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STANDPUNKT/511: Suffizienz - Weniger ist mehr (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 4/2013
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Weniger ist mehr

von Angelika Zahrnt



»Deutschland im Kaufrausch - die Deutschen kaufen so gerne ein wie seit Jahren nicht mehr!« Dies ging zum Herbstbeginn durch die Medien. Falls Sie derartige Meldungen auch künftig ohne Vorbehalt aufnehmen wollen, lesen Sie bitte auf Seite 24 weiter. Sollte der Jubel der Konsumforscher Sie eher skeptisch stimmen, wird Sie unser Titelthema bestärken.

»Weniger ist mehr« - das umschreibt, was Fachleute unter »Suffizienz« verstehen (von lat. sufficere = ausreichen). Gemeint ist das Streben nach dem rechten Maß; nach einem möglichst geringen Rohstoff- und Energieverbrauch im Sinne von »Gut leben statt viel haben«. Als Erdbewohner mit vergleichsweise verschwenderischem Lebensstil kommen wir nicht umhin, langfristig weniger zu konsumieren.


Die Politik irrt im Glauben, dass unser übergroßer Hunger nach Energie und Rohstoffen allein durch eine »grüne« Wirtschaft gemäßigt werden kann. Sie muss es uns leichter machen, nachhaltige Lebensstile zu praktizieren - findet die Ehrenvorsitzende des BUND, Angelika Zahrnt.

Kleider nur noch secondhand? Alternative Lebensentwürfe ohne Auto oder Plastik? Die individuellen Wege zu einem ökologisch und sozial verantwortbaren Lebensstil sind vielfältig. Diese Selbstversuche bergen Klippen und Konflikte, erst recht, wenn die ganze Familie mitziehen soll. Sie sind heute auch literarisch dokumentiert, wahlweise ernsthaft reflektierend oder lustvoll karikierend. Reihenweise helfen uns Ratgeber, umweltfreundlich zu wohnen, zu kochen oder zu reisen und uns im Dschungel öko-fairer Gütesiegel zurechtzufinden. Es fehlt nicht an nachdenklich-philosophischen Büchern und Erfahrungsberichten, wie ein Weniger an Konsum das Leben bereichern kann. Dies bestätigt auch die neuere Glücksforschung. So weit, so positiv.

Doch ob wir in Fußgängerzonen und Shoppingmalls blicken oder in Statistiken über Konsum und Ressourcenverbrauch - das Resultat ist ernüchternd: All die individuellen Ansätze tangieren die Konsumgesellschaft nicht wesentlich und führen kaum zu ökologischer Entlastung. Gegen den (Konsum-)Strom schwimmen kann beleben, auf Dauer auch anstrengen - doch zum Massensport wird es nicht. Ob individuelle Strategien, Gemeinschaftsprojekte oder lokale Initiativen, die herrschende Konsumorientierung scheinen sie nicht ändern zu können.


Warum Effizienz nicht reicht
In der politischen Diskussion dominiert derzeit die Vorstellung, dass vor allem eine »grüne« Wirtschaft zu nachhaltiger Entwicklung führe: mit erneuerbarer statt fossiler Energie, pflanzlichen statt fossilen und mineralischen Rohstoffen, mit der effizienteren Nutzung von Energie und Ressourcen bei der Herstellung sowie mit effizienteren Produkten.

Doch die Rechnung geht nicht auf. Ein Beispiel: Viel Hoffnung galt dem Einsatz von Biomasse zur Energiegewinnung und als Beimischung im Benzin. Doch der massive Anbau von Energiepflanzen wie Mais und Raps hat die Artenvielfalt auf unseren Feldern stark verringert. Und auf der Südhalbkugel fielen dem Anbau wertvolle Wälder zum Opfer, wie auch Felder, die bisher zur Ernährung dienten. Erst spät hat die Politik die fatalen Folgen des Booms für Natur, Klima und Ernährung erkannt und steuert nun mühsam um. Einmal mehr haben uns die ökologischen Grenzen eingeholt.

Produkte nur effizienter zu machen, reicht aus einem anderen Grund nicht aus: Nach technischen Neuerungen, die die Umwelt entlasten, ändern wir unser Verhalten oft so, dass der Effekt wieder zunichte wird. Ein Beispiel: Spritarme Autos können dazu verführen, mehr zu fahren. Und sparsamere Kühlschranke dazu, ein zwei Nummern größeres Modell anzuschaffen und das alte (das ja noch funktioniert) als Reserve im Keller laufen zu lassen. Was im Einzelfall harmlos erscheint, vermag in der Summe die technisch erreichte Entlastung zu konterkarieren.


Die Politik ist gefragt
Daher gehören Effizienz und Suffizienz zusammen. Wir benötigen umweltverträglichere Produkte und Dienstleistungen - und einen klugen Umgang mit ihnen. Unsere Wirtschaftspolitik muss Produktions- und Konsummuster fördern, die auch bei globaler Verbreitung die Erde nicht überstrapazieren.

Die Kritik an der Konsum- und Wegwerfgesellschaft ist so alt wie sie selbst. Genauso alt sind die Appelle für einen anderen Lebensstil, für Maßhalten und Begrenzung. Doch diese Appelle finden nur wenig Resonanz, solange die Politik auf Wachstum schwört und der Konsum ihr als Motor dient. Auch dies ruft nach einer Politik, die neue Rahmenbedingungen schafft: damit »Einfacher leben« einfacher wird und unser Lebensstil nicht die ökologischen Grenzen sprengt.


Konkret werden
Eine Politik der Suffizienz kann zunächst einmal gezielt gegen Konsum und Verschwendung vorgehen. Etwa indem sie die Werbung einschränkt, die uns täglich belästigt - morgens mit zugeklebten Fenstern im Bus, abends mit Unterbrechungen im Fernsehen. Wirksam wäre auch, das Dienstwagenprivileg abzuschaffen; denn beim Dienstwagen zählt der Spritverbrauch wenig, die Pferdestärken umso mehr. Sechs von zehn deutschen Neuwagen werden als Dienstwagen zugelassen!

Lohnen würden sich zudem Gesetze, die Firmen schärfer und länger für die Haltbarkeit ihrer Produkte haftbar machen.

Sodann muss die Politik auch den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmen anpassen. Eine ökologische Steuerreform verteuert den Verbrauch natürlicher Ressourcen und vergünstigt zugleich den Faktor Arbeit. Damit fördert sie eine umweltverträgliche Produktion und macht Dienstleistungen (wie die Reparatur einer Waschmaschine) lukrativer. Zudem unterstützt sie die Regionalisierung und bekämpft den umweltschädlichen Transportwahn.

Ein anderer langer Hebel, um individuelle Lebensstile zu beeinflussen, ist der Arbeitsmarkt. Denn wird die Teilzeitarbeit steuerlich bevorzugt und in der Sozialversicherung besonders berücksichtigt, hilft dies die Arbeitszeiten zu verkürzen. Das würde Menschen mehr Freiraum für die Eigenversorgung sowie für Gemeinschaftsinitiativen und Freizeit eröffnen und als Gegengewicht zur Konsumorientierung wirken.


Selbstmachen statt konsumieren
In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Unterschiede bei Einkommen und Vermögen deutlich vergrößert. Diese durch eine geeignete Steuerpolitik wieder zu verringern, ist ein sozial- wie umweltpolitisches Gebot. Tatsächlich gibt es empirische Hinweise, dass sozial ausgeglichenere Gesellschaften weniger am Konsum orientiert und offener für Veränderungen sind.

Schließlich sollten kommunale und regionale Strukturen ein »ressourcen-leichteres« Leben erlauben, das sich weniger an individuellem Güterbesitz ausrichtet. Dazu zählt, dass möglichst viele Menschen möglichst ganz ohne Auto mobil sein können. Dazu zählen auch frei zugängliche Einrichtungen für Kultur und Sport wie öffentliche Büchereien oder Trimm-dich-Pfade, Biker-Anlagen etc. Gefragt sind ferner Bildungsangebote, die nützliches Wissen und Können vermitteln: zum Selbermachen, Reparieren oder Gärtnern. Auch an Gemeinschaftsprojekten wie Carsharing, Nachbarschaftsgärten und Mehrgenerationenhäusern kann eine Suffizienzpolitik vor Ort ansetzen.


Abschied vom Wachstum
Suffizienz klingt gut - und gefährlich. Manchen Politikern dürfte schwanen, dass sich die Sonntagsreden von der Genügsamkeit am Montag in weniger Umsatz niederschlagen und damit zu weniger Wachstum führen könnten. Aber die Politik sollte sich ohnehin nicht weiter am Wachstum von Gütern und Dienstleistungen ausrichten - sondern an Wohlergehen, sozialem Ausgleich und dem Schutz natürlicher Lebensgrundlagen. Unsere Politiker sollten sich damit auseinandersetzen, wie diese Ziele in einer Wirtschaft ohne Wachstum erreicht werden können.

Derzeit ist die aktuelle Politik weit von diesen Gedanken entfernt. Sie bemüht sich und hofft darauf, das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln. Aber die Skepsis, ob dies gelingt und ob dies erstrebenswert ist, wächst - auch in der Politik. Die Enquetekommission »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität« des Deutschen Bundestags ist ein Indiz dafür.

Den politischen Wandel - weg vom Wirtschaftswachstum und hin zu einer Suffizienzpolitik - muss ein gesellschaftlicher Wandel vorbereiten und begleiten.

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Was der BUND beiträgt

Schon in den 1970er-Jahren kritisierte der BUND Wachstumspolitik und Verschwendung. Einen sparsamen Umgang mit Energie, Ressourcen und Fläche zu fordern, ist ein Kern unserer politischen Arbeit. Ebenso die Überzeugung, dass dazu nicht nur technische Verbesserungen, sondern auch ein kultureller Wandel und veränderte Lebensstile gehören. So hat der BUND mit »Misereor« und »Brot für die Welt« 1996 und 2008 Studien zu einem »zukunftsfähigen Deutschland« in Auftrag gegeben. Die Debatte um globale, generationsübergreifende Verantwortung und neue Konsum- und Lebensstile erreichte so eine breite Öffentlichkeit.

Für den BUND ist Suffizienz also kein neues Thema. Als unabhängiger Umweltverband können wir die Diskussion um eine suffizientere Verkehrs-, Agrar- oder Abfallpolitik voranbringen. Wir können neue Konzepte entwickeln und Visionen wagen, die Alternativen zum »Weiter, schneller, mehr« in Projekten konkretisieren und im eigenen Umfeld stilprägend sein. Anstatt zu resignieren (»There is no alternative«), können wir Mut machen: Eine andere Welt ist möglich!

[in Anlehnung an das Kapitel »Zivilgesellschaft« im unten vorgestellten Buch]

Die Ehrenvorsitzende des BUND, Angelika Zahrnt, hat gemeinsam mit Uwe Schneidewind ein Buch zum Thema geschrieben. Es ist Anfang November unter dem Titel »Damit gutes Leben einfacher wird« im oekom-Verlag erschienen.

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Quelle:
BUNDmagazin 4/2013, Seite 12 - 14
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2013