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SCHUTZGEBIET/667: Nationalpark Müritz - Wälder, Moore, Seen (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 3/2010
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

NATIONALPARK

Müritz
Wälder, Moore, Seen

Von Severin Zillich


Auf halber Strecke zwischen Berlin und Rostock liegt an der Müritz der größte Nationalpark des deutschen Binnenlands. Am 1. Oktober feiert er seinen 20. Geburtstag. Wie hat sich das vielfältige Schutzgebiet entwickelt?

Frühsommer im Serrahn, dem buchenreichen Ostteil des Müritz-Nationalparks. Aus dem schattigen Laubwald führt ein schmaler Holzweg aufs Moor hinaus. Zwischen silbrigem Wollgras blüht eine Fülle botanischer Raritäten: weiß die elegante Sumpf-Calla, der Fieberklee und die Wasserfeder, gelb ein (unbestimmter) Wasserschlauch und der Straußblütige Gilbweiderich, rosa die Moosbeere, tiefrot das Sumpf-Blutauge. Nichts trübt diesen stillen Augenblick, da weder Auto noch Mensch zu hören ist, selbst die Mücken sind im Wald geblieben. Merke: Auch dieser im Sommer so viel besuchte Nationalpark hat seine ruhigen Ecken.

Zurück im Wald zieht ein gewaltiger Buchenstamm den Blick auf sich. Rundum bemoost liegt er da, über und über mit Pilzen geschmückt. Selbst der Laie hat im Nu ein Dutzend Arten entdeckt: hier einige wuchtige Zunderschwämme, dort eine Kaskade filigraner Blätterpilze. Ganz in der Nähe sind 244 Hektar Buchenwald als Weltnaturerbe angemeldet, ein Wald, der sich seit 60 Jahren ungenutzt entfalten darf.


Buchen und Kiefern

Das Teilgebiet Serrahn, mit 62 qkm deutlich kleiner als der namensgebende Hauptteil des Nationalparks am Ostufer der Müritz (260 qkm), besticht durch seine prächtigen Buchenwälder - die man an der Müritz umsonst suchen wird. Drei Viertel der Wälder im Nationalpark sind (noch) von der Kiefer dominiert, erst allmählich kommen Eichen, Birken oder Vogelbeeren auf. In ihrem Gefolge wird einst die Buche wieder zu alter Herrschaft gelangen. Hier und da hilft die Parkverwaltung nach: Wo standortfremde Kiefern oder Lärchen zu dicht stehen, wird aufgelichtet, als Starthilfe für einen natürlicheren Wald. 2018 aber soll damit Schluss sein. Dann kehrt Ruhe im Wald ein, und das Netz der Forstwege kann weiter ausgedünnt werden. Damit der natürliche Waldumbau gelingt, muss auch in diesem Nationalpark viel gejagt werden. Weil am Ostufer der Müritz erst Nazi-, dann DDR-Prominenz exklusiv zur Hirschjagd schritt, fraß noch in den 90er Jahren viel zu viel Rot- und Damwild am zarten Laub der Sprösslinge. Heute sind die Bestände halbiert, und doch: »Wir können uns noch nicht zurücklehnen«, meint Jürgen Krüger, verantwortlicher Dezernent der Parkverwaltung, »der Wildverbiss ist immer noch zu hoch.« Auch eine aktuelle Studie des Landesumweltministeriums hält die »nachhaltige Absenkung der Schalenwildbestände« für »dringend geboten«. Die geplante Umstellung auf bleifreie Munition hat letztes Jahr das Landesumweltministerium vereitelt: Wegen angeblicher Sicherheitsbedenken gäbe es noch Forschungsbedarf. Dabei hatte ein Praxistest an der Müritz beste Ergebnisse geliefert. Und die Zeit drängt: Allein von 2004 bis 2008 sind im Nationalpark elf Seeadler an einer Bleivergiftung verendet.


Seen und Moore

Zwar nehmen Wälder mit 72% die meiste Fläche ein. Doch was wäre der Müritz-Nationalpark ohne seine Seen? 108 an der Zahl, verschieden nach Größe und Tiefe, Wasserversorgung und Nährstoffgehalt, keiner wie der andere. Am prominentesten fraglos: die Müritz - der größte See Norddeutschlands. Sie steuert einen 500 Meter breiten Streifen am Ostufer zur Parkfläche bei. Eingriffe des Menschen ließen ihren Wasserspiegel Ende des 18. Jahrhunderts um fast zwei Meter sinken. Am flachen Ostufer bildeten sich einige Restseen und rundherum weite Moore und ausgedehntes Röhricht, Lebensraum für imposante Großvögel wie Kranich und Rohrdommel sowie Fisch- und Seeadler, die hier dichter als irgendwo sonst in Deutschland brüten.

Mittels gezielter Eingriffe wurden große Moorflächen wiedervernässt und so zu neuem Leben erweckt. Seit Jahren schon packen BUND-Aktive aus Neubrandenburg mit an, um alte Entwässerungsgräben zu verschließen. Bleiche Baumgerippe zeugen nicht nur in der Kernzone am Specker Horst davon, dass der Wald nun partiell dem Wasser weichen muss.


Kostbare Weiden

Auch wenn sie nur 2% des Nationalparks umfasst und eigentlich der Grundphilosophie des »Natur Natur sein lassen« widerspricht: Die Pflegezone am Ostufer der Müritz ist für den Artenschutz von höchstem Wert. Rings um den Müritzhof beweidet das Lebenshilfswerk (das Menschen mit Behinderungen fördert) mit robusten Fjällrindern und Gotlandschafen rund 230 Hektar Feuchtwiesen. Und die haben es in sich: Nirgendwo in Deutschland blühen mehr Sumpf-Enziane und SumpfLöwenzahne; Kriechender Scheiberich und Großer Augentrost haben hier ihre größten Vorkommen in Mecklenburg-Vorpommern; und die Mücken-Händelwurz (eine Orchidee) kommt landesweit nur hier vor. Zudem bildet das seltene Schneidried eines seiner größten Röhrichte in Deutschland aus. Für interessierte Besucher gibt es Führungen, ansonsten ist der Müritzhof per Fahrrad gut erreichbar und bietet ganzjährig Gerichte aus der Region, dazu Kaffee und Kuchen an.

Anderswo aber überlässt man die Natur sich selbst. Durch die rasche Wiederbewaldung eines Truppenübungsplatzes bei Granzin - im Kern des Müritz-Teilgebietes - sind bereits einige Raritäten offener Sandflächen verschwunden. Doch mit dem Wald, der hier unbeeinflusst vom Menschen aufwachsen darf, wird dereinst ein ungleich vielfältigeres Leben Einzug halten.


Erfolgsmodell in Gefahr

Der Müritz-Nationalpark hat sich seit 1990 zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber entwickelt. Jedes Jahr besuchen bis zu eine Million Menschen den Park, die Übernachtungszahlen ringsum steigen von Jahr zu Jahr. In acht Infostellen geben Mitarbeiter des Parks Auskunft, 40 regionale Dienstleister haben sich als Nationalpark-Partner registrieren lassen. Dazu kommt eine vorbildliche Infrastruktur - mit attraktiven Wander- und Radwegen sowie einer eigenen Buslinie. Um dem Besucherandrang bestmöglich Herr zu werden, unterzieht sich der Nationalpark derzeit einer Stärken-Schwächen-Analyse. Angepeilt wird ein Zertifikat als Modellregion für nachhaltigen Tourismus.

Zu kämpfen hat die Verwaltung jedoch mit den rigiden Sparvorgaben der Landesregierung: Von einst 150 Stellen sind ihr 100 geblieben, bis 2013 soll der Abbau auf dann nur noch 70 Mitarbeiter vollzogen sein. Speziell bei den Rangern gibt es tiefe Einschnitte. Eine angemessene Betreuung der Besucher, die Kontrolle der Schutzzonen und naturschutzfachliche Untersuchungen sind so mehr und mehr in Frage gestellt.

Groß aber war die Erleichterung, als die Bundeswehr Ende April ihre Pläne für das etwa 30 km südlich gelegene »Bombodrom« aufgab. Ein Teil der Jagdbomber wäre direkt über die Müritz gedonnert ... Kaum vorzustellen, was das für den Nationalpark bedeutet hätte - und für die vielen Menschen, die ihn seit 1990 an den verschiedensten Stellen gefördert haben. Müritz und Serrahn bleiben also einen Besuch wert!


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Auf einen Blick Momentaufnahme der biologischen Vielfalt im Nationalpark Müritz - jedes Jahr werden weitere Arten entdeckt.
Blick übers Ostufer der Müritz - als »Fahrtziel Natur« auch auf Initiative des BUND hin bestens per Bahn erreichbar. www.fahrtzielnatur.de (viele Tipps und Infos)
Von links: Per Fahrrad lässt sich der Nationalpark am weitaus besten erkunden. In der Infostation Federow kann man über eine Kamera dem Fischadler direkt in den Horst schauen. Der vom Aussterben bedrohte Baltische Enzian ist eine der vielen Raritäten in der Pflegezone am Müritzhof.

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Quelle:
BUNDmagazin 3/2010, S. 28-29
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2010