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SCHUTZGEBIET/777: Wie ein großes Mosaik (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2013
Holzplantage oder Ökosystem? - Wälder unter Nachfragedruck

Wie ein großes Mosaik
Nationalparks als Gewinn für Mensch und Natur

Von Karl Friedrich Sinner



In der Debatte um die Einrichtung neuer Nationalparks wird immer wieder bezweifelt, ob es ausreichende fachliche und rechtliche Gründe für die Ausweisung solcher Großschutzgebiete gibt. Dabei hat sich die internationale Staatengemeinschaft längst auf die Schaffung von Schutzgebietssystemen geeinigt.


Die Konferenz von Rio 1992 hat mit dem Übereinkommen über die Biologische Vielfalt (CBD) ein Programm beschlossen, das die Vertragsstaaten zum Erhalt der Biodiversität verpflichtet. Die 7. Vertragsstaatenkonferenz in Kuala Lumpur hat dazu das Arbeitsprogramm Schutzgebiete verabschiedet, das die Bedeutung und die Rolle eines Schutzgebietssystems klar herausstellt.

In der Umsetzung dieser Beschlüsse werden nicht nur die Entwicklung eines Schutzgebietssystems aus Naturparks, Biosphärenreservaten und Nationalparks in den einzelnen Vertragsstaaten vorangetrieben. Im Hinblick darauf, dass die angestrebten Ziele bisher nicht erreicht wurden, wird auch die Effizienz der bestehenden Schutzgebiete überprüft. Dies geschieht in Deutschland bei der freiwilligen Evaluierung der Naturparks, der Evaluierung der Biossphärenreservate durch das MAB Nationalkomitee(1) und seit 2009 mit der Evaluierung der Nationalparks anhand von Qualitätskriterien und Standards für deutsche Nationalparks.

Nationale Biodiversitätsstrategie treibt Schutzgebietsprogramm voran
Mit der Nationalen Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung von 2007 wird dieses Schutzgebietsprogramm, durch das Ziel Wildnis in Deutschland auf 2 Prozent der Landesfläche wieder zuzulassen und 5 Prozent der Wälder der natürlichen Entwicklung zu überlassen, weiter vorangetrieben. Kerngebiete der Wildnis und der sich selbst überlassenen, freien Waldentwicklung sind heute die Prozessschutzzonen der Nationalparks, aber auch die Kernzonen der Biossphärenreservate, die heute rund 0,6 Prozent der Landfläche Deutschlands einnehmen. Das Schutzgebietssystem in Deutschland ist daher zu erweitern, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Biodiversität wird in der oben genannten Zielsetzung dabei nicht nur als Artenvielfalt, sondern ebenso als Lebensraumvielfalt sowie als genetische Vielfalt innerhalb der Arten verstanden.

Zentrale Rolle von Wäldern
Wälder spielen bei der Erhaltung der natürlichen Biodiversität unseres Landes eine zentrale Rolle. Nahezu 90 Prozent unseres Landes war einst von Wäldern bedeckt und die Rotbuche war die beherrschende Baumart. 25 Prozent der ursprünglichen Verbreitung dieser »Europäerin« liegt in Deutschland. Heute nehmen Buchenwälder in Deutschland nur noch 4,5 Prozent der Landesfläche ein, die naturschutzfachlich bedeutenden, alten Buchenwälder über 160 Jahre umfassen gerade noch 0,2 Prozent der ehemaligen Buchenfläche.

Wälder werden beschrieben als »multivariable zufallsgesteuerte Sukzessionsmosaike«. Diese Definition beschreibt die Grundlagen der Biodiversität von Wäldern in ihrer nahezu unendlichen Fülle von Entwicklungsphasen in variantenreicher Ausprägung, ihren natürlichen Strukturen und Lebensraumangeboten. Der ganze Reichtum an Lebensraum und Strukturvielfalt kann sich jedoch nur ausprägen, wenn die geschützten Gebiete großräumig genug sind. Nur die große Fläche gewährleistet, dass in diesen sich dynamisch verändernden Wäldern die ganze Lebensraumvielfalt dauerhaft zur Verfügung steht. Dies jedoch nicht statisch an derselben Stelle, sondern in einem vielgestaltigen, sich ständig verändernden Mosaik auf der Fläche. Großflächigkeit ist der sicherste Schutz davor, dass durch eine natürliche Störung, zum Beispiel durch Stürme wie Lothar oder Kyrill, die Lebensraumvielfalt massiv eingeschränkt wird, wie dies in kleinen, nur wenige Hektar großen Naturwaldzellen der Fall ist.

In den großen Kernzonen der Nationalparks haben wir daher extrem dichte, geschlossene Wälder neben sehr lichten Entwicklungsstadien nach Windwurf und Borkenkäfer. Und dazwischen alle Übergangsstadien eines mehr oder weniger dichten bzw. offenen Kronendaches durch Zusammenbrechen einzelner Bäume oder kleine Schneebruch- und Windwurfnester. Hinzu kommt, dass durch Nichtnutzung vom Keimling bis zum mehrhundertjährigen Baumriesen alle Altersstufen vertreten sind und natürlich auch Mengen an abgestorben Bäumen in der Alters-, Zerfalls- und Verjüngungsphase, die Größenordnungen von mehreren hundert Kubikmeter pro Hektar erreichen können. Das alles gehört zur Naturausstattung unserer Wälder und bietet Lebensraum und den Aufbau überlebensfähiger, stabiler Populationen auch von hochgradig gefährdeten Arten.

Nationalparks als Schutzfaktor und Erlebnisraum
Gerade Nationalparks haben dabei eine »bipolare« Aufgabenstellung. Sie sind neben ihrer Bedeutung für den großflächigen Schutz der natürlichen Dynamik in Wäldern gleichzeitig einmalige Naturerlebnisräume für Menschen. Auch hier spielt es eine wichtige Rolle, dass sie eine ausreichend große Fläche umfassen. Denn nur dann können. Schäden durch die Nutzung lokal begrenzt werden und kann das Gefühl entstehen, draußen zu sein in einer anderen, wilden Welt. Besucher können erleben, wie vital und dynamisch, wie artenreich und vielfältig die Wälder unserer Heimat sein können. In Nationalparks kann die Schönheit und Ästhetik wilder Wälder erfahren werden, die uns ein ganz anderes Bild vom Wald vermitteln als gepflegte und nachhaltig bewirtschaftete Wirtschaftswälder. Eine Wanderung durch diese wilden Wälder bietet die Erkenntnis, dass Werden, Vergehen und wieder Werden als unendlicher Kreislauf des Lebens in der Natur auch Basis für unsere eigene Existenz ist, für uns, die wir in einer weitgehend technisierten, urbanen und durchgeplanten, »alles ist machbar« Welt leben.


Autor Carl Friedrich Sinner vertritt seit 2009 die deutschen Nationalparks im Vorstand von Europarc Deutschland, dem Dachverband der Nationalen Naturlandschaften.



Anmerkung
(1) MAB bedeutet »Man and Biosphere«. Siehe auch
http://www.bfn.de/0310_mab.html


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2013, S. 8-9
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2014