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RECHT/051: Sind "ökologische Flutungen" ein zu kompensierender "Eingriff"? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1067 vom 25. Juli 2015 34. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Sind "ökologische Flutungen" ein zu kompensierender "Eingriff"?


Kein Ausdruck ist am südlichen Oberrhein verhasster als die "ökologischen Flutungen". So auch in Schwanau, wo der Hochwasserrückhaltepolder "Alte Elzmündung" rund 6 Mio. Kubikmeter Rheinhochwasser zwischenspeichern soll. Der Spatenstich zum Bau des Polders hat unter Protest der dortigen Bürgerinitiative am 24. Juli 2015 durch den baden-württembergischen Umweltminister, Franz Untersteller (Grüne) und die Freiburger Regierungspräsidentin, Bärbel Schäfer, stattgefunden. Die Bürgerinitiative (BI) und die Anliegergemeinde Schwanau hatten gegen den Polder bis vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig geklagt - und verloren: "Wir sind gegen eine Wand gerannt und betonartig abgewiesen worden", hatte INGRID SCHARFF, die Vorsitzende der BI, die Erfahrungen beim Gang durch die Gerichtsinstanzen zusammengefasst. Die Anwohner des künftigen Polders fürchten vor allem die Folgen der "ökologischen Flutungen" in dem Polder-Areal: Schnakenplage, Druckwasser in den Kellern, eingeschwemmter Müll, Einschränkungen bei der Begehbarkeit des bewaldeten Polderareals und andere Schrecknisse. Die Klage von BI und Anliegergemeinde hatte aber nicht nur diese Befürchtungen zum Gegenstand. Die Klage stütze sich u.a. auf die formale Ansicht, dass es sich bei den "ökologischen Flutungen" um einen Eingriff im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) handeln würde. Damit müssten Auswirkungen der "ökologischen Flutungen" auf Flora und Fauna im Polderareal durch geeignete Naturschutzmaßnahmen ausgeglichen werden. Alle drei Instanzen (Verwaltungsgericht Freiburg, Verwaltungsgerichtshof Mannheim, Bundesverwaltungsgericht Leipzig) konnten dieser Auffassung nicht folgen. Da der Streit um den naturschutzrechtlichen Charakter von "ökologischen Flutungen" auch für die anderen Polderstandorte an Rhein, Donau und Elbe von Bedeutung ist, wird nachfolgend die diesbezügliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts näher vorgestellt.

Mit "ökologischen Flutungen" zur Hochwasserresistenz

Die Leipziger Richter haben ihrem Urteil gleich den folgenden Leitsatz vorangestellt: "Ökologische Flutungen können Vermeidungsmaßnahmen im Sinne des § 15 Abs. 1 BNatSchG gegenüber Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft durch die Hochwasserrückhaltung und gleichzeitig Ersatzmaßnahmen im Sinne des § 15 Abs. 2 BNatSchG für die durch sie selbst bewirkten Eingriffe sein."

Damit hatten die Leipziger Richter die Positionierung der Rechtsanwälte der Gemeinde Schwanau und der BI über die "ökologischen Flutungen" als ausgleichsbedürftigen Eingriff abgeschmettert. Wie zuvor schon die Richter in Freiburg und Mannheim war man in Leipzig davon ausgegangen, dass die "ökologischen Flutungen" von Nöten sind, um die zu erwartenden Schäden durch die große Retentionsflutung zu minimieren. Denn zum regulären Hochwassereinsatz kommen die Polder am Rhein nur alle zehn bis dreißig Jahre. Alle Pflanzen und Tiere, die nicht auf Hochwasser getrimmt sind, saufen dann ab. Nach der großen Retentionsflutung würden sich ohne zwischenzeitlich praktizierte "ökologische Flutungen" erneut Lebensgemeinschaften etablieren, die mit einem Hochwasser nicht umgehen können. Die Folge wären völlig instabile Lebensgemeinschaften, die alle 10 bis 30 Jahre untergehen würden. Deshalb sollen kleinere und mittelgroße Rheinhochwasser genutzt werden, um über wiederkehrende "ökologische Flutungen" Pflanzen und Tiere auf die große Überflutung vorzubereiten. Mit den "ökologischen Flutungen" sollen Lebensgemeinschaften herangezogen werden, die überflutungstolerant sind. Mit den "ökologischen Flutungen" können somit im Polderareal wieder aueähnliche Verhältnisse geschaffen werden. Das ganze noch Mal im Richterdeutsch:

"Da die relativ seltenen Hochwassereinsätze des Rückhalteraums die Natur und Landschaft erheblich und nachhaltig beeinträchtigen würden, sollen zusätzlich so genannte Ökologische Flutungen durchgeführt werden. Sie sollen die Pflanzen und Tiere sowie die Landschaft an die bei Hochwasserrückhaltung auftretenden Überflutungen adaptieren bzw. die Sukzessionen im Rückhalteraum so beeinflussen, dass sich überflutungstolerante Gemeinschaften bilden können."

"Öko-Flutungen" als "wesentliche ökologische Verbesserung"

In der Begründung zur Abweisung der beantragten Revision gaben die Richter am Bundesverwaltungsgericht den Klägern mit auf den Nachhauseweg, dass mit den "ökologischen Flutungen" die Biodiversität im Polderareal verbessert werden könnte:

"In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Behörde zur Kompensation eines Eingriffs wegen eines naturschutznäheren Endziels auch Maßnahmen ergreifen darf, die zunächst eine Beeinträchtigung des bestehenden naturhaften Zustands darstellen. Erweist sich die Maßnahme in der naturschutzfachlichen Gesamtbilanz als günstig, stellt sie also insbesondere eine wesentliche Verbesserung des bestehenden Zustandes dar, bedarf der mit der Maßnahme zunächst bewirkte Eingriff keiner weiteren Kompensation durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen." (Rn 18).

"Ökologische Flutungen" hätte damit "eine Doppelfunktion": Zum einen würden die periodischen Schädigungen der Lebensgemeinschaften im Polderareal durch die Retentionsflutung beim großen Rheinhochwasser minimiert. Zum anderen hätten die "ökologischen Flutungen" den Charakter von Ersatzmaßnahmen "für die auch durch sie selbst bewirkten Eingriffe in Natur und Landschaft" - denn ohne Zweifel würden die "ökologischen Flutungen" Schäden an den nicht überflutungstoleranten Pflanzen und Tieren hervorrufen. Das aber sei genau der Zweck der "ökologischen Flutungen" - nämlich die Zurückdrängung der Arten und Lebensgemeinschaften, die mit einer Überflutung nicht zu Streich kämen.


Das BVerwG-Urteil 7 B 6.14 vom 19.09.14 kann unter
www.bverwg.de/entscheidungen/entscheidung.php?ent=190914B7B6.14.0
heruntergeladen werden.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1067
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2015

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