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LAIRE/066: Nordamerikas Gewässerökosysteme massiv gestört (SB)


Artenschwund in Nordamerika

Fast die Hälfte der Süßwasserfische gefährdet

Naturschutz bei Kandidaten zur Präsidentenwahl nur Pflichtthema


Der Verlust der Arten schreitet weltweit in evolutionsgeschichtlich nie dagewesener Geschwindigkeit voran. Nicht einmal das Absterben der für das eigene Überleben wichtigen Bienenvölker hat auf den politischen Entscheidungsebenen zum Umdenken geführt. Im Gegenteil, die US-Regierung hat sogar im August einen Gesetzentwurf vorgelegt, wonach die Bundesbehörden von der Verpflichtung befreit werden sollen, bei künftigen Projekten Gutachten von Naturschutzexperten einzuholen. Die hatten bislang geprüft, ob eine Verletzung des Artenschutzgesetzes (Endangered Species Act) vorliegt. [1] Trotz dieser Begutachtung von Plänen wie beispielsweise die Freigabe von Bauflächen in Naturschutzgebieten, die Rodung von Wäldern oder die Nutzung von Feuchtgebieten für die Bewässerungswirtschaft, um nur einige aus jährlich mehreren zehntausend Umweltbewertungen der US-Administration zu nennen, konnte ein weitreichender Verlust der nordamerikanischen Süßwasserfischarten nicht verhindert werden. Um wieviel mehr wird der Artenschwund voranschreiten, sollte das Artenschutzgesetz zur völligen Marginalie verkommen?

Fast 40 Prozent der Fischarten in nordamerikanischen Flüssen, Bächen und Seen sind gefährdet, berichtete die Internetseite ScienceDaily.com am 10. September. [2] Sie beruft sich auf die detaillierteste Untersuchung des Bestands an Süßwasserfischen des Kontinents in den letzten 20 Jahren, durchgeführt von Forschern des Geologischen Dienstes der USA sowie aus Kanada und Mexiko.

Waren in einer früheren Studie aus dem Jahr 1989 noch 364 Arten als "gefährdet" eingestuft, so stieg die Zahl bis heute um 92 Prozent auf 700 an. Von diesen wurden 230 als "verletzlich", 190 als "bedroht" und 280 als "gefährdet" bezeichnet. Zusätzlich gelten 61 Süßwasserfischarten als ausgestorben. Nur elf Prozent der bereits 1989 als gefährdet eingestuften Arten hatten sich erholt, 89 Prozent waren genauso oder sogar noch stärker gefährdet als damals. Einzelheiten der Studie wurden im Fachblatt "Fisheries" veröffentlicht.

Fische gelten nicht nur als hervorragende Indikatoren für die Qualität von Gewässern, sie bilden in der Regel auch ein wichtiges Glied innerhalb der Ökosysteme. Die Gefährdung der Fischarten beweist, daß es um die Gewässer insgesamt nicht gut bestellt ist. Bereits vor einem Jahr hatten Forscher Alarm geschlagen und auf den eklatanten Rückgang von Süßwassermuscheln aufmerksam gemacht. Gewässerökologen wissen, was das bedeutet: Einerseits eine bereits bestehende Vergiftung der Gewässer mit Nitraten, Pestiziden oder auch Kupfer, andererseits ein Verlust der wichtigen Filterfunktionen gegen Schwebteilchen und Algen.

Zwar hat die Regierung des Republikaners George W. Bush regelrecht mit der Axt in der Umweltgesetzgebung gewütet, doch der Artenschwund setzte schon Jahrzehnte früher ein und wurde auch unter dem Demokraten Bill Clinton nicht gestoppt. Darum sollte nicht damit gerechnet werden, daß der Amtsnachfolger Bushs, egal aus welchem Lager des faktischen Zwei-Parteien-Systems (das in vielen Fragen keine Opposition kennt) er stammt, an dieser Entwicklung etwas ändern wird.

Außenpolitische Themen stehen bei John McCain (Republikaner) und Barack Obama (Demokraten) im Vordergrund, Naturschutz dagegen wird so gut wie nicht thematisiert. Das deckt sich mit dem fundamentalen wirtschaftspolitischen Konzept der permanenten Expansion, dem beide anhängen. Das ist von seinem Wesen her verbrauchsorientiert. In der extremen Ausprägung läuft es auf militärische Raubzüge in der ganzen Welt hinaus. Im Zuge der dabei primär angestrebten strategischen Vorteilsposition ergeben sich so attraktive Mitnahmeffekte wie die Sicherung von Erdölquellen und -pipelines, schließlich soll dem Getriebe nicht der Schmierstoff ausgehen.

Keine andere Denkweise steckt hinter der Vernutzung von natürlichen Ressourcen, die der Allgemeinheit zugute kommen und für die der Verlust an Süßwasserfischen eines von vielem Merkmalen ist. Die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft hingegen verfügen in der Regel über ausgedehnte Ländereien, die der allgemeinen Verfügbarkeit entzogen sind und auf denen sie dann Bedienstete für sich arbeiten lassen, die im privaten schon mal gern den Schutz der natürlichen Vielfalt sicherstellen.


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Anmerkungen:

[1] Näheres dazu im Schattenblick, Infopool UMWELT\REDAKTION, Index RESSOURCEN/094: Artenschutz ade - neuer Gesetzentwurf der US-Regierung (SB)

[2] http://www.sciencedaily.com/releases/2008/09/080909205412.htm

19. September 2008