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WALD/613: Forstwirtschaft - Der uralte Kampf zwischen Menschen und Holzbewohnern (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt und Entwicklung - Rundbrief 1/2009
Schwerpunkt

Der uralte Kampf zwischen Menschen und Holzbewohnern Durch die Energiekrise aufs Neue verschärft

Von Jörg Müller


Erst in den 90er Jahren hat sich bei uns langsam die Erkenntnis durchgesetzt, dass es für rund 1/3 aller Arten und für verschiedene Prozesse in Waldökosystems von großer Bedeutung ist, dass zumindest Teile des abgestorbenen oder abgesägten Holzes im Wald verbleiben. Damals relativ niedrige Holzpreise haben die Umsetzung dieser Erkenntnis in die forstliche Praxis unterstützt.

Aktuell steigende Öl- und in dessen Folge auch Brennholzpreise haben diesen Trend wieder umgekehrt. Inzwischen ist die Nutzung nahezu aller Resthölzer ökonomisch gewinnbringend. Um in diesem Umfeld einem weiteren Artenschwund konzeptionell entgegenzutreten bedarf es im Waldnaturschutz dringend differenzierterer Konzepte. Im Kielwasser einer naturnahen Waldbewirtschaftung werden wichtige Totholz- und Altbaumstrukturen nicht mehr oder sind vielleicht auch noch nie automatisch bereitgestellt worden.


Kleine Holzbewohner

Die meisten Bewohner von totem oder absterbendem Holz sind klein und entziehen sich der Aufmerksamkeit vieler Waldbesucher. Es sind vor allem Pilze und Käfer die in ihrer Vielfalt auf die vielen verschiedenen Totholztypen angewiesen sind, die im Laufe der natürlichen Alterungsprozesses eines Baumes oder Waldes entstehen. Dabei fängt die Entstehung von totem Holz häufig bereits am noch lebenden Baum an. Durch Astabbrüche, Blitzrinnen, aufgeplatzte Zwiesel, aber auch in von fallenden Bäumen verursachten Schürfwunden oder Verletzungen die im Rahmen der Holzernte entstehen, finden Pilze eine Eintrittspforte in den noch vitalen Baum. An dieser Stelle beginnt der Baum für den Wirtschafter uninteressant, für den Erhalt der Biologischen Vielfalt aber besonders wertvoll zu werden. Das Zusammenspiel von Pilzen, Käfern aber auch Vögeln wie den Spechten führt zur Entstehung völlig neuer Mikrolebensräume. Berechnungen haben gezeigt, dass diese Prozesse natürlicherweise erst im Alter von 150 bis 200 Jahren vermehrt auftreten (Moning & Müller, 2009).

Viele der Arten können aber auch in Strukturen die vom Menschen geschaffen werden sehr gut zu recht kommen. So hat sich für holzbewohnende Käfer gezeigt, dass die Totholzmenge wichtiger als das Alter des Waldes ist (Müller & Bussler, 2008). Die Totholzmenge ist ein Garant für eine Nischenvielfalt im Wald. Vereinfacht gesagt können nur bei Mengen zwischen 50 und 100 m3/ha alle messbaren Nischen bereitgestellt werden. Diese Mengen sind aber um das 10fache höher als Durchschnittswerte in Wirtschaftswäldern. Es kommt daher darauf an ein sinnvoll abgestuftes Konzept aufzubauen - mit Totalreservaten mit Totholzmengen über 100 m3/ha. In älteren Wirtschaftswäldern müssen die Totholzmengen deutlich erhöht werden, auch mit Hilfe künstlicher Anreicherung.


Totholzanreicherung nicht überall sinnvoll

Wer nun glaubt solche Forderungen wären utopisch und würden bei der Umsetzung zu einer Stilllegung der Forstwirtschaft oder zum Ende einer Nutzung des immer noch ökologischsten Rohstoffes Holz führen der irrt. Viele unserer "Wälder" in Deutschland wurden einem völligen Baumartenwechsel von den standortheimischen Laubbäumen hin zu Forstplantagen aus Fichte und Kiefer unterzogen. Für diese Bestände haben verschiedene Untersuchungen gezeigt, dass Totholzanreicherung nicht nur wenige Vorteile bringt, sondern sogar noch Forstschutzkonflikte entstehen lässt. Soll nun eine Auswahl der Waldbestände für eine hierarchische Umsetzung von Naturschutzzielen erfolgen kann dies anhand verschiedener Kriterien erfolgen: 1. Die Forsteinrichtungsinventuren bieten hervorragende Möglichkeiten auf großer Fläche alte, totholzreiche oder laubbaumreiche Bestände zu identifizieren. 2. Es lohnt sich die Arten selbst zu befragen. Besonders anspruchsvolle Arten wie sogenannte Urwalreliktarten zeigen durch ihre verdichtetes Vorkommen an, wo sich Waldflächen mit langer Strukturtradition und heute noch guter Qualität finden. Diese Arten haben eine hohe Bindung an große Waldflächen, seltene Holzpilze, starke Totholz-Dimensionen, hohes Baumalter, Heliophilie der Bestände, lange Verweildauer bzw. späte Sukzessions-Stadien der Holzstruktur im Abbauprozess. Daher sind sie heute extrem selten. In Bayern z.B. sind nur noch zehn Gebiete bekannt, in denen nennenswerte Vorkommen von Urwaldreliktarten existieren. Darunter bezeichnenderweise acht Mittel- und Hutewälder und alte Parkanlagen. Nur zwei Standorte sind alte Hochwälder.

Aus europäischer Sicht ist im Westen das Ergebnis eher enttäuschend. Erst in den Pyrenäen oder den rumänischen Karpaten kann man Wälder vorn die noch weitgehend vollständige Artengemeinschaften zu n sind. Hier lebt auch noch der in Westeuropa ausgestorbene Furchenwalzenkäfer. Für diese Art ist belegt dass er 1000 v.C. noch in England vorkam und im 18. Jh. mit der Intensivierung der Landschaftsnutzung von West nach Ost ausstarb.


Tote Bäume bergen Leben

Vielen Bürgern ist nach jahrhunderten Kulturgeschichte nur noch schwer zu vermitteln dass tote Bäume im Wald Grundlage für ein vielfältiges Leben im Wald sind. Dies beginnt bei einzelnen abgestorbenen Bäumen, die sofort den Ruf nach Aufräumaktionen hervorrufen. Noch deutlicher wird unser fehlendes Empfinden für natürliche Dynamiken aber, wenn größerflächige Dynamiken zu einer drastischen Erhöhung von Totholz führen. Bürger, die sich jederzeit gegen Großkahlschläge einsetzen würden, empfinden Aufräumaktionen, in Form von Sanitärhieben nach Brand oder Borkenkäferfraß nicht als negativ (Noss & Lindenmayer, 2006). Ein eindrucksvolles Beispiel ist der Nationalpark Bayerischer Wald, für dessen Totholzflächen bei vielen Menschen immer noch die Meinung herrscht es würden ökologische Wüsten entstehen. Die nüchternen Erforschungen der Reaktionen einer Vielzahl an Organismengruppen zeigen eindrucksvoll das Gegenteil. Durch die gigantische Totholzanreicherung auf Mengen bis über 600 m3/ha konnten absolute Raritäten an Pilzen und Käfern, die nur noch in zwei alten Urwaldresten überdauerten, ihre Verbreitung wieder deutlich ausdehnen.


Umsichtiger Umgang mit Totholz

Wir müssen aus naturschutzfachlicher Sicht unsere Energie dem jetzigen Ist-Zustand anpassen und Waldbestände je nach Ausgangslage differenziert behandeln.

Die wenigen Waldbestände mit Vorkommen von Urwaldreliktarten müssen gesichert werden. Dies kann bei kleinen Waldbeständen ein Totalschutz, bei einzelnen Hutebäumen im Nadelforst auch die aktive Sicherung durch Freistellung gegenüber einer jüngeren, wüchsigeren Generation sein.

In Wäldern mit naturnaher Baumartenzusammensetzung gilt es gezielt Strukturen zu erhalten und zu entwickeln. Das bedeutet, dass hier mindestens 10 Biotopbäume pro Hektar, sowie Totholzvorräte von über 40 m3/ha zu integrieren sind. Dass dies durchaus gut möglich ist, zeigen uns vorbildliche bewirtschaftete Waldbestände aus allen Besitzarten in Deutschland.

Wo immer von der Fläche her möglich sollten die natürlichen Regenerationskräfte der Natur ausgenutzt werden. Sie stellen die billigste aber oft auch effektivste Form einer Totholzanreicherung dar. Wo die Flächen aber zu klein sind, heute die Regel, müssen aktive Maßnahmen ergriffen wie die Induktion von Biotopbäumen und Totholz.

Der Autor ist Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald.


Literatur:

- Moning, C. & Müller, J. (2009) Critical forest age thresholds for diversity of lichens, molluscs and birds in temperate beech (Fagus sylvatica l.) plant communities. Ecological Indicators, doi:10.1016/j.ecolind.2008.11.002

- Müller, J. & Bussler, H. (2008) Key factors and critical thresholds at stand scale for saproxylic beetles in a beech dominated forest, Southern Germany. Rev. Écol. (Terre Vie), 63: 73-82.

- Noss, R.F. & Lindenmayer, D.B. (2006) Special section: The ecological effects of salvage logging after natural disturbance. Conservation Biology, 20, 946-948.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2009