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SCHUTZGEBIET/786: Schaalsee - Kleinod mit Perspektive (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 2/2014
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Schaalsee
Kleinod mit Perspektive

Von Severin Zillich



Agrarwüste und vielfältige Natur - selten prallen Gegensätze so direkt aufeinander wie am Ostufer des Schaalsees, am Grünen Band in Mecklenburg. Obwohl als Modellregion ausgewiesen, ist ein nachhaltiges Wirtschaften hier von vornherein nur auf Teilflächen möglich.


Mitten durch den Schaalsee verlief einst die innerdeutsche Grenze. Als der Eiserne Vorhang fällt, zählt die Region östlich davon zum Tafelsilber der Deutschen Einheit. Seit 1952 DDR-Sperrgebiet, hat sich im Schatten der Grenzanlagen viel Natur erhalten: nährstoffarme Seen und ihre Verlandungszonen, dazu Moore und Reste naturnaher Laubwälder, verzahnt mit Wiesen und Weiden. Um diesen Schatz - unweit der Ballungszentren Lübeck, Schwerin und Hamburg - vor dem drohenden Ausverkauf zu bewahren, ist nach dem Mauerfall rasches Handeln gefragt. Der DDR-Ministerrat sichert den Norden und Osten des Schaalsees 1990 in seiner letzten Sitzung als Naturpark.

Modellregion mit Geburtsfehler

Doch die fast vergessene, äußerst dünn besiedelte Region benötigt mehr Perspektive - beiderseits des alten Grenzstreifens. Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein planen in den 90er Jahren ein länderübergreifendes Biosphärenreservat. Eine handfeste Basis dafür gibt es bereits. Seit 1992 (und bis 2009) fördert das Bundesumweltministerium den Naturschutz mit dem Großprojekt »Schaalsee-Landschaft«: 26 Millionen Euro stehen für den Kauf wertvoller Flächen bereit. Die Landkreise Ludwigslust und Nordwestmecklenburg im Osten haben dafür mit dem Kreis Herzogtum Lauenburg im Westen und der WWF-Umweltstiftung einen Zweckverband gegründet.

Doch politische Versäumnisse lassen die Modellregion in Holstein an lokalem Widerstand scheitern. Das im Jahr 2000 gegründete Biosphärenreservat umfasst daher nur die Osthälfte der Schaalseeregion; im Westen schließt sich der Naturpark »Lauenburgische Seen« an. Die Biosphäre zu komplettieren ist derzeit nicht geplant. Die rot-grüne Landesregierung in Kiel unterstützt aber jedes zarte Pflänzchen einer Neubesinnung vor Ort.

Pufferzone geschaffen

Kernstück der Biosphäre ist der namensgebende Schaalsee. Mit 72 Metern ist er der tiefste See Norddeutschlands. Ihn allseitig vor großen Bauprojekten und Nährstoffen aus der Landwirtschaft zu schützen, war das oberste Ziel der Flächenkäufe. Stück für Stück entstand eine Pufferzone, die das Ökosystem Schaalsee dauerhaft bewahren soll. So wird ufernahes Grünland extensiv beweidet, hier grasen viele Bio-Rinder. Auch die Forstwirtschaft hat sich angepasst: Die Wälder von Zweckverband und Land (größter Waldbesitzer vor Ort) tragen das FSC-Siegel für nachhaltige Waldnutzung.

Ein guter Puffer tut not: Ist das Biosphärenreservat Schaalsee doch das einzige bundesweit mit sehr guten Böden. Über die Hälfte seiner Fläche wird intensiv beackert. Biobauern sind auf den oft riesigen Schlägen die absolute Ausnahme. Die Landwirte haben es schlicht nicht nötig, zum anspruchsvolleren Ökolandbau zu wechseln und mehr auf Direktvermarktung zu setzen. Für das Ziel, am Schaalsee ein Vorbild an Nachhaltigkeit zu schaffen, ist das fatal. Doch der Verwaltung der Biosphäre sind praktisch die Hände gebunden, die Weichen der Agrarpolitik werden in Brüssel gestellt.

Einzige Nutznießer der deckungsarmen Agrarwüsten sind Wintergäste wie Kranich, Sing- und Zwergschwan oder Bläss- und Saatgans, die beim Fressen und Ruhen viel Übersicht zu schätzen wissen.

Patient Schaalsee

Mehr Einfluss hat das Biosphärenamt auf den 47 Prozent Fläche, die nicht beackert werden. Als Fachbehörde für Naturschutz kann es viele Aktivitäten im Sinne der Modellregion steuern. Beispiel Schaalsee: Hier strebt das Amt derzeit das Bio-Siegel für die drei verbliebenen Fischer an, womit (bundesweit erstmalig) eine ganze Seefischerei zertifiziert wäre. Zweitens plant es die Große Maräne in der hier ursprünglichen Form wiedereinzubürgern. Beim Wiederbesatz des wertvollen Speisefisches war lange nicht auf die richtige Herkunft der Jungtiere geachtet worden.

Vor allem aber soll der Schaalsee wieder - über Schaale und Elbe - in die Nordsee entwässern können. Seit 90 Jahren unterbindet dies ein Kanal, der das Wasser des Sees zum tiefer gelegenen Ratzeburger See (und somit Richtung Ostsee) führt. Das bisschen Energie, das ein altes Wasserkraftwerk dadurch erzeugt, steht in krassem Missverhältnis zum ökologischen Schaden am Schaalsee. Seit 15 Jahren versucht das Amt diese »Katastrophe« rückgängig zu machen. Immerhin soll noch in diesem Jahr ein Wehr an der Schaale wieder für den Aal und andere Fische passierbar werden.

Wertschöpfung

Nachhaltige Landnutzung und intakte Natur - davon sollen die Menschen in der Biosphäre profitieren. Als Reiseziel für Naturliebhaber bietet der Schaalsee schon heute viel. Schöne Infotafeln und reich beschilderte Wander- und Radwege führen durchs Gelände.

Zur Wertschöpfung trägt auch die Regionalmarke »Für Leib und Seele« bei. Das Biosphärenamt hat ein Netzwerk von 83 Partnern geknüpft und fördert den Wandel von einem Herkunfts- zu einem Qualitätssiegel. Vorreiter sind die »Gläserne Molkerei« mit Hofladen in Dechow oder die Bio-Fleischerei mit Schlachthof in Gallin. Leider bieten nur wenige örtliche Gastronomen deren Produkte bisher an.

Tausende Besucher lockt der monatliche Markt der Biosphäre in Zarrentin. Über 30 Direktvermarkter verkaufen hier, vor dem Infozentrum »Pahlhuus«. Mit seiner runderneuerten Ausstellung bleibt das Haus erster Anlaufpunkt für Besucher des Schaalsees. Und stärkt die Identität einer Region, die nach Jahrzehnten am Todesstreifen vieles aufzuholen hat. Die Biosphäre liefert ihr dafür eine zeitgemäße Perspektive.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Morgens ganz im Süden des Schaalsees bei Zarrentin.

- Kraniche rasten nicht nur am Schaalsee, sie brüten auch, wo immer sich ein Nistplatz bietet.

- Von links: Der Biosphärenmarkt am Infozentrum Pahlhuus. Von hier aus beginnen Ranger Exkursionen in ein nahes Kalkmoor. Die Natur am Ostufer des Schaalsees ist vielfältig. So haben Fischotter ringsum alle passenden Reviere besetzt.

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Quelle:
BUNDmagazin 2/2014, Seite 26 - 27
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2014