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WILDNIS/018: Freiraum für Natur in Brandenburg (NATURMAGAZIN)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 1/2013

Freiraum für Natur
Stiftung Naturlandschaften Brandenburg lässt auf ehemaligen Truppenübungsplätzen Wildnis entstehen

von Anika Niebrügge



Erst vor dem Hintergrund des drohenden Verlustes letzter Tropenwälder und Naturparadiese wird vielen Menschen der Wert von Wildnisgebieten offenbar. Mit wachsendem Bewusstsein fordern wir weltweit den Schutz nutzungsfreier Naturrefugien ein, doch glaubwürdig ist dies nur, wenn wir im eigenen Land mit gutem Beispiel vorangehen.


Als eine der ersten Naturschutzorganisationen wagte sich die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg (SNLB) an die Umsetzung des Naturschutzziels Wildnis in Deutschland. Die historische Chance für große Wildnisgebiete in unseren Breitengraden ergab sich, als mit dem Abzug der russischen Truppen 1994 großflächige Truppenübungsplätze in Brandenburg für eine friedliche Entwicklung frei wurden.

Gegründet wurde die SNLB am 16. Mai 2000 gemeinsam vom Land Brandenburg, der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt, dem Naturschutzbund Deutschland, dem WWF, dem regional tätigen Landschafts-Förderverein Nuthe-Nieplitz-Niederung sowie einer Privatperson. Ihre gemeinsame Vision war es, mit Flächenkäufen wertvolle Lebensräume dauerhaft für den Naturschutz zu sichern, und dort natürliche Entwicklung weitestgehend ohne menschliche Eingriffe zuzulassen.

Die Vision der Stifter ging auf: Mittlerweile besitzt und betreut die Stiftung in Brandenburg insgesamt 12.700 Hektar Flächen auf den ehemaligen Truppenübungsplätzen Jüterbog, Heidehof, Lieberose und Tangersdorf. Größtenteils handelt es sich dabei um ausgewiesene Naturschutzgebiete, teilweise auch mit FFH/SPA-Status. Auf mehr als zwei Dritteln der Stiftungsflächen ist die Zielstellung der Wildnisentwicklung bereits umgesetzt, Eingriffe finden dort nicht mehr statt.


Natürliche Entwicklung
Die jungen Wildnisgebiete wecken Skepsis und Faszination zugleich. Statt Sukzessionsstadien wie Silbergrasfluren und Heiden durch Pflegemaßnahmen aufrecht zu erhalten, lässt die Stiftung auf ihren Flächen natürliche Dynamik zu. Die Lebensräume sind im Wandel, mancherorts werden aus Sandlandschaften Steppen und aus Heiden Pionierwälder, mancherorts entstehen durch Brände neue Offenflächen, anderswo verwandeln Biberfamilien einen Birkenwald in eine Seenlandschaft. Mit dem Wechsel der Lebensräume ist auch ein Wechsel der Arten und ihrer Standorte zu verzeichnen. Wo der Biber einzieht, wie auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Tangersdorf, werden gleichzeitig wertvolle Lebensräume für Amphibien, Wasservögel und Insekten geschaffen. Wo neue Wälder entstehen, sind Arten wie Wiedehopf und Heidelerche, die auf Offenland angewiesen sind, weniger häufig. Dafür profitieren von der Entwicklung naturnaher Wälder wiederum Arten wie Schwarzstorch und Bechsteinfledermaus. Neue Arten halten Einzug, so beispielsweise der Raufußkauz, der auf den Stiftungsflächen Jüterbog und Lieberose nachgewiesen ist. Dort gelang im Jahr 2011 auch der Nachweis von zwei Wolfsrudeln - ein neues Kapitel der natürlichen Wiederbesiedlung hatte begonnen und wurde als kleine Sensation wahrgenommen. Näher betrachtet war diese Entwicklung absehbar, denn in ihrer Größe und Unzerschnittenheit sowie durch die Abwesenheit von Störungen wie forstlichen und jagdlichen Eingriffen in der Kernzone sind die Stiftungsflächen ein idealer Wolfslebensraum.


Perspektiven
Wer Wildnisschutz wagt, braucht einen langen Atem und den Mut, Wandel zu akzeptieren und willkommen zu heißen. In Jahrzehnten und Jahrhunderten wird sich auf den Stiftungsflächen eine Entwicklung vollziehen, deren Verlauf aktuell nur erahnt werden kann. Langfristig gesehen werden sich an einigen Standorten Laubwälder entwickeln, andere Bereiche werden moorig und feucht, andere wiederum gänzlich unbewachsen bleiben. In Hinblick auf die Tierwelt ist es sehr wahrscheinlich, dass die Wölfe nicht die einzigen Rückkehrer bleiben werden. Auf den Lieberoser Stiftungsflächen wurden bereits einzelne Elche gesichtet, die aus Polen kommend den Weg durch die Oder und über gefährliche Straßen hinweg gemeistert haben. Auch die Jüterboger Flächen könnten Besuch bekommen, hier sogar aus Richtung Süden, denn der Fläming gilt als Erwartungsgebiet für die Wiederbesiedlung durch die Wildkatze. Die Stiftung siedelt keine Tier- und Pflanzenarten aktiv an, sondern sieht es als Teil der natürlichen Entwicklung, wenn sie sich von selbst wieder einstellen. Der Stiftung geht es daher darum, den Arten günstige Bedingungen für eine Wiedereinwanderung zu schaffen. Dazu gehört insbesondere die Bewegungsfreiheit, denn viele Wildtiere und in deren Gefolge auch -pflanzen sind für ihre Entwicklung und das langfristige Überleben auf Wanderbewegungen angewiesen. Mit dem Projekt Ökologischer Korridor Südbrandenburg vernetzt die SNLB wertvolle Wald- und Feuchtgebiete, um Arten wie Wolf, Biber, Fischotter und Rothirsch langfristig barrierefreiere Wanderungen von Polen über Südbrandenburg bis zur Elbe in Sachsen-Anhalt zu ermöglichen.

Stiftung Naturlandschaften Brandenburg
Weitere Informationen unter www.stiftung-nlb.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Viel Raum für Rückkehrer: Jungwölfe auf den Jüterboger Stiftungsflächen, 2011
- Wasser verändert das Waldbild: das Feuchtgebiet "Röthepfühle" auf den Jüterboger Stiftungsflächen, 2011
- Natürlicher Wandel auf den Lieberoser Stiftungsflächen, links eine Luftaufnahme von 1999, rechts das vergleichsbild 2011

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Quelle:
NATURMAGAZIN, Nr. 1, Februar bis April 2013, S. 8-9
Herausgeber:
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
Natur + Text in Brandenburg GmbH
Redaktion:
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Friedensallee 21, 13834 Rangsdorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2013