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LAIRE/212: Wüstenstrom - wo bleiben die Menschenrechte? (SB)


Mursi, Desertec und die deutschen Kapitalinteressen in Nordafrika



Während Ägyptens Präsident Mohammed Mursi mit einer großen Wirtschaftsdelegation nach Berlin reist, werden in seinem Land Demonstranten von der Polizei erschossen. Zu den am Mittwoch in der Bundeshauptstadt unterzeichneten Verträgen, mit denen die deutsch-ägyptische Zusammenarbeit befestigt werden soll, gehört auch ein Abkommen mit der Desertec-Industrie-Initiative (DII). Das kündigte deren Geschäftsführer Paul van Son bereits am 29. Januar gegenüber dem "Handelsblatt" [1] an.

Desertec bzw. die DII steht für die Vision, in den vermeintlich ungenutzten Wüstengebieten Nordafrikas und des Mittleren Ostens elektrischen Strom aus Solarthermischen Kraftwerken, Windkraft- und Photovoltaikanlagen sowie Biomassekraftwerken zu produzieren. Etwa 15 Prozent dieses "grünen" Stroms aus sogenannten regenerativen Quellen sollen mittels neuartiger, angeblich verlustarmer Hochspannungsgleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) nach Europa fließen, der Rest vor Ort verbraucht werden. Die Vision sieht vor, daß bis zum Jahr 2050 Investitionen in Höhe von 400 Milliarden Euro getätigt werden. Umweltschutzgruppen wie Greenpeace haben sich in der Vergangenheit positiv zu dem Konzept geäußert.

Die Schattenblick-Redaktion hatte allerdings schon kurz nach Bekanntwerden der Desertec Initiative im Juni 2009 gewarnt, daß Afrika durch dieses Projekt der Großindustrie (als Gesellschafter werden u. a. Munich Re, E.on, RWE, Deutsche Bank, HSH Nordbank und als assoziierte Partner u. a. Shell, IBM, Audi, Bilfinger, Commerzbank genannt) wie einst zu Kolonialzeiten zum bloßen Ressourcenkontinent degradiert werden könnte. Außerdem würde das Konsortium mit repressiven Regimen zusammenarbeiten müssen und ihnen dadurch eine Fassade der Legitimation verleihen, hinter der weiterhin schwere Menschenrechtsverletzungen begangen würden.

Die Kooperation des früheren Desertec-Gesellschafters Siemens mit Marokko beim Aufbau zweier Windparks bei Haouma und Foum El Oued in der von Marokko besetzten Westsahara hatte die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Zwar hat sich Siemens im vergangenen Jahr von der DII zurückgezogen und die Windparks firmierten auch zu keinem Zeitpunkt unter dem Titel Desertec, aber wer auf dem Gebiet der Erneuerbaren Energien mit Marokko kooperiert, unterstützt dadurch unvermeidlich eine Besatzungsmacht, die für schwere Übergriffe gegenüber den ursprünglichen Bewohnern der Westsahara, den Saharouis, bekannt ist.

Nun also eine Kooperation der DII mit Ägypten unter Mursi, von dem es ungeachtet der massiven militärischen Präsenz vor und während der im vergangenen Jahr abgehaltenen Wahlen heißt, er sei auf demokratische Weise an die Macht gekommen. Ägypten ist jedoch mit einem Bein eine Militärdiktatur - von demokratischen Prozessen seit dem Ende der Ära des Mursi-Vorgängers, Hosni Mubarak, ist nichts zu bemerken. Weiterhin werden Demonstranten erschossen, verschleppt, gefoltert, vors Militärgericht gestellt und zum Tode verurteilt und, und, und. All die Menschenrechtsstandards, die die Bundesregierung immer dann ins Feld führt, wenn unliebsame Regierungen unter Druck gesetzt oder gar zum Sturz gebracht werden sollen, werden offenbar dann hinfällig, wenn lukrative Geschäfte in Aussicht stehen oder andere Vorteilserwägungen eine Rolle spielen.

Anläßlich Mursis Besuch in Berlin sprach sich Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) in der ARD mit Blick auf die Unruhen in Ägypten für Zurückhaltung aus. "Ich rate uns zu strategischer Geduld, daß wir sagen, was wir zu sagen haben, daß wir aber den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen." Und Wirtschaftsminister Philipp Rösler wollte Mursi an die Achtung von Menschenrechten und der Religionsfreiheit erinnern (und erst wenn er das getan hat, zum eigentlichen Geschäft kommen, würde eine lockere Zunge anfügen ...). [2]

Die Erklärungen der beiden Minister unterscheiden sich nur oberflächlich voneinander. Die Bundesregierung war schon zur Zeit des im vergangenen Jahr gestürzten Regenten Hosni Mubarak ein wichtiger Geschäftspartner Ägyptens, ist dies auch heute noch und will es morgen weiterhin sein. Sofern es opportun erscheint, werden die ägyptischen Staatsführer an die Menschenrechte erinnert, ansonsten trifft man mit den ägyptischen Partnern Abmachungen und unterzeichnet Verträge oder schafft institutionelle Strukturen wie am Mittwoch die Deutsch-Ägyptische Gemischte Wirtschaftskommission (GWK), in der "sich Regierungs- und Wirtschaftsvertreter über eine stärkere Zusammenarbeit und konkrete Projekte austauschen können", so das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) in einer Pressemitteilung vom 30. Januar. [3]

An der ersten Sitzung dieses Forums nahmen eine rund 100-köpfige Delegation aus Ägypten und mehr als 160 Vertreter aus der deutschen Wirtschaft sowie Verbänden teil. Vorsitzende der GWK sind die Staatssekretärin im BMWi, Anne Ruth Herkes, und der ägyptische Minister für Industrie und Handel, Dr. Hatem Saleh. Neben Themen zur Aus- und Weiterbildung, Transport, Infrastruktur, Industrie und Tourismus wurden auch Energiefragen angesprochen. Kaum zu glauben, daß die Vertreter der deutschen Wirtschaft ihre ägyptischen Kollegen ständig daran erinnert haben, daß sie doch dafür sorgen sollen, daß die ägyptische Polizei bitte schön keine Demonstranten mehr erschießt. Vielmehr heißt es in einer Pressemitteilung des BMWi anläßlich Mursis Besuch: "Deutschland und die EU sind sehr daran interessiert, dass Ägypten demokratische und wirtschaftliche Reformen voranbringt sowie stabile Rahmenbedingungen schafft, denn sie sind die Basis für eine erfolgreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit."

Die Formulierung "sehr daran interessiert" klingt nicht so, als müßte sich die ägyptische Regierung Sorgen über das Zustandekommen von Geschäften machen. Und mit dem Wunsch nach "stabilen" Rahmenbedingungen hätte auch das Mubarak-Regime ganz gut leben können, hat doch Hosni Mubarak Ägypten fast drei Jahrzehnte lang regiert. Das war von geradezu pharaonischer Stabilität.

Nachdem Siemens und Bosch von der Desertec Industrial Initiative abgesprungen sind und die Photovoltaik im Vergleich zu Solarthermischen Kraftwerken, dem Kernkonzept Desertecs, konkurrenzlos preiswert geworden ist, wurde schon geunkt, daß sich die DII nicht lange halten wird. [4]

Eine Alternative zum Niedergang stellt die Zusammenarbeit mit repressiven Regimen dar. So führt der Stromkonzern RWE ein Konsortium an, das ausgerechnet in Marokko im Rahmen der Desertec-Initiative einen Windpark und ein Photovoltaik-Kraftwerk errichten will, wie das "Handelsblatt" berichtete. [5] Hierzulande verrufen wegen des Raubbaus an der Natur als "Kollateralschaden" der Braunkohleförderung unter anderem im Tagebau Hambach, intensiviert RWE die Förderung der sogenannten regenerativen Energien in Nordafrika. Vorderster Geschäftspartner: Marokko, die Besatzungsmacht der Westsahara.

Saubere Geschäfte mit sauberem Strom? Der vor einigen Jahren verstorbene Präsident von Eurosolar, der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer (SPD), wußte, wovon er sprach, wenn er vor der Großindustrie warnte, die die Energieversorgung an sich risse. Das war auch einer der Kritikpunkte Scheers an Desertec. Der Strom könnte auch hierzulande in unmittelbarer Nähe zum Verbraucher erzeugt werden, nämlich auf den Dächern ihrer Häuser.

Um auch nur die bloße Idee zu unterdrücken, die Energieversorgung könnte im Prinzip dezentral erfolgen und womöglich um vieles preiswerter sein, unterstützt die Bundesregierung die Kapitalinteressen der deutschen Wirtschaft jenseits des Territoriums der Europäischen Union und dehnt dabei seinen Einflußbereich aus. Die Toten in Ägypten und die Folteropfer in Marokko zeigen: Der Wüstenstrom ist nicht grün, sondern blutrot.


Fußnoten:

[1] http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/kooperation-deutschland-soll-wuestenstrom-aus-aegypten-bekommen/7704274.html

[2] http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEBEE90T02O20130130

[3] http://www.bmwi.de/DE/Presse/pressemitteilungen,did=548834.html

[4] Siehe auch das Interview mit dem Desertec-Experten Dr. Thomas Schmitt vom Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multikultureller Gesellschaften in Göttingen unter:
INTERVIEW/044: Down to Earth - Desertec, Antwort auf die Wüste? (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0044.html

[5] http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/projekt-in-marokko-rwe-entdeckt-nordafrika-fuer-solarstrom/6656314.html

30. Januar 2013