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STANDPUNKT/275: Die Schlacht um die Energiewende (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 24 vom 15. Juni 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Die Schlacht um die Energiewende
Umwelt-, Klima- und Energiepolitik vor dem Rio-Klima-Gipfel

von Hans-Peter Brenner



Soll man Peter Altmaier, den neuen Umweltminister und Nachfolger des NRW-Wahlverlierers Röttgen, beneiden oder bedauern?

Beneiden, weil er mit dem unmittelbar bevorstehenden UNO-Klimagipfel in Rio objektiv eine große politische und persönliche Chance serviert bekommt, persönlich an einem entscheidenden Punkt für die internationale Klimapolitik, konkret messbare Ergebnisse zu Gunsten des Umwelt- und Klimaschutzes mitzuentscheiden?

Bedauern, weil er als angeblicher politischer "Allrounder" und "Generalist" über Nacht mit den politisch wie wirtschaftlich sensibelsten und komplexesten Zukunftsentscheidungen über den "Industriestandort Deutschland" zu tun hat, für die jeder Verantwortliche eigentlich das Fachwissen von mehreren akademischen Studien in sich vereinigen müsste?

Aber diese beiden Fragen sind eigentlich nicht nur rhetorisch sinnlos, sondern auch sachlich mehr als fragwürdig. Immer deutlicher wird, dass es weder um fachliche Eignung von Politikern noch um individuelle Neigungen und umweltpolitische Präferenzen geht. Nach der Ruck-Zuck-Abservierung von Norbert Röttgen, dem bis zu diesem Zeitpunkt von der Kanzlerin selbst in den allerhöchsten Tönen die allerhöchsten umweltpolitischen Kompetenzen angedichtet worden waren, steht eines auf jeden Fall fest: Umwelt- und Klimapolitik ist dem Primat der Ökonomie so massiv unterworfen, dass selbst der größte Naivling es spätestens jetzt merken müsste.

Es geht um knallharte Interessen vor allem der deutschen Energie- und Stromkonzerne, es geht um Milliarden Euro und um sonst nichts. Im Moment geht es unmittelbar vor dem UNO-Klimagipfel in Rio sowohl in der BRD als auch im Rahmen der EU um beinharte Entscheidungen, bei denen die deutschen und europäischen Energiemonopolisten auf Biegen und Brechen die Weichenstellungen für die künftigen Energieversorgungsstrukturen im europäischen Wirtschaftsgroßraum neu ausrichten.

Und da ist Altmaier als Vertreter der Hauptpartei des Großkapitals; derzeit beurlaubter Beamter der EU und langjähriger, in verschiedenen europapolitisch ausgerichteten Wirtschaftsorganisationen tätiger Lobbyist, genau "der Richtige". Altmaier ist - so "wikipedia" - einer der wenigen EU-Beamten in der deutschen Politik. Er war Mitglied im Europaausschuss des deutschen Bundestages und stellvertretendes Mitglied im Europäischen Verfassungskonvent.

Im Bundesinnenministerium hatte er als Parlamentarischer Staatssekretär auch Vertretungsbefugnis in europapolitischen Fragen. Von 2004-2008 war Altmaier Vizepräsident des Netzwerks Europäische Bewegung Deutschland. Von Dezember 2006 bis November 2011 war Altmaier Präsident der überparteilichen Organisation Europa-Union Deutschland.

Auf deutscher wie auf europäischer Ebene stoßen sich die Konzepte der mehr auf einen "grünen Kapitalismus" und "nachhaltiges Wachstum" setzenden Kapitalkreise mit den eher ganz "ordinären" auf Umsatz und permanentes Wachstum und ständig zunehmenden Energieverbrauch setzenden Energiemonopolisten, denen es mehr um (wie man früher gesagt hätte) "die schnelle Mark" geht.

Der WDR-Wirtschaftsexperte Döschner sprach dieser Tage davon, dass die Energiepolitik "die Schicksalsfrage des 21. Jahrhunderts" sei und dass die "Beharrungskräfte" in den Zentralen der Energieriesen wie RWE und EON, die sich in der Vergangenheit massiv für die Laufzeitverlängerung der AKW eingesetzt haben, stark genug seien, den offiziell verkündeten Ausstieg aus der Atomenergie massiv zu sabotieren.

Die Zweifel, dass die sogenannte "Energiewende scheitern könne", seien nicht unberechtigt. Ganz offen hat vergangene Woche Hans-Peter Keitel, Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) nach einer Präsidiumssitzung dieser Stabsstelle des deutschen Monopolkapitals die Gründung eines eigenen "Kontrollzentrums für die Energiewende" verkündet.

"Jetzt redet die Industrie" - nach diesem Motto soll das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) das Know-how für diese vom Großkapital bestimmte Ausprägung der Energiepolitik der Zukunft in Form von "Indikatoren" für die Energiewende liefern. Anhand dieser Vorgaben sollen dann das Energiewirtschaftliche Institut der Uni Köln und die halbstaatliche Deutsche Energie-Agentur (Dena) eine "Trendstudie" verfassen. Ausgehend von den Entwicklungen am Strommarkt soll sie klären, ob die Abschaltung des letzten Atomkraftwerks 2022 eine Lücke reißt oder nicht.

Unabhängig davon soll die Boston Consulting Group eine Prognose erstellen, was die Energiewende über 2030 hinaus, für den Standort Deutschland bedeutet. Im Herbst werden diese " Erkenntnisse" in einen 'Energiewendekongress' des BDI münden.

"Rein zufällig" gab fast zeitgleich der Energiekonzern Vattenfall bekannt, dass er das Internationale Schiedsgericht (ICSID, mit Sitz in den USA) anrufen werde, um die Bundesregierung wegen ihrer Energiewende zu verklagen. Pikanter Weise ist das ICSID eine Unterabteilung der Weltbank. Und just am gleichen Tag legte auch der Strom-Großabnehmerverband VIK Daten einer nicht repräsentativen Umfrage vor, wonach die Anzahl der "Versorgungsstörungen" in der Industrie im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel zugenommen habe. Danach fürchteten 40 Prozent der Befragten eine Verschlechterung der Versorgungsqualität. Und wiederum "rein zufällig" legte die Dena zusammen mit der Unternehmensberatung Ernst & Young erstmals den sogenannten 'Dex', den Deutschen Energiewende-Index, vor. In ihm sollen künftig Unternehmen einmal je Quartal zu ihren Einschätzungen rund um die Stromversorgung befragt werden. Die erste Befragung brachte vor allem Unzufriedenheit mit den rechtlichen Rahmenbedingungen ans Licht, insgesamt aber eine eher neutrale Bewertung.

Was in Sachen Energiepolitik und Energie"wende" genehm und akzeptabel ist, das entscheiden die Energiekonzerne selbst - so auf jeden Fall hätte das Großkapital es gern festgeschrieben.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 15 vom 15. Juni
2012, Seite 7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2012