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LAIRE/275: ZAD - Widerstand auf Lebensdauer ... (SB)



Seit Tagen versucht die französische Staatsgewalt ein Gebiet einzunehmen, von dem Innenminister Gérard Collomb behauptet, es handele sich um eine "rechtsfreie Zone". Mehr als ein halbes Jahrhundert lang hatte die örtliche Bevölkerung in der Bretagne in Zusammenarbeit mit Menschen aus der Klima- und Umweltschutzbewegung, dem Anarchismus und anderen politischen und unpolitischen Zusammenhängen gegen den geplanten Bau des Großflughafens Notre-Dame-des-Landes, nordwestlich der Stadt Nantes, protestiert. Am 17. Januar dieses Jahres verkündete die Regierung des französischen Premierministers Edouard Philippe das endgültige Aus des Projekts. Um den prognostizierten erheblichen Mehrbedarf an Starts und Landungen des Flugbetriebs in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu decken, soll nun der bestehende Flughafen von Nantes für rund eine halbe Milliarde Euro modernisiert werden. Dazu gehört auch die Verlängerung der Start- und Landebahn um 500 Meter.

So süß der Sieg der "Zadistas", wie sie sich nennen, auch schmecken mag, so bitter ist er im Nachgeschmack. Denn nun sollen die in der ZAD (Zone à défendre, z. Dt.: zu verteidigendes Gebiet) gewachsenen Lebens- und Arbeitsstrukturen zerstört und damit der Versuch, alternative Formen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens zu entwickeln und weiterzuentwickeln, ausgelöscht werden.

Den rund 2500 martialisch ausgerüsteten Gendarmen, die mit der Räumung beauftragt wurden, stehen rund 250 Zadistas gegenüber. Wasserwerfer gegen Erdklumpen- und Kuhfladenschleudern, Tränengas-, Blend- und Schockgranaten versus Molotowcocktails, massives Barrikadenräumgerät versus bäuerliche Produktionsmittel zum Barrikadenaufbau. Die beiden Seiten in diesem alternativen Bauernkrieg des 21. Jahrhunderts schenken einander nichts.

Nachdem es schon zu sehr heftigen Auseinandersetzungen kam und die Gendarmen von ihren Vorgesetzten tagelang über Feld, Wald und Wiesen dieser regennassen Knicklandschaft getrieben werden, um der Zadistas habhaft zu werden, werden selbst in den bürgerlichen Medien Stimmen laut, die ein Aussetzen der Räumung, eine Neubesinnung und einen Dialog zwischen den Streitparteien fordern. Allerdings wurde bereits ein großer Teil der von den Zadistas errichteten Wohn-, Gemeinschafts- und Wirtschaftsgebäude von den paramilitärischen Polizeikräften mutwillig zerstört. In anderen Zusammenhängen nennt man das eine Politik der verbrannten Erde.

Auch wenn es sich bei den "rechtsfreien Räumen" um ein bloßes Phantasma des Innenministers handelt, wäre eine andere Lösung des Problems machbar gewesen. Der Staat war nicht gezwungen, eine Machtprobe abzugeben und den Zadistas ein Ultimatum bis zum Frühjahr zu setzen. Da das teilweise enteignete Gebiet für den geplanten Flughafen bereits intensiv genutzt wird - von konventionellen Bauernhöfen der Region bis zu alternativen Ansätzen der Permakultur und des biologischen Anbaus -, hätte sich der Staat ohne Verlust des Ansehens um die Nutzungsfortsetzung auf andere, weniger gewalttätige Weise bemühen können.

Entstanden 2009 auf Anregung der örtlichen Bevölkerung, hatten Menschen die verlassenen Bauernhäuser besetzt und sich nach und nach weitere Wirtschaftsbetriebe aufgebaut. [1] Dabei ist der Unterschied zu konventionellen Bewirtschaftungsformen zwar vorhanden, aber wiederum auch nicht so gravierend. Die ZAD besteht bzw. bestand aus Bäckereien, einer Brauerei, einer Mühle, einem Piratensender, einer Werkstatt für Trecker, diversen Kräuter- und Gemüsegärten, einer Wochenzeitung, einer Bücherei und vielem mehr, das teilweise über das experimentelle Stadium nicht hinausgekommen ist. Aber genau das machte den Reiz der ZAD mit ihren etwa 80 Kollektiven und der Idee der Gemeingüter aus. Wo aber, bitte schön, ist da der Unterschied zu herkömmlichen Dorfgemeinschaften?

2012 hatte es schon einmal einen Räumungsversuch der Behörden gegeben, doch erhielten die Zadistas damals breite Unterstützung. 40.000 Menschen waren angereist und hatten gemeinsam mit der örtlichen Bevölkerung der finalen Räumung insofern erfolgreich widerstanden, als daß sie unverzüglich mit dem Wiederaufbau begannen. Seitdem hat sich die Polizei nicht mehr in der ZAD blicken lassen. Bis Montag, den 9. April., gegen drei Uhr morgens. Seitdem "brennt" La ZAD.

In über 100 Städten Frankreichs wurde gegen die Räumung protestiert, mehrere Stadtverwaltungen wurden besetzt. Auch international schlossen sich zahlreiche Menschen den Protesten an und zeigten ihre Solidarität mit der ZAD. Premierminister Edouard Philippe, Innenminister Collomb und Staatspräsident Macron brächen sich sicherlich keine Zacken aus der Krone, gäben sie den Lebens- und Wirtschaftsformen in der ZAD eine Chance. Sicherlich, wenn die Einstellung der Zadistas um sich greift, ist damit vielleicht kein Staat zu machen. Allerdings kann man sich angesichts der multiplen globalen Krisen - vom Klimawandel über Artenschwund bis zu Bodenverlusten und Versauerung der Meere - fragen, ob nicht die gegenwärtig vorherrschende Staatenordnung einen maßgeblichen Anteil daran hat und eine Abkehr vom favorisierten Produktionsmodell sogar das Gebot der Stunde sein sollte.

Demgegenüber sind auch Gemeingüter bzw. Commons sicherlich nicht die Ultima ratio, aber allein daß sich Menschen innerhalb des EU-Europas des Kapitals und der Konzerne darum bemühen, sich deren Einfluß zu entziehen und etwas anderes zu machen, verdient die volle Unterstützung. Wobei es hier nicht um die unkritische Idealisierung einer "Aussteigerkultur" geht, die von teils gravierenden inneren Widersprüchen geprägt war, wie im vergangenen September im Klimacamp im Rheinland aus erster Hand berichtet wurde [2]. Doch wenn La ZAD eine rechtsfreie Zone ist, wie Collomb behauptet, innerhalb dieser Zone aber gelebt, geliebt und gelitten wird, ohne dabei die Natursysteme auch nur annähernd so zu übernutzen wie beim monokulturellen, auf Leistungszuwachs um jeden Preis favorisierten Agrarmodell der transnationalen Unternehmen, dann ist es an der Zeit, die Voraussetzungen eben dieses Rechts in Frage zu stellen. Ansonsten müßte man annehmen, daß in Frankreich eine Diktatur des Rechts herrscht, das beispielsweise die Profitinteressen kapitalstarker Investoren am Landerwerb höher bewertet als das Nutzungsinteresse alternativer Bewirtschaftungsformen.


Fußnoten:

[1] https://dgrnewsservice.org/resistance/direct-action/occupation/call-for-solidarity-actions-to-end-the-destruction-of-the-zad-of-notre-dame-des-landes/

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0093.html

13. April 2018


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