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ATOM/302: Keine Entlastung vom Erdölbedarf durch Kernkraftwerke (SB)


Bundeskanzlerin Merkel für Energiemix - womöglich mit Atomkraft?


Vor dem Hintergrund des drohenden Stopps der Weiterleitung von russischem Gas und Erdöl über weißrussisches Territorium nach Westeuropa hat Bundeskanzlerin Merkel am Montag im ARD-Morgenmagazin erklärt, daß bedacht werden müsse, welche Folgen es habe, aus der Nutzung der Atomenergie auszusteigen. Deutschland dürfe sich nicht einseitig in Abhängigkeit von bestimmten Energieimporten begeben. Es müsse auf ein umfangreiches und ausgewogenes Energiemix setzen.

Es wundert selbstverständlich nicht, wenn sich die ehemalige Umweltministerin als Lobbyistin der Nuklearwirtschaft geriert, doch daß ihre Argumentation auf derart tönernen Füßen steht, ist durchaus bemerkenswert und wurde sowohl von der Opposition als auch dem SPD- Koalitionspartner kritisiert.

Atomkraftwerke bieten nicht die von Merkel gewünschte Sicherheit der Energieversorgung. Dazu sind sie denkbar ungeeignet, und zwar nicht nur wegen der unkalkulierbaren Umwelt- und Gesundheitsrisiken, sondern auch weil der Rohstoff Uran nur noch für etwa 65 Jahre reicht. Je mehr Staaten sich auf den Betrieb von Atomkraftwerken einlassen, desto mehr verkürzt sich die Frist, ab wann nicht mehr genügend Uranrohstoffe vorhanden sind.

China, Indien, Japan, die USA, Großbritannien - viele Staaten mehr wollen derzeit ihren Kernenergieanteil an der Produktion elektrischen Stroms erhöhen. Uran wird somit in wenigen Jahrzehnten zu einer extremen Mangelware und entsprechend teuer. Um wieviele Jahre oder Jahrzehnte sich die Frist verkürzt, ab wann die globalen Uranvorkommen so knapp sind, daß sie unerschwinglich werden, bleibt der Spekulation überlassen, aber angesichts des derzeitigen Booms könnte man erwarten, daß die Preise für Rohstoff bereits 2040 bis 2050 so viele Prozentpunkte gestiegen sein wird wie in den letzten Jahren das Erdöl, dessen maximale globale Fördermenge (peak) einigen Experten zufolge bereits als überschritten angesehen wird.

Das bedeutet, daß in Zukunft nicht nur Öl, sondern auch Uran knapp werden wird. Der Bau neuer Atomkraftwerke in Deutschland würde jedoch mindestens ein Jahrzehnt, wahrscheinlich sogar 15 bis 20 Jahre dauern. Da macht es energiepolitisch wenig Sinn, für die kurze Frist zwischen Fertigstellung eines Akw und weltweitem Verbrauch des gesamten Urans, sich auf eine Technologie einzulassen, die riesige Summen verschlingt, radioaktive Substanzen freisetzt und immer das Potential eines Beinahe-GAU wie in Harrisburg 1979 oder eines tatsächlichen GAU wie in Tschernobyl 1986 birgt.

Abgesehen davon, daß Atomkraftwerke keine Energiesicherheit bieten, sind sie auch kein Ersatz für Erdöl. Der aktuelle Anlaß, warum sich Frau Merkel für die Atomenergie einsetzt, ist unpassend. Deutschland könnte noch hundert Akws zusätzlich ans Netz nehmen und würde damit seinen Bedarf an Erdöl nicht senken. Denn dieser Rohstoff wird in der Regel nicht in Kraftwerken verbrannt, sondern in Privathäusern, Autos, Schiffen und Flugzeugen. Und die chemische Industrie stellt Kunststoff mit Erdöl, nicht aber mit Uranerz her. Eine Entlastung fände somit nicht statt.

Da der deutschen Bundeskanzlerin diese Informationen vorliegen und sie als Physikerin wissen müßte, welche enormen energetischen Aufwände in der Nuklearwirtschaft erforderlich sind - beim Bau, Betrieb und Rückbau eines Atomkraftwerks dürfte erheblich mehr Energie verbraucht werden, als in dem Akw je produziert werden könnte -, wäre sie gut beraten, unter den von ihr allzu gern kolportierten Schlagwort "nach vorne schauen" etwas anderes zu verstehen als einer längst überholten Technologie hinterherzulaufen. Womit nicht dem ehemaligen Umweltminister Jürgen Trittin von den Grünen das Wort geredet werden soll, denn er hatte es mit zu verantworten, daß sich der beabsichtigte Atomausstieg Deutschlands in eine wirtschaftsfreundliche Akw-Bestandssicherung wandelte und Gorleben als Endlagerstandort erhalten blieb.

9. Januar 2007