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INITIATIVE/382: Breiter Bürgerwiderstand verhindert "Privatisierung" von Elbe-Nebenfluss (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1122, vom 22. Januar 2018, 37. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Breiter Bürgerwiderstand verhindert "Privatisierung" von Elbe-Nebenfluss


Im Jahr 2017 war eines der bestimmenden Themen in Hitzacker die drohende "Privatisierung" der Jeetzel, einem kleinen Nebenfluss der Elbe im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg. Aber nicht nur in Hitzacker, auch bundesweit sorgte der angesagte Verkauf der letzten 820 Meter des knapp 70 Kilometer langen Flüsschens für Aufsehen. Die Jeetzel umfließt malerisch die Altstadt von Hitzacker und gehört zu den identitätsstiftenden Elementen des Städtchens. Mit seinen Bootsanlegern und Restaurantschiffen hat die Jeetzel auch eine hohe touristische und gastronomische Bedeutung für Hitzacker. Das Problem: Die letzten 820 Meter gehörten dem Bund. Als die Elbe noch Grenzfluss zwischen der DDR und BRD war, ankerten dort die Zollboote des Bundes. Seit der Wende benötigte der Bund die kurze Fließstrecke an der unteren Jeetzel nicht mehr. Nicht mehr benötige Liegenschaften des Bundes müssen aus Gründen der sparsamen Haushaltsführung meistbietend verkauft werden - und damit auch die 820 Meter lange Fließstrecke der Jeetzel vor ihrer Einmündung in die Elbe. Als der anstehende Verkauf durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ruchbar wurde, organisierte der Verein "Wir für Hitzacker" den Widerstand gegen die "Privatisierung" der Jeetzel. U.a. befürchtete der sehr agile Verein, dass ein privater Dritter künftig darüber bestimmen könnte, wer an den Bootsanlegern seine Schiffe vertäuen könne.

Die Stadt hatte zwar ein Vorkaufsrecht - aber kein Geld, um das Jeetzelteilstück selbst zu erwerben. Wegen Überschuldung der Stadt war und ist es der Gemeinde untersagt, noch weitere Schulden aufzunehmen. Also rief der Verein zu einer Spendensammlung auf, um der quasi bankrotten Stadt finanziell unter die Arme zu greifen: Knapp 90.000 Euro wollte die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben für die Flussstrecke einstreichen. Letztlich konnte der Verein 53.000 Euro an Spenden einwerben. Gleichzeitig setzte der Verein im niedersächsischen Landtag und im Bundestag alle Hebel in Bewegung, um den Jeetzelverkauf an private Dritte zu verhindern. Das Engagement des Vereins und dessen breite Unterstützung bei den Einwohnern, beim Bürgermeister und im Stadtrat sowie bei wohlgesonnen Bundestags- und Landtagsabgeordneten zeigte schließlich Wirkung beim damals noch amtierenden grünen Umweltminister Stefan Wenzel.

Zunächst hatte das Land Niedersachsen kein Interesse daran gezeigt, dem Bund den 820 Meter langen Flussabschnitt abzukaufen. Man fürchtete die Unterhaltungskosten, die bei einem Erwerb vom Bund auf das Land übergegangen wären. Die breite Ablehnung einer "Privatisierung" des Jeetzelteilstücks bewegte den Umweltminister dann aber doch, im Sept. 2017 dem Erwerb des untersten Teilstücks der Jeetzel durch das Land Niedersachsen zuzustimmen - was vom Verein "Wir für Hitzacker" mit einem Spontanfest am Jeetzelufer gebührend gefeiert wurde. Die für einen Kauf der Jeetzel nun nicht mehr benötigten Spendengelder will der Verein an die SpenderInnen zurückzahlen. Wer die Stichworte "Jeetzel Verkauf" in eine Suchmaschine eintippt, bekommt eine Fülle von Medienberichten zur letztlich gelungenen Verhinderung der "Privatisierung" der Jeetzel präsentiert. Der hohe Aufmerksamkeitsfaktor in den Medien rührte u.a. daher, dass die "Flussprivatisierung" in Hitzacker lt. dem Verein "Wir in Hitzacker" einmalig in Niedersachsen, lt. taz sogar einmalig in Deutschland gewesen wäre. Die Frage, ob es rechtlich überhaupt möglich ist, einen Fluss an private Dritte zu veräußern, wird in der nachstehenden Rezension näher nachgegangen (vgl. auch RUNDBR. 868/1 zur "Flüsse-Privatisierung" in der Türkei).

Auch PETA wollte den Jeetzelabschnitt kaufen

Eine überraschende Episode in dem Konflikt um die "Privatisierung" der Jeetzel ergab sich, als im März 2017 auch die Tierrechteorganisation PETA Interesse am Kauf des Jeetzelabschnitts signalisierte. PETA kündigte an, den Flussabschnitt "zu einem Fischrefugium" machen zu wollen. "in dem Angeln und jegliche Fischerei verboten" sein sollten. "Mit dem Kauf des Jeetzel-Abschnitts bei Hitzacker und seiner Umwandlung in ein Fischrefugium möchten wir den Tieren einen Zufluchtsort bieten, an dem niemand sie mit Ködern in eine Falle lockt, ihnen einen Haken durch den Mund bohrt, sie erschlägt und aufschneidet", so Dr. Tanja Breining, Fachreferentin für Fische und Meerestiere bei PETA. "In Hitzacker könnten alle Fische künftig friedlich schwimmen, spielen oder sich in Ruhe um ihren Nachwuchs kümmern."

Mehr Infos unter:
https://www.peta.de/peta-zeigt-kaufinteresse-an-der-jeetzel- flussabschnitt-koennte-fischrefugium-werden

Darf man einen Fluss privatisieren?

Wie schon im RUNDBR. 913/1 erwähnt worden ist, beantwortet der ehemalige § 1a bzw. der heutige § 4 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) die Frage, ob man einen Fluss in Deutschland "privatisieren" darf. Ausführlich mit § 4 setzt sich die jüngst erschienene 2., völlig neu bearbeitete und wesentlich erweiterte Auflage des WHG-Kommentars von Berendes, Frenz und Müggenborg (Hrsg.) auseinander. Der Auslegung von § 4 räumt der Kommentar allein 28 Seiten ein. Entscheidend für die Frage einer Fluss-"Privatisierung" ist Abs. 2 von § 4, in dem es heißt:

"Wasser eines fließenden oberirdischen Gewässers und Grundwasser sind nicht eigentumsfähig".

Bezogen auf einen Bach oder Fluss bedeutet das, dass man zwar nicht das Wasser - die "fließende Welle" - in einem Fließgewässer privatisieren kann, das Flussbett und seine Ufer aber sehr wohl. "Zweifelsohne kann an der physischen Gestalt eines Gewässers, insbesondere also am Bett oberirdischer Gewässer und bei den Küstengewässern am Meeresboden Eigentum bestehen." Demgegenüber sei die "fließende Welle" ähnlich wie die Luft "herrenlos". Für den WHG-Kommentar ist die Eigentumsfähigkeit von Gewässern zwar "rechtstheoretisch von grundsätzlicher Bedeutung". Wegen "der fehlenden Eigentümerbefugnisse" sei die Eigentumsfrage "in der Praxis aber ohnehin nicht von ins Gewicht fallender Relevanz". Wie das oben genannte Beispiel der Jeetzel zeigt, hatte der drohende Verkauf für die BürgerInnen von Hitzacker aber eine ganz herausragende Relevanz. Auch an der Jeetzel stand nie das Flusswasser an sich zum Verkauf, sondern "nur" das Flussbett samt seinen Ufern.

Und wie sieht es mit der Eigentumsfähigkeit von Seen aus?

Hierzu stellt der Kommentar fest, dass die Eigentumsfrage an stehenden Gewässern bei der letzten großen Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) im Jahr 2009 "bundesrechtlich ungeregelt" geblieben wäre. Die Novelle war nämlich eine schwere Geburt und der Bundesrat hatte vielerlei Einwendungen formuliert gehabt (siehe RUNDBR. 922/2, 912. 909, vgl. RUNDBR. 526/1, 521/3-4, 475/1). Die Nichtaufnahme von stehenden Gewässer in § 4 (2) könne man darauf zurückführen, dass der Bundesgesetzgeber den Ländern ihre bisherigen Kompetenzen bei der Regelung von Eigentumsfragen an Gewässern "nicht noch weiter beschneiden" wollte. Was zur Folge hat, dass man in Deutschland bei Vorhandensein von genügend Kleingeld auch als Privatmensch Seen samt ihrem Wasser käuflich erwerben kann.

"Klare Sicht im WHG": Der WHG-Kommentar von Berendes, Frenz, Müggenborg in 2. Auflage

Den hier auf den Seiten 1 bis 3 besprochenen WHG-Kommentar von Dr. jur. Konrad Berendes (ehemals Wasserrechtsreferent im Bundesumweltministerium), Prof. Dr. jur. Walter Frenz und Prof. Dr. jur. Hans-Jürgen Müggenborg wird vom Erich Schmidt Verlag mit den Worten "Klare Sicht im WHG" beworben. Zunächst wird man aber von nahezu zwei Kilogramm Gewicht und nahezu 2000 Seiten fast erschlagen. Wenn man dann aber über die Entstehungsgeschichte und die Hintergründe eines WHG-Paragraphen und die dazu bislang ergangenen Urteile mehr erfahren will, wird man für die Ausführlichkeit der Exgese der einzelnen Paragraphen, Absätze, Sätze und Wörter dankbar sein. Der WHG-Kommentar kostet 188 Euro. Das erscheint zunächst einmal als nicht gerade billig. Wenn man aber in einer konkreten Auseinandersetzung darauf angewiesen ist, einen WHG-Paragraphen richtig auszulegen, können sich die 188 Euro schnell amortisieren. Den WHG-Kommentar kann man über jeder Buchhandlung oder auch online unter www.ESV.info/15886 direkt beim Verlag bestellen.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1122
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2018

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