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STANDPUNKT/1054: Ist der Streit zwischen Wirtschaft und Umwelt zu schlichten? (spw)


spw - Ausgabe 5/2018 - Heft 228
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Ist der Streit zwischen Wirtschaft und Umwelt zu schlichten?

von Ernst Ulrich von Weizsäcker (1)


Wir haben eine Kohlekommission. Sie soll einen Zeitplan für den Ausstieg aus der Kohle vorlegen. Früher gab es entsprechende Gremien für den Ausstieg aus der Kernenergie. Da haben wir den Streit zwischen Wirtschaft und Umwelt entschärft. Zu Lasten der alten Wirtschaft und zum Nutzen der moderneren Wirtschaft. Es gibt heute kein ökonomisches Argument mehr für ein neues Kernkraftwerk, wie die Abbildung 1 zeigt.


Abb.1 Solarenergie hat Kernenergie besiegt(2), als Folge des Erneuerbare Energiengesetzes (EEG)

Das war jedoch ein Glücksfall. Die tatsächlichen Atomkosten sind sichtbar geworden, und das EEG hat den Anstoß für die immer kostengünstigere Massenfertigung von PV(3)-Zellen gebracht. Bei der Kohle sind wir noch nicht so weit. Baggern ist billig, und die wahren Kosten der Kohleverbrennung bekommen erst künftige Generationen zu spüren. Das ist ein klarer Verstoß gegen das Verursacherprinzip. Der Weltklimarat (IPCC) hat am 8. Oktober 2018 eine aufrüttelnde Studie vorgelegt(4). Aus dieser geht hervor, dass sich die Wirtschaft aller Länder dramatisch ändern muss, wenn man die bedrohlich werdende Erderwärmung unterhalb der magischen 1,5 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten stoppen will. "Die Wirtschaft" will aber keine dramatische Änderung. Das Konfliktpotenzial bleibt riesengroß.

Gleichzeitig geht die Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten ungebremst weiter. Die Plastik-Vermüllung der Weltmeere nimmt ekelhaft zu; was abnimmt, sind die Fischbestände. Der Wohlstand und die Wirtschaft und die immer noch rasant steigende Zahl der Menschen auf der Erde sind der eigentliche Gegner der Natur. Auf Glücksfälle zu hoffen, das ist nicht mehr gut genug. Aber was können wir systematisch tun, um künftige Riesenkatastrophen zu vermeiden?

Für die Beantwortung dieser Frage kann die vom Weltbankökonomen Prof. Herman Daly betonte Unterscheidung zwischen der "Leeren Welt" und der "Vollen Welt" hilfreich sein. In der Leeren Welt lebten weniger als zwei Milliarden Menschen, das Klima war nicht gefährdet, die Ozeane sauber und voll von Fischen, die Biologische Vielfalt riesig und unerkannt. Aus der Leeren Welt stammten unsere Instinkte, unsere Religionen, unsere Sprachen, unsere Denkmuster, die Europäische Aufklärung, sowie unsere biologische Fähigkeit, viel mehr Kinder zu zeugen als in einer von moderner Medizin und Landwirtschaft gesegneten Welt auch nur annähernd benötigt werden, um die Populationsgröße zu erhalten.

Auch die auf dem Raubbau an der Natur fußende Wirtschaftsideologie stammt aus der Leeren Welt: Gerechnet werden nur die Kosten des Fischfangs, des Ausbaggerns und Aufbereitens der Erze, des Transports und der Herstellung von brauchbaren Produkten aus primitiven Erzen. Die Erze und Fische selber haben in der Raubbauökonomie keinen Preis, höchstens einen (zunehmenden) Seltenheitswert, der sich in der Konkurrenz der Bergbauunternehmen und der Fischereiflotten als Preis niederschlägt.

In der leeren Welt mit wenigen Menschen konnte man das noch hinnehmen, weil die Natur auch noch eine gute Regenerationsfähigkeit hatte. Selbst großflächige Brandrodungen führten meist nicht zur Versteppung. Auf den guten Böden wuchs der Wald wieder nach, und im Meer die Fischschwärme. Also gab es noch keinen großen Streit zwischen Wirtschaft und Umwelt. Die Wirtschaft blieb nämlich immer der Sieger.

Der Konflikt zwischen den beiden Prinzipien entstand in der Vollen Welt, die wir heute haben. Kern des Übergangs von leer zu voll war natürlich das Bevölkerungswachstum. Alleine in den letzten 50 Jahren hat sich die Weltbevölkerung von 2,5 Milliarden auf 7,5 Milliarden verdreifacht. Und der Konsum der Menschen hat sich etwa verzehnfacht. Das machte die Konflikte plötzlich riesengroß. Für die Volle Welt müssen wir uns, gewaltig umstellen. Das ist es ja, was der Weltklimarat sagt, Aber wie gehen wir's an? Zwei ganz verschiedene Agenden halte ich für unausweichlich: Bevölkerungsstabilisierung und Beschleunigung der Transformation zur umweltfreundlichen Technologie.

Weltweit müssen wir die Zahl der Bevölkerung stabilisieren. Abbildung 2 zeigt, dass diejenigen Weltregionen, die die Stabilisierung geschafft haben, die ganz großen Gewinner sind. Verlierer sind die, die ebendies nicht geschafft haben.


Abb. 2: Bevölkerungsstabilisierung als ökonomisches Erfolgsinstrument!(5) Länder, die keine Stabilisierung hinbekommen, sind die großen Verlierer

Damit die Stabilisierung tatsächlich stattfindet, muss sie auch auf Familienebene attraktiv werden. Hierfür ist es besonders nötig, dass in den Ländern mit immer noch verheerend hoher Bevölkerungszunahme ein verlässliches Rentensystem aufgebaut wird. Das würde die Überlegung von jungen Familien zum Kippen bringen. Heute denken sie noch, für ihre familiäre Altersvorsorge müssten sie möglichst viele Kinder bekommen.

Die andere riesige Aufgabe ist die Transformation zur umweltfreundlichen Technologie. Hierfür schlage ich seit einigen Jahren vor, die Preise für den Verbrauch von Natur jährlich um so viel Prozent anzuheben, wie im vergangenen Jahr die Effizienz zugenommen hat: Wird z.B. die Autoflotte 2018 um 1,3 Prozent sprit-effizienter, steigt der Spritpreis um 1,3 Prozent plus Inflation und ggf. Weltmarktbasis. Das würde Investoren und Ingenieure auf Jahrzehnte hinaus anspornen, aus reinen Kostengründen den Naturverbrauch zu minimieren. Ein Sozialtarif kann verhindern, dass die ärmeren Familien dafür preislich "bestraft" werden, wenn die Reicheren sehr schnell effizienter werden. Und für die Industrie kann vereinbart werden, dass die Abgabenlast konstant bleibt, wie es Schweden in den 1990er Jahren bei einer brutalen Stickoxidabgabe vorgemacht hat.(6)

Das reicht jedoch noch nicht für die weltweite Dimension, insbesondere beim Klimaschutz. Hierfür sollte man den "CO2-Budget"-Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) wieder aufgreifen.(7) Darin wird angenommen, dass alle Länder der Welt ein pro Kopf gleichgroßes Recht auf Nutzung der Atmosphäre besitzen. Bloß haben die alten Industrieländer ihr "Budget" schon beinahe aufgebraucht. Sie müssten also sehr bald auf Einkaufstour in die Entwicklungsländer gehen, die noch ganz viele Lizenzen übrighaben. Dies würde wiederum zum ersten Mal in der Geschichte die Rentabilität von Kohlekraftwerken umkehren. Heute ist sie noch extrem hoch, nach Einführung des Budget-Ansatzes würde sie plötzlich negativ. Es würde nämlich lukrativer, den Übergang zu erneuerbaren Energien und zu hoher Energieeffizienz in Kombination mit dem Verkauf von CO2-Lizenzen zu forcieren. Abbildung 3 zeigt den Budget-Ansatz schematisch.


Abb. 3: Der WBGU Budget-Ansatz für CO2-Emissionen. Die alten Industrieländer haben ihr 'Budget' schon fast aufgebraucht. Die Entwicklungsländer hätten aber noch viele Lizenzen zu verkaufen.

Diese Nord-Süd-Gerechtigkeit ist für den weltweit funktionierenden Klimaschutz unerlässlich. Denn heute haben wir die unkomfortable Situation, dass von 100 neuen Kohlekraftwerken 90 in den Entwicklungsländern gebaut werden. Das führt ja dazu, dass deutsche Anstrengungen zum Klimaschutz weitestgehend überkompensiert werden durch CO2-Emissionen aus den Entwicklungsländern.

Natürlich würde der Budgetansatz die Braunkohleverbrennung in Deutschland alsbald ökonomisch sinnlos machen. Zur Schonung der Wirtschaft und der Arbeitsplätze in den hierdurch leidenden Regionen müssen natürlich kompensierende Investitionen in Infrastruktur, Ausbildung und moderne Industrie durchgesetzt werden, wie es ja die Kohlekommission lautstark vorschlägt. Und man müsste die Verteuerung durch den oben genannten gradualistischen Ansatz abfedern. Die Details müssen politisch ausgehandelt werden.

Mit diesen hier nur skizzierten Strategien und Maßnahmen sollte es möglich werden, den unsere Zivilisation stark belastenden Streit zwischen Wirtschaft und Umwelt einigermaßen dauerhaft zu lösen oder zumindest drastisch zu vermindern.


Anmerkungen

(1) Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker, 79, war von 1998-2005 Mitglied des Bunstages (Wahlkreis Stuttgart 1) und gewann den Wahlkreis 2002 erstmalig für die SPD. Er ist zur Zeit Ko-Präsident des Club of Rome.

(2) Tom Randall. 2015. »Fossil Fuels Just Lost the Race Against Renewables.« Bloomberg Business, 14. April.
http://www.bloomberg.com/news/articles/2015-04-14/fossil-fuels-just-lost-the-race-against-renewables

(3) Photovoltaik.

(4) Intergovernmental panel on Climate Change (IPCC). 2018. Global Warming of 1,5°C. Summary for Policy Makers. Incheon, Korea, 48th Session of the IPCC.

(5) UNFPA. 2015. Consequential omissions. How demography shapes development. Figure 8. Die Studie wurde vom Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung durchgeführt.

(6) L. Höglund-Isakson und T. Sterner. 2009. Innovation effects of the Swedish NOx charge. Paris: OECD.

(7) WBGU. 2009. Kassensturz für den Weltklimavertrag - Der Budgetansatz. Sondergutachten 2009, Berlin, WBGU.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2018, Heft 228, Seite 14-17
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2018

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