Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → MEINUNGEN


STANDPUNKT/1029: Lebendige Flüsse für Europa (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2018

Nachhaltig und sozial?
Umwelt- und Entwicklungspolitik in Zeiten wachsender Ungleichheit

Lebendige Flüsse für Europa
Aufhören mit der subventionierten Unvernunft wäre ein guter Anfang für unsere Gewässer

von Tobias Schäfer


Der gute Zustand der Gewässer ist seit dem Jahr 2000 das zentrale Ziel der Wasserpolitik der Europäischen Union (EU). Man kann dieses Ziel erreichen. Dazu muss man auch nicht die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) ändern, sondern endlich aufhören, die Überdüngung, Verschmutzung und Zerstörung der Gewässer zu subventionieren. Merke: Schuld ist die Agrarpolitik. Aber es gibt auch noch andere.


Unsere Gewässer sind bedroht. Arg bedroht sogar: Nur 7 Prozent der Flüsse in Deutschland sind in einem "guten ökologischen Zustand", ein gutes Drittel wird als "unbefriedigend" eingestuft, 20 Prozent gar als "schlecht", so die zusammenfassende Bilanz des Umweltbundesamtes für das Jahr 2015. Das Grundwasser ist auf knapp einem Drittel der Landesfläche so stark mit Nitrat belastet, dass der Trinkwassergrenzwert überschritten ist. Was geht hier vor?

Ganz offenbar hat bislang der Wille gefehlt, dem Schutz unseres kostbarsten Lebensmittels und des Lebenselixiers unseres Planeten endlich klare politische Priorität zu verleihen. Stattdessen subventionieren wir die Überdüngung der gesamten Landschaft, pumpen Unsummen in die Kanalisierung von Flüssen, auch wenn - wie auf der Elbe - quasi kein Schiff in Sicht ist, und unterstützen für ein paar Watt Wasserkraft die Verstümmelung unserer Bäche und Flüsse und das millionenfache Schreddern von Fischen bis zu ihrer Ausrottung. Es ist höchste Zeit, sich daran zu machen, diesem Unsinn entgegenzutreten. Es muss endlich darum gehen, die guten Ziele unserer gemeinschaftlichen Wasserpolitik auch wirklich zu verfolgen - aus Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen und für die Zukunft unserer Gewässer.


Sauberes Wasser in Gefahr

Sauberes Wasser und gesunde Flüsse sind nicht verhandelbar, sondern öffentliches Gut und Gemeinwohlanliegen. Angesichts des dramatischen Einbruchs der aquatischen Biodiversität in Europa darf es in der Wasserpolitik nicht allein um den Schutz der Wasserressourcen, es muss zugleich immer um den Schutz von Flora, Fauna und natürlichen Prozessen in unseren Flüssen, Seen und Küstengewässern gehen. Die WRRL bietet hierfür als EU-weit gültiges Gesetzeswerk seit ihrem Inkrafttreten im Jahr 2000 eine geeignete Basis. Ihre zentralen Ziele: Der "gute Zustand" in Hinsicht auf ökologische und chemische Qualität bei Oberflächengewässer (beim Grundwasser in Hinsicht auf chemische Qualität und Menge) sowie das Verschlechterungsverbot. Der wegweisende Ansatz des Flussgebietsmanagements über nationale Grenzen hinweg wird zu Recht aus aller Welt bestaunt. In der Praxis werden die Ziele des Gewässerschutzes jedoch eklatant verfehlt.

Es geht dabei aber nicht allein um Aufgaben der Wasserwirtschaft. Nur wenn wir den Gewässerschutz endlich als Querschnittsaufgabe verstehen, können wir den Artenverlust in Flüssen, Bächen und Seen stoppen und auch in Zukunft auf sauberes Wasser zurückgreifen.

18 Jahre nach dem Inkrafttreten der WRRL unterzieht die Europäische Union ihre Wasserpolitik einer Überprüfung. Ein sogenannter "Fitness-Check" der einschlägigen Richtlinien soll zeigen, ob die Ziele des Gewässerschutzes für die Flora, Fauna und Ökologie der Binnen- und Küstengewässer, für die chemische und mengenmäßige Qualität der Wasserressourcen und die Ziele für ein nachhaltiges Wassermanagement erreicht wurden: Ist die gegenwärtige Wasserpolitik in der Lage, den angestrebten "guten Zustand" der Gewässer zu erreichen oder nicht?

Von September bis Dezember 2018 ruft die EU-Kommission die BürgerInnen aller Mitgliedstaaten auf, sich an einer öffentlichen Konsultation zur Zukunft der Wasserpolitik zu beteiligen.

Die europäische Verbändekoalition Living Rivers Europe setzt sich dafür ein, den dramatischen Rückgang der biologischen Vielfalt in den Gewässern aufzuhalten und die vor knapp 20 Jahren in der WRRL formulierten Umweltziele für die Gewässer endlich ernstzunehmen. Denn auch wenn wir noch weit entfernt davon sind, sie zu erreichen: Diese Ziele bleiben richtig.


Gewässerschutz ist Querschnittsaufgabe

Wo stehen wir im Jahr 2018? Bei allen bemerkenswerten Erfolgen im Einzelnen ist auch in Deutschland das Erreichen der Ziele die Ausnahme. Zudem fehlen noch immer klare Vorstellungen davon, welche Maßnahmen ganz konkret notwendig wären, um den guten Zustand in den einzelnen Gewässern zu erreichen. Ohne diese Grundlage kann weder sinnvoll geplant werden, noch kann der Fitness-Check zu einem soliden Ergebnis kommen.

Entscheidend für das beständige Verfehlen der Ziele ist aber in allererster Linie, dass es bislang nicht gelungen ist, diese Ziele auch in anderen Politikbereichen zu verankern. Und zwar in denjenigen, die den größten Schaden an und in den Gewässern anrichten, allen voran Landwirtschaft, Energie, Schifffahrt und Bergbau.

Bestes Beispiel: Die Bundesrepublik Deutschland steht völlig zu Recht in Straßburg vor Gericht, weil die Agrarpolitik seit mehr als einem Vierteljahrhundert eine wirksame Düngegesetzgebung verhindert. Die 'Richtlinie zum Schutz der Gewässer vor der Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen' (Nitrat-Richtlinie), die von der Regierung Kohl 1991 mitbeschlossen wurde, ist immer noch nicht umgesetzt. Gegen ein derartiges Regelungsdefizit im Ordnungsrecht kann keine wasserwirtschaftliche Maßnahme anstinken. Zumal, wenn diese Maßnahmen wie bislang fast ausschließlich auf das Prinzip der Freiwilligkeit setzen.

Mit rund 59 Milliarden Euro jährlich ist die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der mit Abstand größte Haushaltsposten der EU - und kaum jemand redet darüber. Während die Agrarlobby und ihre Industrie die Öffentlichkeit gekonnt an der Nase herumführen, stellt eine verfehlte Politik das VerursacherInnenprinzip auf den Kopf. Die GAP ist der GAU für unsere Gewässer: Nitrat im Grundwasser, Ackergifte und Gülle in Gewässern, Bodenerosion und Sedimenteintrag, Lebensraumzerstörung vom Ufer bis ins Bachbett - wir subventionieren die horrende Umweltbelastung durch die industrielle Landwirtschaft mit Unsummen. Hier kann man nur von Politikversagen sprechen. Keiner kann sich leisten, dass es auch nach der nächsten Agrarreform wieder "Weiter so!" heißt. Wir brauchen eine Wende hin zu einer gewässerverträglichen Landwirtschaft, die ihre eigenen natürlichen Produktionsgrundlagen erhält.

Aber auch andere Wirtschaftsbereiche wie etwa die "Biogas"-Erzeugung, der Bergbau oder die Energiewirtschaft werden bisher von einer stringenten Verpflichtung zum Gewässerschutz ausgenommen, während die Gesellschaft die Zeche zahlt, etwa durch höhere Trinkwasserpreise.

Vom Verschlechterungsverbot, einem der zentralen Inhalte der WRRL, gar nicht zu reden. Wasserkraft zerstört das Wesen der Fließgewässer. Zwangsläufig. Ein Fluss ist ein Fluss und keine Kaskade von Karpfenteichen. Egal, wie oft wir die Mär vom Ökostrom noch hören müssen: Es ist nichts Grünes an einer Turbine im Fluss, und eine Staumauer ist der Grabstein für die dem Fluss eigene Dynamik. Wie kann es sein, dass dieser Irrsinn bei uns über eine Umlage gefördert wird, die jeder Stromkunde zahlen muss? Wasserkraft können wir uns sparen. Die über 7.300 kleineren Wasserkraftwerke (kleiner als 1 Megawatt) in Deutschland decken alle zusammen ein halbes Prozent (!) des Strombedarfs. Wie das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in seinem Dossier zur letzten Bundestagswahl konstatiert, sind diese Anlagen ein Hauptgrund dafür, dass die Umweltziele für Fließgewässer verfehlt werden. Dabei sind sie für Energiewende, Netzsicherheit und Energiemix bedeutungslos. Abriss und Renaturierung wären öffentliches Geld wert, nicht Weiterbetrieb. Staudammrückbau passiert längst, in den USA, in Frankreich und anderswo: Turbinen aus, Kraftwerke raus, lasst die Flüsse wieder fließen.


Wo es um Wasser geht, geht es ums Ganze

Die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten müssen nun deutlich machen, wie eine wirkungsvolle Umsetzung ihrer Wasserpolitik aussehen soll. Pläne und Maßnahmenprogramme, Ordnungsrecht und ökonomische Anreize sind grundsätzlich die richtigen Instrumente, sie sind aber bislang zu stumpf geblieben. Es muss darum gehen, endlich die Wasserressourcen zu schützen, anstatt ausgerechnet diejenigen Wirtschaftsweisen zu protegieren, die die Gewässer schädigen oder zerstören. Dies muss für die Gesellschaft Vorrang haben. Denn auch in Zukunft brauchen wir gesundes Wasser in hervorragender Qualität und ausreichender Menge.

Und es geht um unsere Natur und ihre Schönheit: Flüsse und ihre Auen sind die artenreichsten und dynamischsten Lebensräume in Europa, sie bilden die wichtigsten Korridore für die Ausbreitung von Arten und den großräumigen Biotopverbund. Zugleich gehören sie zu den faszinierendsten Landschaften, die wir kennen.

Der Zustand der Gewässer ist letzten Endes ein Abbild davon, wie wir mit Natur und Landschaft insgesamt umgehen. Flüsse, Seen und Meere, Feuchtgebiete und das Grundwasser - sie halten uns den Spiegel vor: So kann es nicht weitergehen. Nicht im Wasser, und auch nicht an Land. Wir müssen handeln. Jetzt.


Der Autor arbeitet als Referent Gewässerschutz in der Bundeskontaktstelle Wasser des Umweltverbands GRÜNE LIGA e.V. in Berlin und ist Mitglied der Water Working Group des Europäischen Umweltbüros EEB in Brüssel. Er ist Mitbegründer von flow : europe und Initiator der Veranstaltungsreihe FLUSSFILMFEST.

*

Quelle:
Rundbrief 2/2018, Seite 35-36
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang