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LAIRE/230: Kanada unterdrückt Kritik an Erdölprojekten (SB)


Nur ausgesuchte Kritik an Pipelineprojekt "Enbridge Line 9B" zur Anhörung zugelassen



Weltweit nimmt nicht nur die Kritik an Energieprojekten zu, sondern auch der Versuch, unliebsame Stimmen zum Schweigen zu bringen. So hat die Regierung Kanadas im vergangenen Jahr ein Gesetzespaket [1] verabschiedet, das Bestimmungen zum National Energy Board Act enthält, wonach öffentliche Kritik an Erdölprojekten faktisch eingeschränkt wird. In einem aktuellen Fall betrifft dies den von dem Erdölunternehmen Enbridge Inc. geplanten Bau der Erdölpipeline Line 9B von Montreal nach Südwest-Ontario. Demnach dürfen nur ausgesuchte Personen ihre Einwände offiziell vortragen, wie die Zeitung The Globe and Mail berichtete. [2]

Gegen diese Ausgrenzung hat am 13. August der Anwalt und Vorstandsvorsitzende der Nichtregierungsorganisation ForestEthics, Clayton Ruby, Klage vor dem Bundesgericht Kanadas eingereicht. Er will erreichen, daß die Gesetzesanhänge, in denen die Restriktionen festgehalten sind, gestrichen werden und daß das NEB (National Energy Board) keine Empfehlung zu dem Projekt an das Kabinett von Premierminister Stephen Harper ausspricht, solange nicht diese Streitfrage geklärt ist.

Der Gesetzesmodifikation zufolge wird das NEB nur Personen anhören, die durch den Bau der Line 9B unmittelbar betroffen sind oder deren Expertise das Komitee für nützlich erachtet. Antragsteller müssen jedoch einen neunseitigen Fragebogen ausfüllen und darauf ihren Rechtsanspruch begründen. Kritiker bezeichnen das als bürokratische Behinderung.

Laut dem kanadischen Minister für natürliche Ressourcen Joe Oliver wurden mehr als 95 Prozent derjenigen, die einen Kommentar zu dem Vorhaben abgeben wollten, akzeptiert. Durch das Verfahren werde aber verhindert, daß die Anhörungen mißbraucht werden, um administrative Entscheidungen hinauszuzögern. [2] Ruby hält in einem offenen Brief dagegen, daß Tausende, vielleicht sogar Millionen Einwohner Kanadas davon betroffen sein könnten, wenn ihr Trinkwasser durch eine Leckage der Pipeline verseucht wird; deshalb müßten sie sich dazu äußern dürfen. [3] ForestEthics macht darauf aufmerksam, daß das NEB im vergangenen Jahr noch 1544 Personen für das Enbridge Northern Gateway Pipeline-Projekt angehört habe, für die Enbridge Line 9B jedoch nur 175 Personen zugelassen wurden. [4]

Die Erdölgesellschaft Enbridge betreibt auf der vorgesehenen Strecke mit Line 9 bereits seit 38 Jahren eine fast 700 Kilometer lange Ölpipeline (76,2 cm Durchmesser), die eine Tageskapazität von 240.000 Barrel (1 Barrel = 159 Liter) hat. Hierüber wird Rohöl aus der Nordsee, Westafrika und dem Mittleren Osten transportiert. Mit einer zweiten Pipeline auf der gleichen Strecke sollen 300.000 Barrel Rohöl aus kanadischen Teersanden pro Tag (bpd - barrel per day) befördert werden. [5]

Obgleich die kanadische Gesellschaft allgemein vom Abbau des Bitumens aus Teersanden in der Provinz Alberta profitiert, ist dazu eine starke zivilgesellschaftliche Gegenbewegung entstanden. Sie will verhindern, daß Kanada weiterhin riesige Landstriche umgräbt, die ölhaltige Masse aus den Sanden herauslöst und dabei einerseits große Mengen an Chemikalien verwendet und andererseits wertvolles Wasser verbraucht. Die Kritik richtet sich auch gegen den weiteren Ausbau einer Erdöl-Infrastruktur, weil durch sie ein Ende dieser überaus zerstörerischen Form der Erdölproduktion in weite Ferne rückt.

Aus ähnlichen Gründen wird in den USA gegen den Weiterbau der Pipeline Keystone XL, über die kanadisches Öl unter anderem bis hinunter zur Südküste der USA nach Texas transportiert werden soll, protestiert. Es sind solche breiten, zivilgesellschaftlichen Bewegungen, die von den herrschenden Regierungen gefürchtet und mit verschiedensten Mitteln unterdrückt werden. Eines davon ist die gesetzliche Maßnahme der Harper-Regierung, mit der die Protestbewegung gespalten werden soll, indem in Zukunft die Behörden darüber entscheiden, wer seine Stimme gegen ein Projekt erheben darf und wer nicht.

Selbst wenn die Behauptung von Minister Oliver zuträfe, daß mehr als 95 Prozent der Antragsteller gehört werden, ist es nicht ausgeschlossen, daß jene vier Prozent Ausgeschlossene die entscheidenden Argumente gegen den Bau von Line 9B vorgetragen hätten. Im übrigen wird hier das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung beschnitten.

Die Vertreter von ForestEthics, die auf vielen Gebieten des Umweltschutzes aktiv sind, gehören zu denen, die spüren, wie den Bürgerinnen und Bürgern immer mehr Rechte abgesprochen werden, während umgekehrt die Bergbaukonzerne und Erdölgesellschaften von Auflagen zum Schutz von Boden, Luft und Wasser befreit werden. So verschiebt sich die gesellschaftliche Einflußnahme vom Volk als eigentlichem Souverän zu einigen privaten Profiteuren der Rohstoffgewinnung.


Fußnoten:

[1] Das im Juni 2012 nach dritter Lesung angenommene Omnibus Budget Bill C-38 gilt als schwerer Schlag der konservativen Harper-Regierung gegen Dutzende von Umweltbestimmungen des Landes. Unter anderem wurde damit der Ausstieg Kanadas aus dem Klimaschutzprotokoll von Kyoto besiegelt.

[2] http://www.theglobeandmail.com/report-on-business/industry-news/energy-and-resources/activists-launch-suit-in-federal-court-over-ability-to-oppose-proposed-pipeline-projects/article13721850/

[3] http://org.salsalabs.com/o/281/p/dia/action3/common/public/?action_KEY=14060

[4] http://forestethics.org/news/harper-government-energy-rules-challenged-court

[5] http://www.enbridge.com/ECRAI/Line9BReversalProject.aspx

18. August 2013