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LAIRE/277: Agrarwirtschaft - Nitratbelastung ... (SB)



"Eine lokale Konzentration großer Tierbestände stellt ein hohes Risiko für die Umwelt dar, wenn sich die Gülleproduktion nicht mehr im Gleichgewicht mit der Verfügbarkeit von Landflächen und den Bedürfnissen der Pflanzen befindet. Dieses Ungleichgewicht schafft einen Nährstoffüberschuss, von dem ein großer Teil früher oder später ins Wasser oder in die Luft abgegeben wird - wenn die Region ihn nicht exportiert, was teilweise zu zusätzlichem Druck in den Empfängerregionen führen kann."
(EU-Report, zitiert nach Weltagrarbericht [1])

Nach wie vor sind die Nitratwerte des Grundwassers in Deutschland viel zu hoch. Laut dem jüngsten Bericht der EU-Kommission überschritten im Zeitraum 2012 bis 2015 durchschnittlich 28 Prozent der Meßstationen in Deutschland den Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter Wasser. Innerhalb der EU weist einzig Malta höhere Werte auf. Im November 2016 hatte die EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof eine Klage wegen Vertragsverletzung gegen die Bundesrepublik wegen des fortgesetzten Überschreitens der Nitratgrenzwerte eingeleitet.

Die deutsche Regierung unterstützt die Intensivtierhaltung, bei der enorme Mengen an Gülle erzeugt werden. Die flüssigen Tierausscheidungen werden als Dünger auf den Feldern ausgebracht, die jedoch so sehr gesättigt sind, daß die Gülle ins Grundwasser fließt - Hauptquelle für die hohen Nitratwerte sowie für Phosphor. In viehdichten Regionen Deutschlands müssen die Wasserversorger unbelastetes Wasser zu ihrem eigenen dazumischen, damit Menschen beim Wasserkonsum nicht zu Schaden kommen. Zwar betonen die Wasserversorger, daß für das deutsche Trinkwasser keine Gefahr besteht, gleichzeitig mahnen sie jedoch die Einhaltung der Nitratrichtlinie an. Nur eine Schadensfolge von vielen: Wenn sich Nitrat in Nitrit umwandelt und von Säuglingen, Kleinkindern oder Schwangeren aufgenommen würde, könnte das deren Sauerstoffaufnahme beeinträchtigen.

Ökologisch stellen die hohen Güllebelastungen deshalb ein Problem dar, weil der Dünger nicht nur die Pflanzen an Land, sondern auch im Wasser üppig gedeihen läßt. Viel zu üppig. Es entstehen dann Algenblüten, durch die Seen eutrophieren. Dabei läßt der Algenteppich kein Licht in tiefere Seebereiche durch, und bei der Zersetzung abgestorbener Algen wird Sauerstoff verbraucht, auf den die anderen Seebewohner existentiell angewiesen sind, was umgekehrt bedeutet, daß sie sterben. Beispielsweise gelangen in den norddeutschen Bundesländern und Brandenburg große Mengen an Nährstoffen (Phosphor, Stickstoff) in die Fließgewässer und von dort weiter in die Ostsee, in der jedes Jahr Algenblüten auftreten. Das kommt bei den Touristen nicht gut an, und so kollidieren hier die Interessen zweier Branchen, die des Tourismus und die der Landwirtschaft.

Im vergangenen Jahr hat Deutschland seine Düngerverordnung überarbeitet, so daß Gülle und anderer organischer Dünger nur dann aufs Feld ausgebracht werden dürfen, wenn sich die Pflanzen in der Wachstumsphase befinden und das Nitrat aufnehmen können. Außerdem wurde eine Obergrenze für die Düngung festgelegt. Ob und inwiefern sich diese Maßnahmen auf das Grund- und Oberflächenwasser auswirken, läßt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen.

Wenngleich nationale Vergleiche wegen unterschiedlicher Meßmethoden nur begrenzt aussagefähig sind, besteht kein Zweifel daran, daß die Nitratwerte Deutschlands in absoluten Zahlen viel zu hoch sind. Dabei hätte man schon vor langer Zeit die Chance gehabt, das Problem ganz anders anzugehen. Anstatt mit halbherzigen Beschränkungen die Nitratwerte gemächlich nach unten zu drücken, nur um die EU-Bestimmungen ganz knapp einzuhalten, könnte der Gülleflut durch agrarpolitische Maßnahmen an der Quelle entgegengetreten werden, nämlich dort, wo sie herauskommt.

Da ist an erster Stelle die Intensivtierhaltung zu nennen, in der große Mengen an Gülle erzeugt werden. Wobei ein erheblicher Teil des in Deutschland produzierten Fleischs, insbesondere vom Schwein, exportiert wird. Eine Produktionsminderung hätte also keinen nennenswerten Einfluß auf die eigene Versorgung, wohl aber auf die "Versorgung" des Geldbeutels der beteiligten Unternehmen. Darauf hat die Bundesregierung bislang mehr Rücksicht genommen als auf die Einhaltung der EU-Nitratrichtlinie. Dafür nimmt sie sogar hin, daß sie vom Europäischen Gerichtshof mit hohen Strafen belegt wird. Das Urteil wird für nächsten Monat erwartet.

11. Mai 2018


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