pflanze führt. Da die
Pflanzen der Salzwiesen für ihren jeweiligen "Entsalzungsmechanismus"
viel Energie verbrauchen, wachsen sie recht langsam. Dafür müssen sie
in ihrer sehr speziellen Umgebung kaum Konkurrenz fürchten.
Für rund 50 Vogelarten, darunter Löffler, Ringelgans und Rotschenkel, sind Salzwiesen ein unverzichtbarer Rast- und Brutplatz. Auch rund 1.650 Spinnen und Insekten sollen sich hier tummeln. So ganz genau vermag das noch niemand zu sagen. Darunter finden sich echte Experten wie der Prächtige Salzkäfer, der sich im oberen Bereich seiner Wohnröhre einen kleinen Algenvorrat für schlechte Zeiten anlegt. Oder die Gelbe Wiesenameise, die von den Ausscheidungen der Wurzellaus lebt und sich daher im eigenen Nest eine Läusezucht hält.
Weltweit einzigartig
In Niedersachsen gibt es rund 8.400 Hektar Salzwiesen. Auf
Salzwiesen-Erlebnispfaden wie in Neßmersiel oder Sehestedt lässt sich
dieser Lebensraum auf eigene Faust oder besser noch auf Exkursionen
entdecken. An der schleswig-holsteinischen Westküste bilden Salzwiesen
ein Saumbiotop von rund 13.410 Hektar und gelten aufgrund ihrer
Zusammensetzung und Ausdehnung als weltweit einzigartig. Eine
besonders große zusammenhängende Salzwiese befindet sich im
Naturschutzgebiet "Vorland-Sönke-Nissen-Koog und Hamburger Hallig",
das seit vielen Jahren vom NABU betreut wird.
Einst nahmen die Salzwiesen an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste sehr viel mehr Raum ein. Das änderte sich, als der Mensch höher gelegene Bereiche eindeichte und das Land vor dem Deich durch Schafe beweiden ließ. In den 1980er Jahren wurden rund 90 Prozent der schleswig-holsteinischen Salzwiesen intensiv beweidet, was vielerorts zu massiven Überweidungs- und Trittschäden führte. Die Folge waren nicht nur ökologische Probleme, sondern auch eine massive Einschränkung der ursprünglichen Küstenschutzfunktion. Diese Einsicht führte zu einer Rücknahme der Beweidung und 1995 zur Entwicklung eines "Vorlandmanagementkonzepts", mit dem die verbliebenen Salzwiesen geschützt und neue hinzugewonnen werden sollten. Heute werden knapp 40 Prozent aller Salzwiesen in Schleswig-Holstein nicht mehr genutzt, rund 20 Prozent werden extensiv beweidet.
Im Dienst der Wissenschaft
An der Universität Hamburg wird eifrig zu Salzwiesen geforscht. Unter
anderem hat ein Team um die Biologin Stefanie Nolte im
Sönke-Nissen-Koog in Nordfriesland und dem Dieksanderkoog in
Dithmarschen 280 Teebeutel vergraben und nach drei Monaten wieder
ausgebuddelt. Mit dem Experiment wollen die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler herausfinden, wie schnell bzw. langsam sich das
pflanzliche Substrat von Grünem und Rooibos-Tee zersetzt. Je länger
das in den kalten und feuchten Böden dauert, desto länger bleibt auch
das in den Pflanzen gespeicherte Kohlenstoffdioxid gebunden. Mit dem
Projekt Interface (Interaktion von Fischen, Pflanzen, Kohlenstoff und
Sediment) soll vor allem ermittelt werden, ob von dem gebundenen
Kohlenstoff auch die Fische in den Salzwasserprielen profitieren. Doch
auch in Sachen Klimaschutz haben die noch nicht vollständig
ausgewerteten Daten Relevanz, schließlich gilt das Marschland an der
Küste als ein wichtiger Kohlenstoffspeicher - effektiver als der
tropische Regenwald, sagt Antonia Anner, Biologin am Institut für
Angewandte Pflanzenökologie der Uni Hamburg: "Durch das Absterben der
Pflanzen und die Überflutungen wird dieser Kohlenstoff Teil des
marinen Nahrungsnetzes."
Die Pflanzen der Salzwiesen verbrauchen für ihren jeweiligen "Entsalzungsmechanismus" viel Energie und wachsen dadurch recht langsam.
In einem anderen, langfristig angelegten Experiment untersuchen die Hamburger Biologinnen und Biologen, wie sich der globale Temperaturanstieg auf Salzwiesen auswirkt. Dafür überspannten sie 27 Testflächen mit Kunststofffolie und werden dort bis zum Jahr 2022 jeweils von März bis September beobachten, welchen Einfluss die Erwärmung auf die Entwicklung der Artenzusammensetzung in verschiedenen Vegetationszonen, auf die Produktion und den Abbau von Biomasse und die Kohlenstoffspeicherung im Boden hat. Zusätzlich erwärmen Kabel im Boden drei Flächen um anderthalb Grad Celsius und drei weitere um drei Grad Celsius. Ende 2018 werden erste Ergebnisse erwartet.
Nicht nur an der Küste
tritt im Binnenland salzhaltiges Grundwasser an die Oberfläche, können
dort ebenfalls Salzwiesen entstehen. Solche Flächen, wie etwa
Marstall- und Luchwiesen bei Storkow (Brandenburg), kommen europaweit
allerdings nur sehr selten vor, in Deutschland vor allem in der Mitte
und im Norden. in Hessen gibt es rund 25 Hektar Salzwiesen, vor allem
in der Wetterau, wo bis ins 19. Jahrhundert noch Salz aus Solequellen
gewonnen wurde.
Der Queller als sogenannte Pionierpflanze, die Strandaster und die Strand-Salzmelde als Vertreter der unterschiedlichen, ineinander übergehenden Vegetationsflächen.
• In Zusammenarbeit mit der Nationalparkverwaltung Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer hat der NABU 2017 die Broschüre "Pflanzen der Salzwiese" herausgegeben. Darin werden die wichtigsten 28 Pflanzen der Salzwiesen knapp und präzise beschrieben. Die Broschüre gibt es unter anderem im NABU-Naturzentrum Katinger Watt und über die NABU-Landesgeschäftsstelle in Neumünster (2,50 Euro plus Versandkosten).
• Ebenfalls 2017 ist im Kieler Wachholtz-Verlag das Buch "Küstenpflanzen an Nord- und Ostsee" von Rainer Borcherding und Martin Stock (ISBN: 3529054917, 14,80 Euro) erschienen. Hier werden die "Überlebenskünstler" und ihre Lebensräume auf 160 Seiten und mit zahlreichen Fotos ausführlich vorgestellt.
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Quelle:
Naturschutz heute - Sommer 2018, Seite 16 - 17
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ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.
veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2018
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