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SCHUTZGEBIET/768: Südost-Rügen - Die Idylle trügt (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 3/2013
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Südost-Rügen
Die Idylle trügt

von Severin Zillich



So viel ist klar: Das Biosphärenreservat auf der Insel Rügen zählt nicht zu den Glanzlichtern seiner Art. Immerhin scheint nach langen Jahren voller Versäumnisse nun ein Neuanfang möglich.


Lässt sich eine malerischere Landschaft denken? Von Putbus ostwärts zeigt sich Rügen von seiner schönsten Seite. Alte Alleen säumen die Straßen. Die Hügelkuppen sind bewaldet, in den Tälchen liegen kleine Seen. Durch Wald und Flur dampft der Rasende Roland, die älteste deutsche Schmalspurbahn, eine Attraktion für die Liebhaber historischer Züge. Er verbindet Putbus mit den schmucken Seebädern an der Ostküste. Im Süden, am Boddenufer, reihen sich Dörfer mit reetgedeckten Häusern und Obstbäumen aneinander. Und als sei dies der Idylle nicht genug, geht der Blick von hier hinaus auf die Insel Vilm, Sitz der Internationalen Naturschutzakademie. Seit über 400 Jahren hat an ihren Buchenwald niemand mehr Hand angelegt. Die Zahl der Besucher ist auf 30 pro Tag begrenzt. Auf dem zauberhaften Waldweg rund um den Nordteil der Insel sind im Frühling einzig die Stimmen von Hohltaube, Kuckuck und Pirol zu hören.

Frühe Konflikte
Diese Bilderbuchgegend wurde mit Teilen des Boddens schon 1990 zum Biosphärenreservat Südost-Rügen erklärt. Anfangs wohl war die Region dem Naturschutz gegenüber aufgeschlossen. Doch von den anspruchsvollen Ziele einer Modellregion wussten die Wenigsten. So kam es im Zuge des boomenden Tourismus' nach der Wende bald zu Konflikten. Vor allem in den Bädern Sellin, Baabe und Göhren hatten die Investoren große Pläne. Schnell wurde die Verwaltung der Biosphäre von vielen hauptsächlich als Bremsklotz erlebt.

Die Fronten verhärteten sich: hier die Gemeinden, die vom wachsenden Zustrom der Rügenbesucher profitieren wollten - dort die "bösen Naturschützer", die man verdächtigte, einen raschen Wohlstand verhindern zu wollen. In diesem Klima war an eine vorbildliche Regionalentwicklung nicht mehr zu denken. Das Potenzial der Biosphäre lag für viele Jahre brach.

Große Defizite
Auffälligstes Symptom dieses Stillstands ist die Tatsache, dass es für die Biosphäre auch nach 23 Jahren noch kein Leitbild gibt. Ein solches sollte eigentlich binnen drei Jahren auf dem Tisch liegen. Immerhin: Bis Ende dieses Jahres soll das Rahmenkonzept nun stehen. So jedenfalls hat es die neue Amtsleiterin der Biosphäre angekündigt. Anfang Mai ist Cathrin Münster angetreten. Ihr erstes Ziel: Südost-Rügen das UNESCO-Prädikat zu erhalten. Das nämlich schien zuletzt alles andere als sicher. "Ich bitte darum, mir etwas Zeit zu geben."

Diese Zeit wird der neuen Leiterin wohl zugestanden. Denn von heute auf morgen sind die Defizite nicht zu beseitigen. Da ist nicht nur das fehlende Rahmenkonzept - das Schutzgebiet ist auch zu klein: Statt der heute international geforderten 30.000 Hektar misst es nur 22.800 Hektar. Auch der Anteil der besonders geschützten Kernzone ist viel zu gering. Eine seit Jahren geplante Erweiterung der Biosphäre kommt nicht voran, im Gegenteil: Wiederholt drohten Gemeinden damit, aus dem Verbund auszuscheren.

Besserung in Sicht?
Auf viel guten Willen und konkrete Unterstützung ist Cathrin Münster nun angewiesen, beim Landesumweltminister und beim Landrat, bei den Bürgermeistern in der Biosphäre und den eigenen Mitarbeitern, die das öffentliche Hickhack und das langjährige Missmanagement nicht eben motiviert haben. Ihr selbst dürfte es kaum an Willen fehlen. War sie doch schon mit Mitte Zwanzig in Mecklenburg-Vorpommern die jüngste Vorsitzende, die ein Landesverband des BUND jemals hatte.

Erst wenn das Leitbild beschlossen ist, wird sich Cathrin Münster ihrer eigentlichen Aufgabe widmen können - nämlich nachhaltige Wirtschaftsformen voranzutreiben. Zum Beispiel im Rügischen Bodden, der über die Hälfte der Reservatsfläche einnimmt. Henning von Nordheim sitzt für den BUND im Beirat der Biosphäre. "Grottenschlecht" sei der Kontakt mit dem Bundesamt für Naturschutz im Meeresbereich bislang gewesen, nicht ein marines Förderprojekt abgerufen worden. Er muss es wissen, als der zuständige Fachgebietsleiter des Bundesamtes auf Vilm.

Doch hier scheint Besserung in Sicht: Cathrin Münster hat zuletzt als Meeresexpertin beim WWF gearbeitet und in der Biosphäre das Bildungsprojekt "Robbenbotschafter" zum Erfolg geführt. Stärker als ihre Vorgänger wird sie dafür eintreten, die Küstengewässer nachhaltig zu nutzen. Einen Sympathieträger gibt es schon: die in der Ostsee ungemein seltene Kegelrobbe. Vor Jahren ist sie selbstständig in den Bodden zurückgekehrt. Nur fortgepflanzt hat sie sich bislang noch nicht.

Mit Rückendeckung zum Erfolg
Auch an Land gibt es viel Nachholbedarf, darüber darf Rügens idyllisches Antlitz nicht hinwegtäuschen. So hat noch kein einziger Landwirt auf Biolandbau umgestellt, es fehlt somit an erfolgreichen Vorbildern. Den Ansprüchen der Biosphäre wird auch die Blechkarawane der Urlauber nicht gerecht, die sich zur Hochsaison zuverlässig über alle größeren Straßen wälzt.

Eine Modellregion, die diesen Namen verdient, das wünschen sich Henning von Nordheim und Cathrin Münster gleichermaßen. Rückendeckung verspricht die UNESCO, die Südost-Rügen 2013 eingehend überprüft und die Defizite bis zum Jahresende detailliert benennen wird. Erfolg wird die neue Amtsleiterin nur mit breiter Unterstützung der Region haben. Der BUND drückt ihr dafür beide Daumen.

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Was sollen Biosphärenreservate sein?

Im Rahmen des UNESCO-Programms "Der Mensch und die Biosphäre" entstanden bis heute 621 Biosphärenreservate in 117 Ländern, fünfzehn davon in Deutschland. Ihr vorrangiges Ziel ist das harmonische Miteinander von Wirtschaft, Ökologie und Sozialem. Dazu Walter Hirche, Präsident der deutschen UNESCO-Kommission: "Für nachhaltige Entwicklung gibt es kein Patentrezept. An möglichst vielen Stellen unseres Planeten sind daher Räume für Experimente und für das Lernen nachhaltigen Wirtschaftens unter Realbedingungen gefragt. Diese Räume sind die Biosphärenreservate."


Als Fahrtziel Natur ist Südost-Rügen (auf Initiative auch des BUND) bestens per Bahn erreichbar: www.fahrtziel-natur.de

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Blick von den Zicker Bergen auf die Boddenküste.
- Mehr Wasser als Land: Umriss der Biosphäre.
- Von links: Zersplitterte Buche im Urwaldreservat auf Vilm, einer der wenigen Kernzonen der Biosphäre. Kinderexkursion der Naturwacht am Strand des Ostseebads Göhren. Die Kegelrobbe zählt zu den größten Raritäten des Rügischen Boddens.

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Quelle:
BUNDmagazin 3/2013, S. 26 - 27
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2013