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STANDPUNKT/443: Prognosen zur Stromerzeugung in Deutschland im Vergleich zur "Leitstudie 2010" (Sigismund Kobe)


Jahresprognose 2013 und Mittelfristprognose bis 2020 zur Stromerzeugung in Deutschland
und Vergleich mit den Vorgaben der "Leitstudie 2010"

von Sigismund Kobe (Stand: 01.07.2013)



Unter dem Begriff "Energiewende" wurde von der Bundesregierung eine weitreichende Umstellung der Energiewirtschaft in Angriff genommen. Konkrete Ziele orientieren sich an einer "Leitstudie 2010" [1], die einen Zeitrahmen bis 2050 umfasst. In diesem Zusammenhang wurden mittelfristig wichtige Teilziele formuliert, z.B. soll der Anteil sogenannter "erneuerbarer Energien" (EE) an der Bruttostromerzeugung am Ende des Jahres 2020 mindestens 35 % betragen und zwei Jahre später sollen die letzten der derzeit noch stromproduzierenden 9 Kernkraftwerke endgültig außer Betrieb genommen werden.

Der Stand der Umsetzung der genannten Ziele bis 2011 wurde in einem ersten Monitoring-Bericht der Bundesministerien für Wirtschaft und Technologie sowie für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit "Energie der Zukunft" [2] analysiert. Dieser Bericht wurde von einer unabhängigen Expertenkommission begutachtet [3].

Die vorliegende Studie bezieht aktuelle Daten bis 30. Juni 2013 in die Analyse ein. Verwendet wurden Angaben zur Bruttostromerzeugung in Deutschland von 1990 bis 2012 nach Energieträgern (Stand. 14. Februar 2013) [4] sowie Daten der EEX Strombörse [5], die durch das Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme ISE in Freiburg zeitnah ausgewertet werden [6]. Als Kenngröße wird die erzeugte Elektroenergie pro Jahr benutzt. Die Jahresprognose für 2013 für die Stromproduktion von Wind- und Fotovoltaik-Anlagen erfolgt auf der Grundlage von Daten für das 1. Halbjahr 2013. Details der Datenanalyse werden im Anhang A diskutiert.

In Abb. 1 werden die Energiedaten für die Gesamtproduktion von Windstrom, der off-shore-Anteil von Windstrom sowie Fotovoltaik für die Jahre 2010-2013 den entsprechenden Daten gemäß den Szenarien der Leitstudie [1] (Tab. 10-7, S. 191f.) für die Jahre 2010-2022 gegenübergestellt. Weiterhin ist der zusätzliche Bedarf an grundlastfähiger Elektroenergie aufgrund des geplanten Abschaltens von 9 Kernkraftwerken bis 2022 angegeben (Daten gemäß [7]).

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine detaillierte Mittelfristprognose zum 31.12.2020 nicht möglich. Jedoch ist absehbar, dass - insbesondere durch den Rückstand bei off-shore-Windenergieanlagen - der Wert von 108 TWh Windstrom nicht mehr erreicht werden kann. Im Gegensatz dazu liegen die Planziele für Fotovoltaik-Strom (43,9 TWh) im realisierbaren Bereich, obwohl voraussichtlich nach Erreichen der Deckelungswertes von 52 GW für die Fotovoltaik-Förderung etwa im Jahre 2017 der weitere Anstieg etwas flacher ausfallen wird.

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Abb. 1. Anteil von Windenergie, Fotovoltaik und off-shore-Wind an der Stromerzeugung in Deutschland von 2010 bis 2013 (in TWh/a) sowie Prognose entsprechend der Szenarien der Leitstudie [1] für 2010 bis 2022. Außerdem ist der Strombedarf nach Ausstieg aus Kernkraftwerken angegeben. Der Gesamtstrombedarf in Deutschland beträgt ca. 600 TWh/a; 2013*: Hochrechnung aus den Werten für das 1. Halbjahr 2013 (s. Text).

Auch unter der optimistischen Annahme, dass die Anteile von Stromerzeugung mittels Biomasse (49,5 TWh) und Wasserkraft (22,2 TWh) sich so entwickeln wie in der Szenarien der Leitstudie vorgesehen, kann man aufgrund der Daten von Abb. 1 einen Anteil der EE an der Bruttostromerzeugung von höchstens 30 ... 32 % im Jahre 2020 erwarten.

In den Szenarien der Leitstudie nimmt die Stromerzeugung durch Windenergie eine herausgehobene Stellung ein. 2020 soll deren Anteil an der Stromerzeugung durch EE 48 % betragen, eine Steigerung auf 51 % im Jahre 2030 ist vorgesehen. Es ist zu beachten, dass bei Nichterreichen dieser Zielwerte für Windstrom eine Kompensation durch andere EE-Träger nicht möglich sein wird. Ein Ersatz durch Biomasse muss verworfen werden, da diese Energieform nicht zu den "erneuerbaren Energien" im engeren Sinne gehört: Im Gegensatz zu Wind, Sonne und Wasser steht Biomasse nicht unmittelbar am Generator zur Verfügung, sondern muss unter nicht unerheblichem Einsatz von nicht-erneuerbaren Energieträgern - zumeist fossilen Ursprungs wie Benzin und Diesel - z.B. auf landwirtschaftlichen Nutzflächen erzeugt und dann transportiert werden. Biomasse macht z.Z. 26 % der EE-Anteile für die Stromproduktion aus.

Das größte Problem besteht jedoch nicht in dem summarischen Beitrag der EE an der Stromproduktion, sondern betrifft die voraussichtlich auch 2020 noch nicht vorhandenen Möglichkeit, diesen Strom in ausreichender Menge zu speichern. Es ist noch offen, ob es gelingt, chemische Verfahren der Stromspeicherung bis zu diesem Zeitpunkt großtechnisch umzusetzen. Nach Wegfall von 3 Kernkraftwerken ist es erforderlich, Speicherkapazitäten in beträchtlichem Umfang für wind- und sonnenarme Perioden vorzuhalten. Diese müssen außerdem mit einer Leistung von bis zu 4 GW abrufbar sein. Ansonsten wäre man gezwungen, auf fossile Energieträger extra für solche Fälle zurückzugreifen. Eine derart hohe Speicherkapazität entspricht etwa der von 4 Pumpspeicherwerken in der Größe des größten derzeit in Deutschland vorhandenen in Goldisthal (Elektrische Leistung: 1,06 GW, Speicherkapazität: 8,4 GWh) und wäre nach 8 Stunden erschöpft. Aus dem Kurvenverlauf ist zu erkennen, dass zwischen 2020 und 2022 noch einmal das Doppelte dieses Bedarfs - und damit insgesamt auch eine Leistung von bis zu 12 GW - ständig verfügbar sein muss, um die bis 2022 weggefallenen Kapazitäten weiterer 6 Kernkraftwerke zu kompensieren. Da bei jeder Form von Speicherung auch die Zeiten für die Ladezyklen mit berücksichtigt werden müssen, erweist sich die Forderung nach ständiger Verfügbarkeit als begrenzender Faktor bei der Umsetzung der in der Leitstudie [1] formulierten Ziele. Der quantitative Aspekt des Speicherbedarfs wird in anderen Szenarien, z.B. in der Mittelfristprognose im Auftrag der Netzbetreiber vom November 2012 [8], nicht berücksichtigt.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass durch die Analyse aktueller Kenngrößen wie "jährliche Stromproduktion" und "Speicherbedarf" ein Neuordnen der Prioritäten bei der Umsetzung der Ziele der Energiewende nahegelegt wird.


Anhang A:
Zur Datenermittlung der Prognose von PV- und Wind-Stromertrag für 2013:

Die für 2013 ermittelten Werte der Stromproduktion (Abb. 1, 2013*) beruhen auf den Energiedaten der EEX Strombörse für das 1. Halbjahr 2013. In den 181 Tagen vom 01.01. bis 30.06.2013 wurden 14,3 TWh PV-Strom erzeugt. Unter der Annahme, dass dies gerade 181/365 = 49,6 % des Jahreswertes sind, kann man von 28,8 TWh für das ganze Jahr 2013 ausgehen. Zur Genauigkeit dieser Angabe können keine statistischen Daten erhoben werden, da Vergleichswerte nur für 2011 und 2012 vorliegen. Die Verteilung der Erträge bei PV-Strom unterliegt im Jahresverlauf keinen größeren Schwankungen. Das Maximum wird um die Jahresmitte erreicht und der Hauptbeitrag kommt von den Monaten Mai bis August. Legt man die Jahresgänge von 2011 und 2012 zugrunde, so wurden in den ersten 6 Monaten jeweils 50,7 % (2011) bzw. 51,6 % (2012) erreicht. Bezogen auf diese beiden Jahresgänge wäre analog für 2013 ein Stromertrag von 28,2 TWh bzw. 27,7 TWh erreichbar. Eine grobe Abschätzung für PV-Strom ergibt demnach empirisch einen Ertrag, der zwischen 27,5 und 29,5 TWh liegen wird.

Bei der Prognose für den Wind-Stromertrag muss dagegen mit stärkeren Schwankungen um den Mittelwert gerechnet werden. Die Analyse nach dem mittleren (49,6 %-) Konzept ergibt einen Erwartungswert von 45,2 TWh (Abb. 1, 2013*). Die Jahresgänge von 2011 (viel Wind im 2. Halbjahr, Ertrag im 1. Halbjahr: 45,6 %) und 2012 (viel Wind im 1. Halbjahr, Ertrag im 1. Halbjahr: 53,9 %) unterscheiden sich und würden für 2013 zu einer Prognose von Werten zwischen 49,1 TWh (entsprechend 2011) bzw. 41,6 TWh (entsprechend 2012) Anlass geben. Eine grobe Abschätzung für Strom aus Windenergieanlagen ergibt demnach empirisch einen Ertrag, der zwischen 44 und 50 TWh liegen wird.


Quellenangaben:

[1] Langfristszenarien und Strategien für den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland bei Berücksichtigung der Entwicklung in Europa und global: "Leitstudie 2010" (Stand: 01.02.2011)
http://www.bmu.de/fileadmin/bmu-import/files/pdfs/allgemein/application/pdf/leitstudie2010_bf.pdf

[2] Erster Monitoring-Bericht "Energie der Zukunft" (Stand: Dezember 2012)
http://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/MonitoringEnergiederZukunft/Monitoring-Bericht%20Energie%20der%20Zukunft%202012.pdf?__blob=publicationFile&v=1

[3] Expertenkommission zum Monitoring-Prozess "Energie der Zukunft", Dez. 2012
http://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/MonitoringEnergiederZukunft/StellungnahmederExperten2012.pdf?__blob=publicationFile&v=1

[4] Bruttostromerzeugung in Deutschland von 1990 bis 2012 nach Energieträgern (Stand: 14.02.2013)
http://ag-energiebilanzen.de/viewpage.php?idpage=65

[5] EEX Strombörse
http://www.transparency.eex.com/de/daten_uebertragungsnetzbetreiber/stromerzeugung/tatsaechliche-produktion-solar
http://www.transparency.eex.com/de/daten_uebertragungsnetzbetreiber/stromerzeugung/tatsaechliche-produktion-wind

[6] B. Burger, Stromproduktion aus Solar- und Windenergie
http://www.ise.fraunhofer.de/de/daten-zu-erneuerbaren-energien

[7] Kernkraftwerke in Deutschland
http://www.kernenergie.de/kernenergie/themen/kernkraftwerke/kernkraftwerke-in-deutschland.php

[8] r2b energy consulting GmbH, Jahresprognose 2013 und Mittelfristprognose bis 2017 zur deutschlandweiten Stromerzeugung aus EEG geförderten Kraftwerken (10.11.2012)
http://www.r2b-energy.eu/uploads/pdf/publikationen/r2b_EEG_Mifri_Prognose_10112012.pdf

(alle web-Seiten wurden abgerufen am 02.07.2013)


Prof. Dr. Sigismund Kobe, TU Dresden, Institut für Theoretische Physik

Erstveröffentlicht:
QUCOSA, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa-119334

*

Quelle:
© 2013 by Sigismund Kobe
TU Dresden, Institut für Theoretische Physik
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2013