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MASSNAHMEN/227: Wie sinnvoll ist das Vernichten von Weißfischen? (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 188 - Oktober/November 2015
Die Berliner Umweltzeitung

Wie sinnvoll ist das Vernichten von Weißfischen?
Streit um die "richtigen" Maßnahmen zur Gewässerverbesserung

Von Volker Voss


Seit Jahren gibt es zwischen der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN) und verschiedenen Senatsverwaltungen einen regen und kontroversen Schriftverkehr wegen eines aus öffentlichen Mitteln finanziertes Weißfisch-Befischungsprogramms in Berliner Gewässern. Stein des Anstoßes ist die damit zusammenhängende Vernichtung großer Fischmengen der Sorte Weißfisch. Aufgrund der Zunahme von Nährstoffen hätten sich die Weißfische stark vermehrt. Mit dieser Maßnahme ist eine Nähr- und Schadstoffreduzierung der Berliner Gewässer beabsichtigt, argumentiert das Fischereiamt Berlin. Anschließend werden die Fische entsorgt, was von der BLN als Tierquälerei angeprangert wird. Zudem wird die Maßnahme von Fachleuten grundsätzlich als sinnlos betrachtet.

Das Fischereiamt Berlin vergibt dazu Aufträge zur Befischung (Fischfang) der Weißfische als Dienstleistung mit vorgegebener Fangmenge an Fischereibetriebe, um durch deren Reduzierung die angestrebte Verbesserung der Wasserqualität zu erreichen. Zudem werde dadurch die Artenvielfalt erhalten und genug Nahrung für gesunde Fische wie Bleie geschaffen. Darüber hinaus solle damit auch das verbreitete Fischsterben angegangen werden.

Bei Weißfischen handelt es sich um kleine Fische wie beispielsweise Aland, Perlfisch, Zährte und Döbel. Diese seien ohnehin nicht vermarktungsfähig, so die Senatsverwaltung. Weißfische gelten zwar als sehr schmackhaft, weil ihr Fleisch jedoch viele kleine Gräten enthält, kommen sie als Speisefische nicht infrage.

Hohe Nährstoffzufuhr

Problematisch sind grundsätzlich die hohen Nährstoffeinträge, die zwar in den letzten 20 Jahren aufgrund verschiedener Maßnahmen zurückgegangen sind, aber immer noch nicht ausreichen, um zu einem Zustand klaren, phytoplanktonarmen Wassers zu kommen. Die Nährstoffzufuhr ist aufgrund eines hohen Eintrags von Nitraten und Phosphaten entstanden. Das wiederum führt zu verstärktem Algenwachstum und einer starken Sauerstoffreduzierung. Dadurch gerät das ökologische Gleichgewicht der Gewässer aus den Fugen. Die bereits erfolgte teilweise Verbesserung ist auf die Installation von Kläranlagen, phosphatfreier Waschmittel und dem Einsatz weniger Düngemittel in der Landwirtschaft zurückzuführen.

Später wurde im Auftrag der Senatsverwaltung dazu übergegangen, gezielt Raubfische wie Zander und Aale auszusetzen, die die Weißfische fressen sollten. Diese Maßnahme ist genauso umstritten wie das Vernichten großer Mengen Fische. Weißfische sind typische Beutefische, die von anderen Fischen wie Hecht, Zander und Flussbarsch gefangen werden.

Die BLN lehnt die Senatsprogramme ab und macht die mangelhafte Berücksichtigung des Tierschutzes geltend. "Deshalb hatten wir 2008 den Antrag eingebracht, die Weißfischbefischung zu verbieten", sagt Christiane Bernhardt von der BLN, die auch dem Fischereibeirat angehört. Ohnehin seien derartige Maßnahmen in offenen Gewässern wie Spree oder Havel ökologisch wirkungslos. Laut Fischereiamt sei die Befischung der Weißfische als Maßnahme zur Sicherung und Verbesserung der Lebensgrundlagen des Fischbestandes notwendig.

Selbstregulierende Ökologie

Es gab auch gemeinsame Arbeitsgruppensitzungen von Fischereiamt Berlin, Fischereibeirat, Stiftung Naturschutz Berlin und der betreffenden Senatsstelle. Die Auffassungen waren jedoch so kontrovers und gegensätzlich, dass es zu keiner Übereinkunft kommen konnte. Große Zweifel am Sinn der Fischfangmaßnahmen erhob unter anderem Klemens Steiof (Oberste Naturschutzbehörde). Er kritisierte während einer Sitzung im Dezember 2010 in einer Stellungnahme zum Fischsterben in den Gewässern des Berliner Innenstadtbereichs, dass es nicht nachvollziehbar ist, warum das Fischsterben auf die in diesem Gewässerbereich nicht stattfindende Befischung zurückzuführen sei, wie von offizieller Seite behauptet. Wenn einerseits eine Biomanipulation, mit der eine Steuerung von Nahrungsketten im Rahmen einer Wassergütebewirtschaftung zur Sanierung überdüngter Seen erfolgen soll, es aber trotzdem zu einem weiterem Nährstoffeintrag komme, sei ein Rückgang der Nähr- und Schadstoffe durch Fischentnahme reine Spekulation. Um eine Verbesserung zu erreichen, müssten wenigstens 75 Prozent des dortigen Fischbestandes entnommen werden, anstatt der bisherigen 20 Prozent, so Klemens Steiof. Grundsätzlich könne man die Eutrophierung (schädliche Zunahme von Pflanzennährstoffen) der Berliner Gewässer nicht mit Befischungsmaßnahmen korrigieren. Es handele sich in Berlin um Fließgewässer. Ökologie funktioniere anders, nämlich selbst regulierend, merkte Dr. Klaus Lüdicke, Landestierschutzbeauftragter, an. "Wenn sich Gewässer durch Verbauung und dergleichen nur für einige Arten eigneten, ist das zu akzeptieren", ergänzte Dr. Klaus Lüdecke, Landestierschutzbeauftragter. "Das Wegfangen, um zu töten, sei nach dem Tierschutzgesetz nicht zulässig", mahnte Dr. Johann-Wolfgang Landsberg-Becher, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Naturschutz Berlin. Susanne Jürgensen, Leiterin des Fischereiamtes Berlin, bestreitet, dass es sich in Berlin um ein offenes System von Fließgewässern mit fortdauerndem Nährstoffeintrag handelt. Die Gewässer sind durch Schleusen und Wehre in ihrer Fließgeschwindigkeit begrenzt.

Tierschutz berücksichtigen

Christiane Bernhardt verweist darauf, dass der Tierschutz seit 1995 in der Berliner Verfassung verankert ist, im Grundgesetz seit 2002. Fischerei sei ohnehin eine einzige Quälerei. Außerdem handele es sich bei der Befischung eher um eine Subventionierung der Fischereibetriebe, kritisiert sie. Der zurückgehende Absatz beim Fischverkauf könne nicht durch öffentlich finanzierte Befischung wettgemacht werden. Im Zusammenhang mit dem Tierschutz macht sie auch darauf aufmerksam, dass es aufgrund der schlecht konstruierten Fischernetze (Reusen) auch zum unbeabsichtigten Beifang von Vögeln und Fischottern komme. Denn die verwendeten Netze haben keine obere Öffnung, so dass diese Tiere nicht entweichen können. Vielmehr sollte die Anschaffung geeigneter Netze gefördert werden. Bislang werde Tierquälerei gefördert.

Als Begründung der offiziellen Ablehnung wurde angeführt, dass bei der Verwendung eines solchen Netzes eine zweite Person gebraucht würde. Deshalb wurde im Interesse des Tierschutzes gefordert, das Fischereigesetz grundsätzlich zu erweitern. Statt zu subventionieren, sollte beispielsweise eine Fischereiabgabe erhoben werden. Mit dieser Abgabe könnte dann auch so ein weiterer Mitarbeiter beim Fischfang bezahlt werden, argumentiert Tier- und Umweltschützerin Christiane Bernhardt gegen die Ablehnung, geeignete Netze finanziell zu fördern.

Bis Ende der 1970er Jahre wurden Weißfische im ehemaligen West-Berlin zu Tierfutter verarbeitet und an Schweineställe weitergegeben. Nachdem in den Fischen DDT und PCB entdeckt wurde, wurden die vielen Tonnen Weißfische kurzerhand als Sondermüll behandelt.

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Quelle:
DER RABE RALF
26. Jahrgang, Nr. 188, Seite 18
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2015

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