Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → LEBENSRÄUME


MASSNAHMEN/222: Wilde Wasser - Die Lebensadern der Alpen (WWFmagazin)


WWF magazin, Ausgabe 3/2015
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Wilde Wasser
Vielfalt leben von Ammersee bis Zugspitze

Von Claire Tranter, WWF


Tief eingegraben ins Gebirge haben sich Ammer, Lech, Isar und Loisach. So schufen sie Räume für eine in Deutschland einzigartige Artenvielfalt. Ein neues Projekt in den oberbayerischen Alpen soll diesen Naturreichtum erhalten und die Verbundenheit der Menschen mit der Region stärken.

*

Am Nordrand der Alpen sind die Flüsse natürlicherweise richtig wild. Mit Getöse rauscht das Wasser durch enge Schluchten, hobelt Gestein ab, reißt Felsbrocken und Erdklumpen mit und lagert sie in ruhigerem Wasser weiter flussabwärts als breite Kies- und Schotterbänke wieder ab. Hier am Oberlauf von Ammer, Lech, Isar und Loisach sind Überlebenskünstler zu Hause - wie die Bachforelle und der Flussuferläufer oder die Deutsche Tamariske und das Alpen-Leinkraut. Steilhänge und weite Ebenen, Moore und Wiesen wechseln sich ab und bieten hochbedrohten Arten wie dem Lungenenzian-Ameisenbläuling oder dem Kiesbank-Grashüpfer eine letzte Heimat. Weiter bergab schlängeln sich die Flüsse durch weite Ebenen und speisen Moore und Auenwälder mit Grauerlen und Traubenkirschen.

Die Alpenflusslandschaften zwischen Ammersee und Zugspitze zählen zu den 30 deutschen Hotspots der biologischen Vielfalt. Diese wurden vom Bundesamt für Naturschutz und dem Bundesumweltministerium mit den Bundesländern bestimmt. Jetzt will ein breites Bündnis aus Verwaltung, Sozialbereich, Wirtschaft und Naturschutz, koordiniert durch den WWF, diese mehr als 3000 Quadratkilometer große Region besser schützen und der Bevölkerung dort ihre herausragende Natur bewusster machen. Mit rund 3,5 Millionen Euro wird das Vorhaben durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesumweltministeriums sechs Jahre lang gefördert, weitere 700.000 Euro steuert der Bayerische Naturschutzfonds bei und etwa 460.000 Euro die Projektpartner, davon rund 165.000 Euro der WWF.

Wofür steht das Projekt?

Ziel ist es, den weiteren Naturverlust in der Projektregion zu stoppen. Denn nur noch rund zehn Prozent der Flusslandschaften entlang Ammer, Lech, Isar und Loisach sind in einem natürlichen oder naturnahen Zustand. Durch Stauwerke und Begradigungen graben sich die Flüsse tiefer ein und verlieren immer mehr an Dynamik. Der Lech ist mit 24 Stauwerken und 30 Querbauwerken sogar der am stärksten verbaute Wildfluss Deutschlands. Und weitere Hochwasserbaumaßnahmen und Wasserkraftwerke drohen. Zugleich lässt eine intensivere Landwirtschaft dem Fluss immer weniger Raum. Außerdem werden auch heute noch Flächen entlang der Flüsse besiedelt oder industriell verbaut. Das verschärft die Hochwassergefahr.

Dieser Zangengriff verschiedener Bedrohungen lässt die biologische Vielfalt bedrohlich schrumpfen. Er lässt sich aber auch nicht von heute auf morgen lockern. Vielen Menschen sind wirtschaftliche Fortschritte wichtiger als Arten und Lebensräume. Deshalb gilt es, der Bevölkerung die ökologischen Besonderheiten ihrer Region näherzubringen, ihnen zu vermitteln, dass Heimat nichts ist ohne intakte Natur. So will das Projekt "Alpenflusslandschaften" vor allem Wissen über diese hochdynamischen Wildflüsse und ihre Artenvielfalt verbreiten und dadurch um Unterstützung für ihren Erhalt werben. Mehr noch: Die Menschen an Ort und Stelle sollen sich noch stärker als bisher mit der Naturregion identifizieren.

Das Bündnis für dieses Projekt ist breit: 18 Partner, viele von ihnen vom Bundesprogramm "Biologische Vielfalt" gefördert, haben im Oktober 2014 das Projekt gestartet. Ihre Botschaften wie "Wir leben Vielfalt - vom Ammersee bis zur Zugspitze" werden auf vielen Wegen vermittelt - über Ausstellungen und Fachveranstaltungen genauso wie durch Workcamps und Mitmachaktionen für Kinder und Jugendliche.

Was passiert an Ort und Stelle?

Neben der Öffentlichkeitsarbeit wird auch die ökologische Qualität der Lebensräume in den Flusslandschaften verbessert, um deren natürliche Wildheit wieder zu stärken. An der Isar werden Moore revitalisiert, an der Ammer Kleingewässer wieder vernetzt und ehemalige natürliche Überflutungsflächen wieder an den Fluss angebunden. Flüsse sollen wieder "krumm" fließen dürfen. Und wilder, wie der Lech im Bereich der Litzauer Schleife. Wir unterstützen zudem gezielt Arten, die auf Wildflüsse spezialisiert sind. So soll an der Isar die Flussseeschwalbe durch den Bau von Nistflößen dazu gebracht werden, sich im Sommer wieder hier niederzulassen. Der Ausbau des Flusses hatte den auf Kiesbänken brütenden Zugvogel vertrieben.

An der Ammer und am Lech wird der Bestand an Deutscher Tamariske, einem Halbstrauch, der auf Kies- und Schotterbänken wächst und das natürliche Chaos in den Flüssen liebt, mit Pflanzungen gestärkt. Die ursprünglich großen Bestände sind nach den vielen Ausbaumaßnahmen des letzten Jahrhunderts fast ausgestorben. Inzwischen gibt es wieder nahezu natürlich-dynamische Flussabschnitte, wo neu angepflanzte Tamarisken eine Überlebenschance haben. An der Isar sind große Flächen ursprünglich freier Kiesbereiche durch die geringere Strömung zugewachsen. Spezialisierte Arten wie die vom Aussterben bedrohte Gefleckte Schnarrschrecke werden dadurch immer mehr verdrängt. Durch Beweidung der Kiesflächen mit Ziegen und später mit Rindern werden diese Lebensräume wiederhergestellt.

Heimatgefühl bewahren

Darüber hinaus gibt es im Rahmen des Projekts Exkursionen entlang der Flüsse sowie Feste an deren Ufern. Und die Menschen der Region kommen zu Wort: Um Jüngeren ein Gefühl dafür zu vermitteln, was durch die weitgreifenden Veränderungen an Natur, Heimat und Wildheit bereits verloren gegangen ist, finden am Lech "Zeitzeugen-Cafes" statt. Hier berichten Anwohner, die in ihrer eigenen Kindheit und Jugend die Faszination eines Wildflusses noch selbst erlebt haben.

Damit soll jedem klar werden: Mit dem Verlust der biologischen Vielfalt geht auch ein großer Teil des Heimatgefühls verloren. Dem will das Projekt entgegensteuern, indem möglichst viele Menschen davon überzeugt werden, die Wildflusslandschaften aktiv zu erhalten.


Mehr Infos über das Projekt, seine Partner und aktuelle Termine unter:
wwf.de/alpenflusslandschaften


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Wildflüsse mit ihrem Artenreichtum sind die Lebensadern der Alpen.

- Viel zu zahm: Die Alpenflüsse sollen wieder wilder werden. So wie der Lech an der Litzauer Schleife. Das schafft Lebensräume für Flussseeschwalben, Bachforellen und die seltene Deutsche Tamariske.

*

Quelle:
WWF Magazin 3/2015, Seite 24 - 27
Herausgeber:
WWF Deutschland
Reinhardtstraße 18, 10117 Berlin
Tel.: 030/311 777 700, Fax: 030/311 777 888
E-Mail: info@wwf.de
Internet: www.wwf.de
 
Die Zeitschrift für Fördermitglieder und Freunde der
Umweltstiftung WWF Deutschland erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang