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LAIRE/073: Agrosprit - armutfördernd und klimaschädlich (SB)


Agrotreibstoffe sind in jedem Fall klimaschädlich

Vorarbeit lokaler Agrospritproduzenten wird nun von großen Investoren abgegriffen


In der Debatte über Vor- und Nachteile des zunehmenden Einsatzes von Biosprit vernachlässigen selbst viele Kritiker dieses Trends einen wesentlichen Aspekt, der ihrer Argumentation Nachdruck verleihen könnte: Die Verbrennung. Selbst wenn der Kohlenstoff, der beim Verbrennen von Ethanol oder Biodiesel in die Atmosphäre entweicht, ihr in der Vergangenheit beim Wachstum der Pflanzen entzogen wurde, handelt es sich nach wie vor um einen Verbrennungsprozeß mit der Freisetzung von zuvor gebundenem Kohlenstoff. Fossile Energieträger sind im Prinzip nichts anderes, auch sie haben Kohlenstoff gebunden. Wären sie nicht erdgeschichtlich entstanden, wiese die Erdatmosphäre vermutlich mehr Ähnlichkeiten mit der brütend heißen Atmosphäre der heutigen Venus auf als mit der vorindustriellen irdischen Atmosphäre.

Die Berechnung, derzufolge beim Verbrennen von Agrosprit nicht mehr Kohlenstoff entweichen kann, als zuvor durch die Pflanzen gebunden wurde, trifft zwar zu (sieht man einmal von dem energetischen Aufwand bei der Treibstoffproduktion ab), aber damit wird ein Vergleich unterstellt, der für menschliche Belange wenig relevant ist. Jede Tonne Kohlenstoff in der Atmosphäre könnte eine Tonne zuviel sein, wenn es darum geht, die Erderwärmung zu verhindern.

Bei dem häufig vorgebrachten Argument, daß Treibstoff aus sogenannten Energiepflanzen vielleicht nicht in jedem Fall klimafreundlicher ist als Treibstoff aus fossilen Energieträgern, aber doch unter bestimmten Produktionsbedingungen, wird angenommen, daß der Menschheit genügend Zeit bleibt, um nach dem Niedergang des Erdölzeitalters auf Agrosprit umstellen und dennoch den Klimawandel irgendwie kompensieren zu können. Diese Vorstellung erinnert an das unerschütterliche Feiern von Passagieren auf einem leckgeschlagenen Schiff, das bereits volläuft.

Versuche, Aufklärung zu leisten, wie kürzlich Niels Boeing auf Heise.de, der zu einer differenzierteren Betrachtung der Vor- und Nachteile der Agropflanzen aufrief und lokalen Nutzungsformen einiges abgewinnen konnte, während er mit Kritik am Monokulturanbau nicht sparte, sind verständlich, erwecken jedoch den Anschein, an die falsche Adresse gerichtet zu sein. In den USA, der EU, Brasilien und vielen weiteren Staaten ist der Pflanzenanbau für Agrosprit längst etabliert oder zumindest fester Bestandteil von Regierungsplänen. Die läuft unvermeidlich auf die Bildung von Großplantagen hinaus. Der Einfluß von NGOs, an die sich Boeing wendet, auf politische Entscheidungen ist zwar nicht zu leugnen - insofern erreicht er ja vielleicht jemanden -, doch selbst die inzwischen vorsichtiger formulierten EU-Ziele zur Agrospritbeimischung kehren den Trend nicht um, sie verlangsamen ihn lediglich.

Auch wenn die mechanische Jatropha-Presse afrikanischen Dorfbewohnern gute Dienste leisten kann, haben große Unternehmen diese Kleinproduzenten längst ins Visier genommen, um sie für sich arbeiten zu lassen und ihnen die Ernte abzukaufen. Fluggesellschaften wie Air New Zealand, die am 3. Dezember testweise eine Boeing 747 mit einem Gemisch aus Kerosin, das zur Hälfte aus Jatropha gewonnen wurde, fliegen will, oder Virgin Atlantic, die eine A390 bei einem Probeflug im Februar dieses Jahres ein Gemisch aus Kerosin und 20 Prozent Kokos- und Babassunußöl verwendet hat, würden solche Experimente gar nicht erst lostreten, wenn sie nicht von vornherein davon ausgingen, eines Tages genügend Nachschub an Agrosprit zu erhalten. Die - düstere - Zukunft des Agrosprits liegt nicht in den Händen der Selbstversorger, sondern in denen der internationalen Investoren. Eine Rückkehr zu kommunalen Produktionsformen setzt eine Deglobalisierung voraus, wie sie insbesondere vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise, die den Ruf nach weltumspannenden Kontrollmechanismen laut werden läßt, weniger denn je in Aussicht zu stehen scheint.

Niemand vermag die Frage zu beantworten, ob nicht längst globalklimatische Prozesse in Gang gesetzt wurden, die selbst beim besten Bemühen der Menschen nicht mehr aufzuhalten wären. Nach dem jetzigen wissenschaftlichen Stand tragen anthropogene Treibhausgasemissionen maßgeblich zur Erderwärmung bei. Wenn nun ein Teil des Erdöls durch Agrotreibstoffe ersetzt wird, dann fördert das nach wie vor diese Entwicklung. Auf lokaler Ebene verspricht Agrosprit den Menschen Vorteile zu verschaffen, in einer globalen Bilanzierung hingegen verkehren sich diese ins Gegenteil. Energiepflanzen sind ein Verarmungsfaktor wie jeder andere Monokulturanbau und in jedem Fall klimaschädlich.

19. November 2008