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VIELFALT/039: Biodiversität, Artenvielfalt und Naturschutz am Südlichen Oberrhein (BUND SOR)


BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein - 1. Oktober 2014

Biodiversität, Artenvielfalt und Naturschutz am Südlichen Oberrhein:
Große Gefährdungen und kleine Chancen

von Axel Mayer, BUND-Geschäftsführer



Die Menschheit hat in nur vier Jahrzehnten die Zahl der Wirbeltiere auf der Erde um die Hälfte reduziert. Durch Jagen, Fischen und den Verlust von Lebensraum ist die Zahl von Land-, Meeres- und Süßwassertieren in 40 Jahren um 52 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Land- und Meerestiere ging von 1970 bis 2010 um 39 Prozent zurück und die Zahl der Süßwasser-Tiere sogar um 76 Prozent, sagt eine aktuelle Studie des WWF.

Es ist gut und wichtig,
dass sich Medien und Öffentlichkeit verstärkt mit Themen wie dem bedrohten Blauflossenthunfisch, dem gefährdeten Great Barrier Reef und der Abholzung des Dschungels in Amazonien beschäftigen. Der Verlust der Lebensräume und der Klimawandel gefährden beispielsweise das Überleben von Schmetterlingen, Käfern und Libellen in Europa. Das zeigt auch eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene europäische Rote Liste. Demnach sind u.a. knapp zehn Prozent der Schmetterlinge, 14 Prozent der Libellen und elf Prozent der in verrottendem Holz lebenden Käferarten in Europa vom Aussterben bedroht. Einigen Arten droht sogar das weltweite Aussterben.

Im Jahr 2013 waren global 41 Prozent der Amphibien vom Aussterben bedroht, sowie 33 Prozent der Korallen, 25 Prozent der Säugetiere, 13 Prozent der Vögel und 30 Prozent der Pflanzenarten. Und die Rote Liste wird ständig länger. 795 Arten sind nach IUCN-Zählung bereits verloren, weitere 63 leben nur noch in Zoos und Botanischen Gärten.Quelle: TAZ  

Doch die Artenvielfalt ist nicht nur in Europa und in weit entfernten, exotischen Ländern bedroht sondern auch hier vor unserer Haustür, am Oberrhein, in Südbaden und im Elsass. Darum wollen wir Ihre Aufmerksamkeit auch auf bedrohte Feldlerchen und Rebhühner, auf den vom Aussterben bedrohten großen Brachvogel und den Kiebitz lenken, auf die Verrummelung der Natur am Feldberg und im Taubergießen und auf die Gefährdung der Naturschutzaspekte des Integrierten Rheinprogramms. Raubbau an Natur und Umwelt, insbesondere durch den enormen Flächenverbrauch, war und ist immer auch ein Thema in der so genannten "Ökoregion" am Südlichen Oberrhein.

Der Schwarzwald mit seinen Vorbergen,
die Vogesen, der Kaiserstuhl, die Rheinauen und das elsässische Ried: Manche Gebiete am Oberrhein gehören zu den schönsten und wertvollsten Naturlandschaften Europas, mit einer faszinierenden und reichhaltigen Flora und Fauna.

Die letzten Jahrzehnte
waren keine gute Zeit für die Artenvielfalt am Oberrhein. Die größten Landschaftszerstörungen gab und gibt es insbesondere in der Rheinebene. Die Naturflächen wurden kleiner und zerstückelt, Flächenverbrauch, Zersiedelung und Verscheußlichung der Landschaft haben massiv zugenommen und gehen ungebremst weiter. Dazu kommen immer neue Straßen und auch die geplante neue Bahntrasse wird massive Naturverluste bringen, die auch durch "Ausgleichsmaßnahmen" nicht kompensiert werden können. Während an anderen Stellen der Republik die Bevölkerung bereits abnimmt, hält der Flächenverbrauch in der Region zwischen Schwarzwald und Vogesen an. Durch die geplante Metropolregion Oberrhein könnten sich die Probleme noch verstärken. Gerade auch im Elsass sehen wir Umweltschützer mit Sorge die Pläne, die bestehenden umweltbelastenden Schwerindustriezonen entlang des Rheins erheblich auszudehnen.

Die Tendenz zur industriellen Landwirtschaft
führt in Südbaden zu einer zunehmenden, großflächigen Maismonokultur. Wo früher eine artenreiche Acker-, Wiesen- und Streuobstlandschaft war, steht heute fast überall giftgeduschter Mais. Viele der in der Landwirtschaft eingesetzten Spritzmittel und Gifte sind ein Grund für den massiven Rückgang der Artenvielfalt auf Ackerböden und in deren Umgebung.

Feldlerchen und Rebhühner, einst häufige Arten in der Agrarlandschaft, sind in vielen Gebieten der Rheinebene bereits verschwunden. Der große Brachvogel und der Kiebitz stehen hier vor dem Aussterben und die Bestände des Feldhasen gehen drastisch zurück.

Besserung ist nicht in Sicht, die monotone Maissteppe und intensive Sonderkulturen dringen immer weiter in die Täler des Schwarzwalds und des Kaiserstuhls vor.

Einige ausgewählte Problemfelder in Sachen Naturschutz am Oberrhein und im Schwarzwald

• Wiesen und Weiden
Die beginnende weltweite Energiekrise und der damit verbundene Energiehunger beeinflusst auch die Wiesen und Weiden am Oberrhein. Im Schwarzwald werden immer mehr Wiesen totgedüngt um möglichst viel Gras für die Biogasanlagen zu erzeugen. Dieser Zerstörungsprozess bedroht alle Arten, die lebendige Wiesen brauchen.

• Amphibien
Das globale Amphibiensterben hat auch den Oberrhein erreicht. Die Bestandszahlen einheimischer Amphibien sind rückläufig.

• Rheinauewälder
Von den ursprünglich vorhandenen Auewäldern am Oberrhein sind nur noch ca. 2% in naturnahem Zustand übrig geblieben. Hier hat über zwei Jahrhunderte hinweg ein Zivilisations- und Zerstörungsprozess stattgefunden, wie wir ihn im Moment in den Wäldern Amazoniens beobachten. Das Integrierte Rheinprogramm IRP könnte Fortschritte bringen, doch gerade die ökologischen Aspekte des IRP werden aktuell von örtlichen Bürgerinitiativen und den Paten der Kieswirtschaft in der Politik massiv in Frage gestellt.

• Elz, Dreisam, Glotter, Kinzig, Rench, Kinzig, Schutter...
In der Vergangenheit wurden die meisten Mittel- und Unterläufe unserer Bäche und Flüsse zu geradegestreckten, kanalisierten, naturfernen Kanälen umgebaut. Die landschaftsprägenden Gewässer unserer Heimat könnten durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch Dammrückverlegungen, ökologisch aufgewertet, renaturiert und zu grünen Bändern werden, die Rheinauen und Schwarzwald natürlich verbinden. Hier gibt es, auch durch Druck des BUND erste Fortschritte, doch viel zu selten die notwendigen großen Dammrückverlegungen, die politisch schwerer durchsetzbar sind.

• Gefährdetes Naturschutzgebiet Taubergießen
Der Oberrheinausbau von 1960-1970 hat das Naturschutzgebiet leider stark verändert und die Hauptwassermenge wurde zur Stromgewinnung über einen Seitenkanal mit Staustufe abgeführt. Abgetrennt vom Rhein und vom Leopoldskanal lag der Taubergießen jahrzehntelang abgesperrt von der dynamischen Kraft von Hochwassern. "Sanfte" Überflutungen des Auewaldes traten danach manchmal nur einmal jährlich auf und die geländeverändernde Dynamik früherer Zeiten fehlte. Dies führte zu einem Verlust an bedrohten Arten und dazu, dass Ablagerungen und Schlamm die Altrheinarme und Gießen füllte. Natur und Auen - das ist immer auch Veränderung und Dynamik. Aus diesem Grund wurden im Jahr 2010 Dämme an einigen Teilstücken von Leopoldskanal und Rhein tiefer gelegt. Doch Hochwasser bringt auch Schlamm und Zivilisationsmüll und gerade dies hat in der Vergangenheit zu gut organisierten, erregten Debatten geführt. Jede Plastiktüte im Wald nach einem Hochwasser löst einen Aufschrei der Empörung in den örtlichen Medien aus. Die Plastiktüte im Busch ist auch für Naturschützer unschön, sie ist aber tatsächlich für den Taubergießen noch das kleinste Problem. Info

Natürlich werden auch am Oberrhein neue Naturschutzgebiete ausgewiesen Doch während diese unter öffentlichem Beifall eingeweiht werden, verschwinden gleichzeitig wesentlich größere Flächen unter Beton und Asphalt. Zwischen Offenburg und Freiburg gibt es entlang der B3 noch einen minimalen Freiraum von 17,7 km und Siedlungsstrukturen von 50,3 km.
Gerade auch am Oberrhein gilt: "Der Naturschutz arbeitet am kleinen Detail, die Naturzerstörer arbeiten am großen Ganzen". Es scheint weltweit ein Nivellierungsprinzip zu geben, nach dem die wertvollen, einzigartigen Landschaften so lange vermarktet werden, bis aus Schönheit Mittelmaß (oder weniger) wird.

Nur in wenigen Bereichen
gibt es positive Entwicklungen. Wir freuen uns über die Rückkehr der Lachse, über die Wildkatzen am Kaiserstuhl, über die Zunahme mancher Vogelarten, den endlich durchgesetzten, viel zu kleinen Nationalpark Nordschwarzwald und die langsam anlaufenden Renaturierungsmaßnahmen an Elz, Dreisam und Kinzig. Das kompensiert aber nicht die großen Verluste.
Viel zu zaghaft werden Naturschutzgebiete ausgewiesen und kleine Teilstücke der kanalisierten Flüsse und Bäche renaturiert. Das Integrierte Rheinprogramm IRP könnten ein Mehr an Natur und an ökologischen Fortschritten bringen, doch gerade hier nimmt der Druck auf die Naturschutzaspekte leider zu.

Zunehmende Verrummelung
bedroht auch die letzten Naturschutzgebiete. Das abschreckendste Beispiel für die Verrummelung naturnaher Gebiete am Oberrhein ist der ehemals schönste Berg des Schwarzwaldes, der Feldberg. Der Erholungsdruck nimmt massiv zu und die Feldbergisierung des Schwarzwaldes schreitet voran. Oder besuchen Sie einmal an einem schönen Wochenende das Naturschutzgebiet Taubergießen oder den inneren Kaiserstuhl...

Ordnung & Sauberkeit contra "wilde" Natur
Bei vielen großen Konfliktthemen im Naturschutz am Oberrhein und im Schwarzwald schimmert immer wieder eine deutsche Urangst hervor. Es ist die große Angst vor Veränderung und Unordnung. Das beginnt im Kleinen, beim sauber auf- und ausgeräumten Garten, in dem kein Vogel mehr einen Brutplatz findet. Es geht weiter mit der auf- und ausgeräumten Kulturlandschaft, wo Hochstammbäume und Hecken in der Maissteppe nichts mehr zu suchen haben. Doch auch die großen Konflikte um den Nationalpark Nordschwarzwald oder um die Ökologischen Flutungen beim Integrierten Rheinprogramm sind von solchen Ängsten geprägt. Ein Wald, der sich "ungeplant und nicht von Menschen gesteuert" verändert, eine neu entstandene Kiesbank nach einem Hochwasser im Taubergießen... Solche Veränderungen oder gar "Wildnis" lösen tiefsitzende Ängste aus. Ein "aufgeräumter, sauberer" Schwarzwald, eine zugemaiste Ebene und eine "Stadparkbächlelösung" statt ökologischer Flutungen am Rhein sind dann die Ergebnisse solchen Denkens. Ein Spaziergang auf dem Hochwasserdamm der gradgestreckten Kanäle von Rhein, Elz, Dreisam und Kinzig wird zum Natur-Abenteuer verklärt.

Um die letzten und wertvollsten Gebiete und Arten zu erhalten
müssten eigentlich immer mehr Schutzgebiete ausgewiesen werden. Es gibt ein unauflösbares Dilemma zwischen der Notwendigkeit, die bedrohten Arten zu schützen und dem Wunsch, Menschen an die Natur heranzuführen. Ein großes Problem bei zu wenigen naturnahen Gebieten ist die übertriebene Kommerzialisierung aller Lebensbereiche und damit auch des "Naturerlebens". Der Profi-Paddeltourismus in den Rheinauen ist nur ein Beispiel für diese Entwicklung.

Noch finden sich am Oberrhein
einzigartige und wertvolle Naturlandschaften mit seltenen, manchmal stark gefährdeten Tieren und Pflanzen. Dass Wiedehopf, Storch, Smaragdeidechse und Küchenschelle am Oberrhein vorkommen, ist nicht zuletzt das Verdienst ehrenamtlichen Engagements und einer engagierten, politisch leider geschwächten Naturschutzverwaltung. Jahr für Jahr kommen tausende Menschen an den Kaiserstuhl, um den farbenprächtigen Bienenfresser, die Gottesanbeterin und seltene Orchideen zu bewundern.

Wir wollen aufzeigen,
dass Artenvielfalt und Schutz der Natur immer auch dem Menschen nutzt. Zersiedelung, Flächenverbrauch, Verlärmung, Monokulturen und Natur- und Umweltzerstörung bedeuten eben nicht nur Verlust von Artenvielfalt, sondern auch Verlust an Lebensqualität. Das Artensterben kann nicht losgelöst von unserer globalen Raubbauwirtschaft betrachtet werden. Der BUND will Vielfalt statt Einfalt und Biodiversität statt Monokultur.


weitere Informationen:
http://vorort.bund.net/suedlicher-oberrhein/biodiversitaet-oberrhein-suedbaden.html

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Quelle:
Mitteilung an die Medien vom 02.10.2014
Herausgeber:
Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V.
BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein
Wilhelmstr. 24a, 79098 Freiburg
Tel.: 0761/30383, Fax: 0761/23582
E-Mail: bund.freiburg@bund.net
Internet: www.bund-freiburg.de
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2014