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LAIRE/228: Alarmruf aus der Strom-Industrie - 'Unsere Profite versiegen ...' (SB)


Ökostrom verdrängt konventionelle Energieträger



In Deutschland wird soviel billige Öko-Energie erzeugt, daß die Industrie keine Profite mehr macht und beginnt, ihre Braunkohle-, Gas- und möglicherweise demnächst auch Kernkraftwerke abzuschalten. Etwa 20 Prozent der konventionellen Kraftwerkskapazitäten (von 90.000 Megawatt) könnten davon betroffen sein, munkelt die Süddeutsche Zeitung, und ihr Bericht ist in einem Tenor gehalten, als hätten sich die Pforten der Hölle geöffnet. "Droht Deutschland ein Engpass bei der Stromversorgung?", eröffnet die SZ ihren Bericht.

Diese Frage ist merkwürdig, denn die Kraftwerke werden abgeschaltet, weil ein Überangebot besteht und sie sich nicht mehr rentieren. Es wird also nicht weniger, sondern mehr Strom produziert. Die Eingangsfrage hätte also lauten können: "Droht Deutschland ein Überschuß an Strom?" Oder: "Wohin, um Himmels willen, mit dem vielen Strom?"

Obwohl die staatliche Subventionierung von Ökostrom drastisch runtergefahren wird, schrauben die Deutschen unermüdlich weiter Solarzellen auf ihre Dächer oder richten Windräder auf ihren Äckern auf. Dadurch produzieren sie bereits soviel Strom, daß an manchen Tagen rechnerisch der Energiebedarf von ganz Deutschland durch die Erneuerbaren gedeckt ist. Und das ist ja erst der Anfang; in ein, zwei Jahrzehnten könnten in Deutschland weitere Lücken und Unsicherheiten der Stromversorgung geschlossen und Energie zu einem sehr günstigen Preis für die Endkunden angeboten werden. Der Traum der Ökobewegung scheint sich zu erfüllen.

Geht es nach der Süddeutschen Zeitung, handelt es sich um einen Alptraum. Das hat jedoch nicht mit den technischen Schwierigkeiten zu tun, wie es die um ihre Profite besorgte Industrie unermüdlich behauptet, sondern mit ideologischen Scheuklappen.

Sowohl für das Problem der schwankenden Stromproduktion aufgrund der erneuerbaren Energien - Solaranlagen produzieren im Winter wenig und im Sommer viel Strom - als auch der zeitweiligen Überkapazitäten sowie der räumlich ungleichen Verteilung der Energieanlagen gibt es technische Lösungen. Es könnten sehr viel mehr Stromspeicher geschaffen und der Netzausbau den neuen Energiesystemen angepaßt werden - zumal auf den großindustriellen Ausbau der Offshore-Windparks, auf die ein Teil der technischen Probleme zurückgeht, da der Strom vom Norden in den Süden transportiert werden muß, verzichtet werden könnte. Mit schnell regulierbaren Gaskraftwerken wären gegebenenfalls Stromlücken zu schließen, wohingegen Braunkohlekraftwerke, für die noch immer Dörfer eingeebnet und ganze Landschaften devastiert werden, endgültig der Vergangenheit angehören würden.

Der Staat könnte wesentlich stärker lenkend eingreifen, um die Grundversorgung der Bevölkerung mit Energie sicherzustellen. Dann wären viele der Probleme, weswegen die Industrie und viele Medien heute über den Boom der erneuerbaren Energien jammern, hinfällig. Weil aber die Regierung politisch auf etablierte Wirtschaftskreise Rücksicht nimmt, auch hinsichtlich der von der Europäischen Union gesetzten Vorgaben zur Sicherung der sogenannten marktwirtschaftlichen Ordnung, wird das drohende Unheil der unsicheren Stromversorgung pauschal den erneuerbaren Energien zugelastet.

Doch warum, auf Teufel komm raus, an einem bestimmten politischen System festhalten? Ist das nicht eigentlich dazu gedacht, für alle Mitglieder der Gesellschaft ein angenehmes, von Versorgungsnöten freies und kulturell anregendes Leben zu ermöglichen? Es besteht gar nicht die Notwendigkeit, den staatlichen Eingriff in die Energieversorgung per se zu verwerfen.

Die Ökostromproduktion in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte und wird international auch so wahrgenommen. Der dank staatlicher Lenkung günstige Ökostrom dürfte neben anderen Faktoren sogar zu den anhaltenden Schwierigkeiten der Desertec Industrial Initiative (DII) beigetragen haben. Jüngst wurde über einen Führungsstreit in der Chefetage sowie über den Absprung der Desertec-Stiftung von der DII berichtet. Vor einiger Zeit hatten sich bereits die deutschen Unternehmen Siemens und Bosch von dem Konsortium verabschiedet. Das war ursprünglich angetreten, um bis 2050 rund 400 Milliarden Euro in den Ausbau von erneuerbarer Energien in Nordafrika und dem Nahen Osten zu investieren. Mit den Ökostromanlagen (Solarthermie, Photovoltaik, Wind und Biomasse) sollte so viel Energie erzeugt werden, daß nicht nur die Länder, in denen die Anlagen stehen, versorgt sind, sondern daß auch die EU bis Mitte des Jahrhunderts ihren Strombedarf zu 15 Prozent abdecken kann.

Zumindest in der wirtschaftlichen stärksten Nation der EU, Deutschland, wurde dieses Ziel bereits erreicht - ganz ohne Desertec. Und wer sich über die Subventionen in dreistelliger Milliardenhöhe beklagt, die als Folge des Erneuerbare-Energiengesetz (EEG) an die Ökostromproduzenten ausgezahlt werden, sollte das einmal in Relation zu den 400 Milliarden Euro setzen, die das DII-Konsortium aufzuwenden bereit war oder noch ist, um seine Ziele zu erreichen. Von der EEG-Umlage profitieren viele kleine Produzenten, die womöglich nur ein paar Quadratmeter Dachfläche mit Solarzellen ausstatten; jene 400 Milliarden Euro dagegen will sich das Konsortium über den Strompreis wieder hereinholen. Von dem Betrag flösse absehbar viel weniger in den Binnenkonsum zurück als von den Geldern, die über die Mechanismen des EEG unters Volk gebracht werden.

Die Kritik am EEG hat auch damit zu tun, daß zwischen Wirtschaft und Politik in einem sehr wichtigen Punkt Interessengleichheit besteht: Der Traum von der individuellen Energieautarkie darf sich aus ihrer Sicht niemals erfüllen. Denn wenn elektrischer Strom tatsächlich kostenlos und nahezu unbegrenzt zur Verfügung stände - vergleichbar mit Atemluft -, könnte kein Unternehmen einen Mangel produzieren, um anschließend von der Verteilung der verknappten Güter zu profitieren. Auch die Regierung hätte nichts mehr zu regieren - zumindest nicht in diesem Bereich der gesellschaftlichen Grundfunktion -, ist sie doch, ähnlich wie die Wirtschaft, existentiell darauf angewiesen, daß die Menschen Mangel erleiden. Der "muß" dann verwaltet werden.

Aufgrund dieser Interessenlage könnte aus dem Traum der Ökobewegung doch noch ein Alptraum werden. Denn die vorherrschenden gesellschaftlichen Kräfte werden absehbar nur jene Aspekte der Ökostromproduktion unterstützen, die ihren eigenen Absichten dienen und die sie in ähnlicher Form bereits bei der Unterstützung der konventionellen Energieproduktion hervorgehoben haben. So würde die Verbreitung dezentraler Energiesysteme genau nicht die Energieautarkie, sondern eine noch engere Fesselung an die vorgegebenen Versorgungsstrukturen und damit eine tiefe Abhängigkeit der Menschen von der lebenswichtigen Versorgung mit Energie zum Ziel haben. Deshalb und nur deshalb könnte der Vormarsch der erneuerbaren Energien in Deutschland auf einen Alptraum hinauslaufen.

16. Juli 2013