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WASSER/198: Flüsse und Auen - Fülle und Vielfalt (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 2/2009
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Flüsse und Auen
Fülle und Vielfalt

Von Severin Zillich


Natürliche Flussauen bilden die artenreichsten unserer Lebensräume. Die unvergleichliche Vitalität ihrer Wälder lässt sich hierzulande nur noch an wenigen Orten erahnen. Für die einstige Vielfalt des Lebens im Fluss können die Wanderfische stehen. Aus Deutschland sind sie beinahe völlig verschwunden. Beiden - Auwäldern wie Wanderfischen - will der BUND eine Zukunft geben.

Die biologische Vielfalt der Flüsse spiegeln am markantesten die Fische wider - eine wohl selbst unter BUND-Mitgliedern weitgehend unbekannte Tiergruppe. Unsere Artenkenntnis reicht über die Speisekarte meist kaum hinaus. Oder wussten Sie, dass es in deutschen Flüssen und Seen an die hundert verschiedene Arten gibt? Allein die Namen: Giebel, Döbel, Zobel, Ziege, Nase, Blei und Ukelei...

Von gefährdeten Fischen hören wir meist im Zusammenhang mit der Überfischung der Meere. Dagegen ist die über Jahrhunderte ergiebige Befischung unserer Flüsse bereits Geschichte. Teils trugen die Flussfischer selbst dazu bei. Doch das Todesurteil für einige der auffälligsten Arten unserer Flüsse sprach die Industrialisierung: durch die zeitweise eklatante Verschmutzung vieler Flüsse; und durch ihre systematische Kanalisierung und Verbauung mit Staustufen.

Nun hat sich die Qualität des Flusswassers vielerorts sehr verbessert. Doch die Naturferne vieler Flüsse bleibt in Beton gegossen. Und wo Flüsse wie die Elbe, die Havel oder streckenweise die Donau noch halbwegs frei dahinströmen, müssen sie von Umweltverbänden wie dem BUND permanent gegen den Zugriff der Wasserbauer verteidigt werden. Warum die Mühe?


Verhinderte Wanderer

Werfen wir einen Blick unter Wasser. Wer könnte den Wert lebendiger Flüsse besser symbolisieren als die Wanderfische - Arten, die aus dem Meer oder Unterlauf flussaufwärts schwimmen und dabei verschiedenste Bereiche des Ökosystems Fluss passieren? Zu ihnen zähl(t)en einige unserer größten heimischen Tiere.

Mit über drei Metern Länge waren der Europäische Stör in Rhein und Elbe und der Atlantische Stör in der Oder über Jahrtausende die Könige ihrer Welt. Sie sind heute genauso aus Deutschland verschwunden wie ihr - noch größerer - Vetter aus dem Schwarzen Meer. Der Hausen - oder Belugastör - ist früher bis hinauf nach Straubing gewandert. Das größte jemals gefangene Exemplar war kaum glaubliche sechs Meter lang.

Ein wesentlich kleinerer Räuber hat in der Donau und einigen Nebenflüssen bis heute überlebt: der Huchen. Dieser Lachsverwandte lebt ständig im Süßwasser, zieht, zum Laichen stromaufwärts (wie übrigens auch die Barbe) und wird über einen Meter lang. Ungleich bekannter ist der etwa gleich große Atlantische Lachs, der einst von Nord- und Ostsee aus die Flüsse in großer Zahl hinaufstieg. Zwischenzeitlich ausgestorben, finden heute dank aufwendiger Ansiedlungsprogramme einzelne Exemplare wieder in Rhein und Elbe zurück - ein schwacher Abglanz der früheren Fülle: 1885 fing man im Rhein, dem einmal wichtigsten Lachsfluss Europas, 250.000 Tiere...

Sehr ähnlich ist die Lebensweise der stark bedrohten Meerforelle; sie stirbt jedoch nicht nach dem Ablaichen, sondern schafft den Weg zurück ins Meer.

Mit dem Lachs gingen im 19. Jahrhundert auch Hunderttausende aufsteigender Maifische in die Netze der Flussfischer. Diese Heringsart ist wie Huchen und Lachs heute vom Aussterben bedroht. Im Rhein soll sie - wieder heimisch werden: Letztes Jahr wurden hier die ersten von (geplant) fünf Millionen Maifischlarven ausgesetzt.

Umgekehrt zieht der Europäische Aal zum Laichen ins Meer: Sein fast 20-jähriger Lebensweg beginnt und endet etwa 5000 km entfernt im Atlantik. Von diesem "Sargassomeer" bezeichneten Laichgebiet schwimmen die Larven an Europas Küsten. Als Jungaale wandern sie dann die Flüsse und Bäche so weit wie möglich aufwärts und können dabei sogar über Land kriechen. Zehn bis fünfzehn Jahre später treten sie den Rückweg an. Auch der Fisch des Jahres 2009 droht auszusterben. Nur weil er massenhaft gezüchtet und ausgesetzt wird, ist er noch bis tief ins Binnenland verbreitet. Die Fangmenge der jungen "Glasaale" vor Europas Küsten ist bereits um 99 Prozent zurückgegangen.

Ob all diese imposanten Fische je wieder bei uns heimisch werden? Entscheiden wird darüber kaum die Zahl nachgezüchteter und "ausgewilderter" Jungfische. Sondern die Frage, ob wir unsere Flüsse wieder frei fließen lassen. Ob wir ihnen genug Raum geben, damit darin die Wanderfische und alle anderen Flussbewohner ihre einstigen Nischen zurückerobern.


Tropische Üppigkeit

Noch größer als die Vielfalt im Fluss ist die Vielfalt an seinen Ufern. Sie verdankt sich dem sedimentreichen Wasser, das regelmäßig oder auch nur alle paar Jahre die Aue flutet. Je nachdem, wo und wie lange das Wasser in Teilen der Aue verbleibt, entsteht ein kleinräumiges und dynamisches Mosaik unterschiedlicher Biotope. Auf die Unsicherheit des Lebensraums Aue müssen seine Bewohner eingestellt sein. Doch wer sich dem Wechselspiel des Wassers anpasst, profitiert von den Nährstoffen, die der Fluss in die Aue trägt. Bevor sich der Mensch diese Fruchtbarkeit zunutze machte und die Auen großflächig rodete, prägten weite Auwälder unsere Flusslandschaften. Ihre Wüchsigkeit und Vielfalt symbolisiert die Gunst dieses Lebensraumes.

Die unberechenbare Dynamik von Hoch- und Niedrigwasser ist ein Grund für den einmaligen Artenreichtum der Auwälder. Ein anderer ist, dass die sonst so unvergleichlich dominante Buche nur ausnahmsweise in der Aue wächst. An ihre Stelle tritt eine Vielzahl von Laubgehölzen: Flussnah bilden raschwüchsige Weidengebüsche und dahinter große Silberweiden, Birken, Espen, Erlen und Pappeln eine "Weichholzaue".

Nach außen hin schließen sich langlebigere Bäume an: Eschen und Ulmen, Stieleichen und Hainbuchen, Linden und Feldahorn, Traubenkirschen und viele mehr. Im Unterwuchs stehen Weißdorn, Hartriegel und Pfaffenhütchen. Jede einzelne dieser Arten lockt ganz spezifische Tiere und Pilze an - je nach der Beschaffenheit ihres Holzes, der Struktur ihrer Rinde, der Form ihrer Blätter und der Art ihrer Blüten und Früchte. Schlingpflanzen wie Efeu, Wilder Hopfen und Waldrebe tun ein Übriges, um dem Auwald ein Gepräge tropischer Üppigkeit zu verleihen. Und dieser Eindruck täuscht uns nicht: Kein anderer natürlicher Lebensraum ist von derart vielfältigem Leben erfüllt.


Reste der einstigen Pracht

Einst bedeckten Auwälder rund sieben Prozent Deutschlands. Doch ihr Schicksal ähnelt dem der Wanderfische: Von ihrer früheren, natürlichen Ausbreitung ist beinahe nichts geblieben. Um einen wirklich unberührten Auwald zu erleben, muss man schon bis in die Donau-Aue bei Wien fahren. Und doch: Nicht überall wurde der Auwald gerodet oder durch die Flussregulierung von seinem Lebenselixier Wasser abgeschnitten. So hat sich an der Elbe von Wittenberg bis Magdeburg der größte Hartholz-Auenwald Mitteleuropas erhalten. Er hat das Potenzial, sich allmählich zurück zu seiner vollen ursprünglichen Vielfalt zu entwickeln - vorausgesetzt, die naturnahe Elbe bleibt hier von einem Ausbau verschont. Dafür setzt sich der BUND seit vielen Jahren vehement ein. Artenreiche Auwälder haben sich zudem am Oberrhein (Taubergießen, Kühkopf-Knoblochsaue) oder an der Mündung der Isar in die Donau erhalten.

Diese Refugien für seltene Pflanzen und Tiere sind heute streng geschützt. Doch eine Zukunft werden die Auwaldrelikte nur haben, wenn wir Menschen sie aus ihrer Isolation befreien. Wenn wir uns aus größeren Teilen der Auen zurückziehen und unseren Flüssen ihr breites Bett zurückgeben. Einen Anfang hat der BUND Ende 2008 gemacht: indem er die bislang größte Öffnung einer deutschen Aue initiierte. Durch die Verlegung eines Deiches bei Lenzen gewann die Elbe 420 Hektar ihrer Aue zurück. Kleine Pflanzungen ebnen hier der Rückkehr eines weitläufigen Auwaldes den Weg. Ein erster - aber hoffnungsvoller - Schritt...

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Flussriese Hausen (oben) - und der einstige Brotfisch der flüsse, der Maifisch.
Hartholzaue mit Lerchenspornblüte bei Neuburg an der Donau.
Sommerliches Hochwasser im Nationalpark Donau-Auen bei Wien.


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Quelle:
BUNDmagazin 2/2009
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2009