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WALD/683: Gepflanzte Einfalt - Was unsere Forsten vom Urwald unterscheidet (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 3/14
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Gepflanzte Einfalt
Was unsere Forsten vom Urwald unterscheidet.

Von Stefan Adler



Unsere Forsten sind von natürlichen Wäldern weit entfernt. Und das ist amtlich: Die sogenannte Bundeswaldinventur zeigt, dass gut zwei Drittel der Forsten schon alleine aufgrund der Baumartenzusammensetzung als nicht naturnah einzustufen sind. Gut die Hälfte der Wälder weist lediglich eine Baumschicht auf, lediglich ein Zehntel der Bestände sind altersgemischt, setzen sich also aus Bäumen unterschiedlichen Altersstufen zusammen.


Durch die Nutzung der letzten Jahrhunderte fehlen in unseren heutigen Wirtschaftswäldern die für die Artenvielfalt so wichtigen Sonderstrukturen. Der Buchenurwald, der in Deutschland auf mehr als 60 Prozent der Landesfläche die natürliche Vegetationsform wäre, weist im Vergleich zum heutigen Wirtschaftswald deutlich andere Strukturen und eine andere Baumartenzusammensetzung auf. Während derzeit im Wirtschaftswald der Nadelholzanteil mit gut 58 Prozent dominiert, wären Urwälder von der Rotbuche geprägt, deren Anteil heute lediglich bei 15 Prozent liegt.

Jugendkult im Wald

Der durchschnittliche deutsche Waldbaum ist 77 Jahre alt, lediglich 2,3 Prozent der Bestände sind älter als 160 Jahre. Verglichen mit Urwäldern sind unsere Forsten also extrem jung. In Analogie zur menschlichen Entwicklung: Der moderne Wald besteht überwiegend aus Jugendlichen.

Wälder mit natürlicher Entwicklung sind auf gut der Hälfte ihrer Fläche durch die Alters- und Zerfallsphase geprägt. In diesen Stadien können Buchen im Laufe der Zeit einen Brusthöhendurchmesser von über einem Meter erreichen - eine Dimension, die im Wirtschaftswald kaum zu finden ist.

Kein Platz fürs Sterben

Dabei können einzelne Bäume sowohl Eigenschaften eines lebenden Baumes als auch Totholz in Form abgestorbener dünnerer und dickerer Äste oder ganzer Kronenteile besitzen. In einem Urwald stehen die Bäume in der sogenannten Optimal- und Altersphase häufig so dicht, dass durch Lichtmangel einzelne von ihnen langsam absterben. Die Totholzmenge wächst so stetig an beziehungsweise bleibt auf einem hohen Niveau, das mehrere 100 Kubikmeter je Hektar betragen kann.

Wenn einzelne Baumriesen altersbedingt oder durch Sturmwurf absterben, entsteht eine Lücke im Kronendach. Diese Lücken sind im Urwald meist wesentlich kleiner als ein Hektar. Die Naturverjüngung nutzt die entstandene Lichtung für ihr Wachstum und schließt die Lücke innerhalb weniger Jahre. Dadurch entstehen mehrschichtige, ungleichaltrige Wälder mit verschiedenen Phasen der Waldentwicklung. Für Tiere und Pflanzen entsteht so ein kleinräumiges Mosaik unterschiedlicher Lebensräume.

Spezialisten brauchen Vielfalt

Durch dieses Nebeneinander von jung und alt, von jungen dünnen Bäumen in unmittelbarer Nähe zu Baumriesen und abgestorbenen Baumruinen und eine entsprechende Nischen- und Lebensraumvielfalt kommen in solchen Wäldern hochspezialisierte Arten vor. So zum Beispiel Käferarten, die nicht weit fliegen können und daher auf das dichte Nebeneinander alter und abgestorbener Bäume angewiesen sind.

Eine der elementaren Strukturen des natürlichen Waldes ist unverkennbar das Holz abgestorbener und im Alterungs- oder Sterbeprozess befindlicher Bäume. Insgesamt sind gut 25 Prozent der im Wald lebenden Tierarten an Totholz gebunden. Dabei sind nicht nur das Vorhandensein von Totholz, sondern auch Menge, Dimension und sein Zersetzungszustand von großer Bedeutung. Es ist bekannt, dass die Totholzmenge für einige Artengruppen mindestens 30 bis 50 Kubikmeter je Hektar, für andere teils über 100 Kubikmeter je Hektar betragen muss. Derzeit beträgt die durchschnittliche Totholzmenge jedoch nur gut 24 Kubikmeter je Hektar - davon ein erheblicher Teil nicht dauerhaft, da durch die Orkane der letzten Jahre verursacht. Das ist zu wenig, um den Mindestbedarf vieler Artengruppen zu decken.

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Wem gehört der Wald?

Die Eigentumsverhältnisse sind regional sehr unterschiedlich. Bundesweit befindet sich 44 Prozent des Waldes in Privatbesitz, 56 Prozent gehören der öffentlichen Hand (Kommunalwald, Landeswald, Bundesforsten). Am Laubbaum-reichsten sind übrigens die Kommunalwälder. Regional hat das Saarland mit über 70 Prozent den höchsten Laubbaumanteil.

Am waldreichsten sind Rheinland-Pfalz (42,1 Prozent der Landesfläche) und Hessen (41,7 Prozent), am waldärmsten ist Schleswig-Holstein (10,3 Prozent).



Vernichtet und aufgeforstet

Im Laufe der Geschichte wurden die einstigen natürlichen Waldbestände in Mitteleuropa großflächig vernichtet, um Holz als Energieträger und Rohstoff zu gewinnen. Die dadurch entstandene Holznot führte spätestens mit Beginn der Industrialisierung zu einem Umdenken im Umgang mit dem Wald. Zukünftig sollte der Rohstoff Holz dauerhaft zur Verfügung stehen.

Die degradierten Flächen wurden mit schnellwachsenden und anspruchslosen Nadelbäumen aufgeforstet, vor allem Fichte und Kiefer. Mit Beginn des "fossilen Zeitalters" wurde der Druck auf den Wald als Energielieferant allmählich geringer. Die Waldfläche nahm wieder zu und pendelte sich bei etwa einem Drittel - gut elf Millionen Hektar - der deutschen Landesfläche ein.

Dabei prägt nicht nur der aktuelle Zustand eines Waldes seinen ökologischen Wert. Ebenso wichtig ist seine Geschichte. Mit Abstand am artenreichsten sind Flächen, auf denen seit mehreren hundert Jahren, also über viele Baumgenerationen, ununterbrochen Wald wächst.

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Der Wald war schon mehrfach Titelthema des NABU-Mitgliedermagazins. In der Online-Ausgabe können Sie die immer noch aktuellen Beiträge nachlesen. Die Themen reichen von Naturwaldreservaten und Waldumbau bis zu Wildtiermanagement und Mykorrhizapilzen.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Der Ulmen-Zipfelfalter hält sich bevorzugt in den Baumkronen auf, wo er ähnlich wie einige Marienkäferarten Mehltaupilze frisst. Wie der Name schon sagt, ist der Falter an das Vorkommen von Ulmen im Wald angewiesen.

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 3/14, Seite 6 - 8
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-1530, Fax: 030/284984-2500
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2014