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LAIRE/158: Deepwater Horizon - fortgesetzte Verschleierung der Ölkatastrophe (SB)


Unabhängige Wissenschaftler erhalten keine Untersuchungsproben vom Erdöl, das in den Golf von Mexiko geströmt ist


Nachdem im April vergangenen Jahres die Bohrplattform Deepwater Horizon explodiert ist, elf Arbeiter in den Tod gerissen wurden und über Wochen und Monate hinweg unaufhaltsam eine zähklebrige Erdölmasse in den Golf von Mexiko quoll, hatte der Ölkonzern BP als Hauptverantwortlicher der Katastrophe von Anfang an das Ausmaß und die Folgen des Vorfalls verschleiert. Darin stand die US-Regierung dem Unternehmen tatkräftig zur Seite, auch wenn ein gegenteiliger Eindruck erweckt wurde. Das gehörte zum politischen Geschäft. Ebenso wie die öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzte Empörung von US-Präsident Barack Obama über die angebliche Vertuschungspolitik des Konzerns. Das mußte er sagen, schließlich befand er sich selbst in die Schußlinie der oppositionellen Republikaner. Doch es waren US-Behörden, die Einschränkungen des Flugverkehrs oberhalb der ölverseuchten Strände im Süden des Landes verhängten und den Konzern dabei unterstützten, die Presse von den Orten des Geschehens fernzuhalten - durchaus vergleichbar mit dem Kontrollanspruch in einem Kriegsgebiet. Bilder von zuckenden, ölverklebten Vögeln sollten so wenige wie möglich um die Welt gehen.

Warum ließ die US-Regierung BP nicht untergehen, so wie bei der Finanzkrise die Bank Lehman Brothers? Der Grund hat weniger mit den legalisierten Bestechungsgeldern zu tun, die Konzerne und andere Interessengruppen an US-Politiker zahlen und "Wahlkampfspenden" genannt werden, sondern vielmehr mit der systemrelevanten Bedeutung von Erdöl. Ohne den Brenn- und Schmierstoff läuft in der hochtechnisierten Gesellschaft nichts, zudem sind zahlreiche Erdölprodukte auf absehbare Zeit nicht oder kaum durch andere Materialien ersetzbar.

Deshalb darf aus der Sicht des profitgetriebenen Konzerns und der ihm grundsätzlich zugewandten Regierung Erdöl nicht so sehr in Verruf geraten, wie es angesichts der weiträumigen Verseuchung des Golfs von Mexiko mit rund 750 Millionen Litern Erdöl und tonnenweise chemischen Dispersionsmitteln angestanden hätte. Also verkündeten der Industrie nahestehende Forscher schon nach wenigen Wochen eine wundersame Auflösung des Ölteppichs - was prompt von anderen Forschern als Märchen entlarvt wurde. Womöglich damit die Öffentlichkeit weiterhin im unklaren über das gewaltige Ausmaß der Katastrophe gelassen wird, verweigern inzwischen sowohl BP als auch die Regierung unabhängigen Wissenschaftlern die Herausgabe von Ölproben, wie vergangene Woche Mark Schrope im Wissenschaftsmagazin "Nature" berichtete. [1]

Obgleich BP und die US-Regierungsbehörde NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) mehrere tausend Liter Erdöl und Dispersionsmittel eingesammelt und aufbewahrt haben, wurde es für unabhängige Wissenschaftler zunehmend schwieriger, an Proben zu gelangen. Dabei seien sie darauf angewiesen, das Gemisch zu untersuchen, wenn sie die möglichen Auswirkungen der Verschmutzung auf die Ökosysteme bestimmen wollen, schreibt der Autor.

Spätestens seit September erhielten Wissenschaftler auf ihre Bitte um Proben ein Formschreiben als Absage. Das Unternehmen begründe dies mit einer allgemeinen richterlichen Anweisung zur Aufbewahrung, die kurz nach dem Verschließen der Bohrquelle erteilt wurde, damit kein Beweismaterial zerstört wird. Erdölproben sind darin zwar nicht definitiv eingeschlossen, aber BP-Sprecherin Hejdi Feick erklärte, daß das Unternehmen eine konservativ Haltung einnehme. In dem Standardbrief wird in Aussicht gestellt, daß in einigen Wochen wieder Proben ausgegeben werden könnten. Ein Datum wurde nicht genannt.

Wie gesagt, diese monatelange Weigerung, Proben von unabhängigen Forschern untersuchen zu lassen, steht in einer Reihe mit ähnlichen Maßnahmen zur Vertuschung und Verschleierung der Erdölverseuchung. Und wenn die NOAA, die den Angaben zufolge noch mehr als zwei 2000 Liter Probenmaterial besitzt, aus rechtlichen Gründen nichts davon freigibt, dann trifft es vielleicht zu, daß die Behörde mit dieser Haltung auf der rechtlich hundertprozentig sicheren Seite steht, aber zugleich werden damit andere Rechte mißachtet. Zum Beispiel das Recht der Anwohner der Golfregion auf eine unversehrte Umwelt oder zumindest darauf, weiteren Schaden von der Umwelt fernzuhalten. Dazu wäre es ausgesprochen nützlich, wenn unabhängige Wissenschaftler Untersuchungen der Proben vornähmen, denn nur so können sie sicher sein, daß ihre Forschungsresultate an offizieller Stelle Beachtung finden und womöglich in Rechtsverhandlungen anerkannt werden. Würden die Forscher dagegen ihre eigene Proben nehmen, wären sie rechtlich und damit auch politisch angreifbar. Die Ergebnisse wären somit irrelevant und würden von Regierung und Unternehmen nicht anerkannt. Das dürfte der tiefere Zweck sein, weswegen zur Zeit keine Proben ausgegeben werden.


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Quellen:
[1] "Gulf-oil studies stalled by scarce samples", Mark Schrope,
Nature online, 14. Januar 2011, doi:10.1038/news.2011.18

http://www.nature.com/news/2011/110114/full/news.2011.18.html?WT.ec_id=NEWS-20110118#comments

20. Januar 2011