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SPORT/027: Wismarbucht und Salzhaff - Von Kitern und Kreuzern (BUNDmagazin)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 2/2018

Wismarbucht und Salzhaff
Von Kitern und Kreuzern

von Severin Zillich


Die Wismarbucht zählt zu den wertvollsten EU-Vogelschutzgebieten an der deutschen Ostseeküste. Ein engagierter Landesverband und eine findige BUND-Gruppe vor Ort wollen, dass dies so bleibt.


Ein stürmischer Tag Mitte März, das Thermometer zeigt drei Grad, das Wasser dürfte nur wenig wärmer sein. Trotzdem zischen zwei Kitesurfer mit ihren bunten Lenkdrachen über die Wellen. Sie haben sich eine reizvolle Uferzone der Wismarbucht ausgesucht. Ihre Autos parken direkt vor einem Schild, das auf die Bedeutung dieses Bereichs für Rastvögel hinweist - und um Rücksicht bittet. Tatsächlich schwimmen weit draußen Hunderte von Pfeifenten, Berg- und Reiherenten. Bevor die Kiter kamen, lagen sie mit Sicherheit dichter am geschützten Ufer.

Schlechter Zustand

Fast überall an der deutschen Küste von Nord- und Ostsee boomt das Kitesurfen und anderer Wassersport. Für den Vogelschutz ein echtes Problem: Laut einer britischen Studie scheucht ein einziger Kiter auf neun Hektar die Vögel auf (ein Spaziergänger: 0,1 Hektar). Rings um die Wismarbucht ist die Zahl der Surf-, Kite- oder Jetskischulen und -verleihe in den letzten Jahren rapide gestiegen, so Andreas Schwienhorst vom BUND Salzhaff-Rerik. Gleichzeitig weisen 70 Prozent der Brut- und Rastvogelarten, für die das Schutzgebiet Ende der 90er Jahre eingerichtet wurde, den (schlechtesten) Erhaltungszustand »C« auf. In ihrer Mehrzahl reagieren diese Vögel empfindlich auf jede Störung.

Die EU fordert die Mitgliedstaaten auf, das Netzwerk ihrer Schutzgebiete »Natura 2000« über nationale Schutzverordnungen abzusichern. An der Wismarbucht wählte man einen anderen Weg. Um Konflikte zu vermeiden, setzte man auf Freiwilligkeit. Ein Zusammenschluss ansässiger Wassersport- und Angelvereine, Fischer und Vogelschützer kam 2005 überein, die Bucht zu zonieren: Neben sensiblen Bereichen für die Natur wurden Regeln für das Angeln und einige Reviere für den Wassersport definiert.

Stumpfes Schwert

Doch diese Vereinbarung erwies sich als stumpfes Schwert, aus mehreren Gründen. So müht sich ein einziger Ranger mit Halbzeitstelle, das weiträumige Vogelreservat per Segelboot zu kontrollieren. Bei der stetigen Zunahme rasanter Wassersportarten steht er auf verlorenem Posten. Allein am Salzhaff registrierten BUND-Aktive an manchen Tagen über 40 Kiter*innen auf einmal. Und die kommen zumeist nicht aus der Region. Folglich kennen sie die Vereinbarung gar nicht - oder fühlen sich nicht daran gebunden.

Statt zu helfen, die ständigen Verstöße einzuschränken, fordern die Surf- und Anglerverbände inzwischen lautstark, die einst mit unterschriebene Vereinbarung aufzuweichen. Die Landesregierung hat schon signalisiert, über die bestehenden fünf Naturschutzgebiete in der Wismarbucht hinaus keine weiteren ausweisen zu wollen. Die Areale für den Wassersport will sie dagegen zeitlich wie räumlich ausdehnen.

Der BUND dagegen fordert, die für den Wassersport sowieso strikt gesperrten Bereiche unter Naturschutz zu stellen. Nur dann hat die Wasserschutzpolizei dort eine Rechtsgrundlage, gegen die vielen Verstöße vorzugehen. Und nur so kann das Vogelschutzgebiet wieder seinen Zweck erfüllen.

Der Status quo jedenfalls verletzt das rechtliche Gebot, wonach der Vogellebensraum Wismarbucht sich nicht verschlechtern darf. Mit einigen Verbündeten plant der BUND Mecklenburg-Vorpommern deshalb eine EU-Beschwerde.

Das Kreuz mit den Ozeanriesen

Sorgen bereitet dem Landesverband auch ein anderer Trend. Pro Jahr läuft etwa ein Dutzend Kreuzfahrtschiffe Wismar an. Der Bürgermeister der Hansestadt träumt davon, ihre Zahl zu vervielfachen. Da die Wismarbucht im Schnitt nur drei Meter tief ist, müssen die Riesen durch eine künstliche Fahrrinne zum Hafen gelotst werden. Dabei schieben sie große Wassermengen in die flache Bucht. Auch wirbeln sie Unmengen Sedimente auf und mobilisieren Schadstoffe, die darin lagern. Darunter leiden die wertvollen Seegraswiesen in der Bucht, das Laichgebiet vieler Fische.

Zudem hat der Konzern »Genting Hong Kong« vor zwei Jahren die Werften in Wismar, Stralsund und Rostock gekauft. Anfang März begann er mit dem Bau eines ersten »Global-Class«-Kreuzfahrtschiffs, sechs weitere sollen folgen. Von »Giganten made in MV« ist die Rede, und tausend neuen Arbeitsplätzen.

In Wismar sollen die Pötte vom Stapel laufen - obwohl die flache Bucht dafür ganz ungeeignet ist. Die größten je in Deutschland gebauten Passagierschiffe werden es auf 342 Meter Länge und 9,5 Meter Tiefgang bringen. Die Fahrrinne müsste dafür vertieft werden, weiterer Schaden für das Vogelschutzgebiet ist somit vorprogrammiert.

Akribisch recherchiert

Kleinere Schiffe können ebenfalls Ärger machen. So ermittelte der BUND Salzhaff-Rerik nach Hinweisen von Badegästen, dass einige Fahrgastschiffe ihre Abwässer (Fäkalien, Putzmittel etc.) seit Jahren direkt ins Salzhaff einleiten. Durch Gespräche mit der Wasserschutzpolizei, dem Bürgermeister und anderen erreichte die Ortsgruppe, dass die Schiffe ihr Abwasser nun im Reriker Hafen an Land entsorgen können.

Fruchtbar waren die akribischen Recherchen von Andreas Schwienhorst auch an anderer Stelle. Von einem Zivilflugplatz am Rande des Vogelschutzgebietes waren vor Jahren immer mehr Maschinen gestartet, meist in niedriger Höhe über die Wismarbucht. Schwienhorst wies den untätigen Behörden diverse Gesetzesbrüche nach. Seitdem ging der Flugverkehr auf ein Zehntel zurück.

Die kleine Ortsgruppe kann übrigens auch anders: In Tessmannsdorf (das im Vogelschutzgebiet liegt) hat sie letztes Jahr ein altes Trafohaus erworben und für Vögel und Fledermäuse hergerichtet. Vier Fledermausarten haben sich bereits eingefunden, dazu eine Kolonie Rauchschwalben und einige andere Brutvögel. Ein neuer »Fledermauswanderweg« führt am Haus vorbei. Auf Schautafeln und per Flyer informiert die BUND-Gruppe über die Tierwelt und ihr Engagement.

Sollten Sie also planen, der reizvollen Wismarbucht mal einen Besuch abzustatten - schauen Sie doch auch in Tessmannsdorf vorbei.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Eine Besonderheit des Vogelschutzgebietes ist der Reichtum an seltenen Küsten- und Meereslebensräumen. Doch diese Vielfalt gerät mehr und mehr unter Druck.
  • 42.500 Hektar misst das Vogelschutzgebiet in der Wismarbucht.
  • Kiter am Start. Tierasyl - das Trafohaus der Ortsgruppe Rerik. Zu den Brutvögeln der Wismarbucht zählt der Teichrohrsänger.

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Quelle:
naturmagazin, 33. Jahrgang - Nr. 2, Mai bis Juli 2018, S. 26 - 27
Herausgeber:
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
NaturSchutzfonds Brandenburg, Stiftung öffentlichen Rechts
Natur+Text GmbH
Redaktion:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2018

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